Dick Meier bricht aus dem engen Elternhauses aus, heuert bei einer Bank an, doch bald wird auch diese zum Gefängnis: Mobbing ist das grosse Thema im neuen Roman des Schweizer Autors Tom Zürcher.
Der Zürcher Werbetexter Tom Zürcher gilt nach eigener Aussage als der «unentdeckteste Schriftsteller» der Schweiz. Obwohl dieser Tage schon sein dritter Roman erschienen ist – «Mobbing Dick» heisst er.
Sein Roman, sagt Tom Zürcher, sei kein lustiges Buch: «Die ersten paar Kapitel lacht man. Bis die Tür zugeht. Aber dann ist es zu spät.»
Die Geschichte kreist um den jungen Dick Meier. Er will ausbrechen – zuerst aus dem engen Elternhaus, später aus der Bank, bei der er arbeitet.
Meier schafft beides nicht. Um nicht durchzudrehen, beginnt er, sich nachts eben in «Mobbing Dick» zu verwandeln und sich an der Erwachsenenwelt zu rächen. Bis er die Kontrolle über sein Alter Ego verliert.
«Bluewin» publiziert exklusiv das Kapitel Nummer sieben.
Kapitel sieben
Am nächsten Tag führt Herr Bachmann einen Test mit Dick durch. Er gibt ihm einen Füllfederhalter und einen leeren Briefumschlag und bittet ihn, seine Adresse draufzuschreiben. Anschließend prüft er die Handschrift.
Hm, ja, das sollte gehen. Wir müssen heute Kontoauszüge verschicken.
Dick lernt, dass Briefe, die an ausländische Kunden gehen, nie nach Bank aussehen dürfen. Handbeschriebene Umschläge sind das A und O einer diskreten Vermögensverwaltung, sagt Herr Bachmann. Außerdem wird alles von Deutschland aus versandt, da der Schweizer Poststempel in der Welt da draußen immer noch Verdacht erregt, obwohl das Bankgeheimnis zu einem großen Teil abgeschafft worden ist. Die Kontoauszüge liegen im Druckbüro zur Abholung bereit. Herr Bachmann will Dick zeigen, wo es sich befindet, aber als sie aufbrechen, klingelt das Telefon und Herr Bachmann rennt alleine los.
Dick studiert den Umschlag, auf den er seine Adresse hat schreiben müssen. Es ist ein gefütterter Umschlag, der feierlich knistert, wenn man ihn drückt. Viel zu schade, den einfach wegzuwerfen, denkt er und beschließt, einen Brief an sich selbst zu schreiben. Er tippt in den Computer:
Sehr geehrter Herr Dick Meier
Sie arbeiten nun schon den zweiten Tag in diesem Büro und es wird Zeit, Ihnen eine erste Einschätzung zu geben. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen. Sie erscheinen pünktlich, kennen meinen Namen und machen nichts kaputt. Wenn das so weitergeht, sind Sie bald der Präsident dieser Bank. Dann werden Sie mir befehlen, das Hemd in die Hose zu stopfen, in die Unterhose gar, und das kann ich nicht zulassen. Also werde ich damit beginnen, Ihnen Steine in den Weg zu legen und die Näpfchen, in die Sie treten werden, mit Fett zu füllen. Das ist nicht gegen Ihre Person gerichtet, aber ich muss mich vor Ihnen schützen wie mein Blut vor Zucker.
Hochachtungsvoll, Ihr werter Herr Dr. Bachmann
Er liest es durch. Wahnsinn, das ist ihm einfach so aus den Fingern gesprudelt. Er klickt auf Ausdrucken und guckt sich um, wo der Brief rauskommt. Er kann keinen Drucker sehen. Er kriecht unter den beiden Schreibtischen durch und als er auf Bachmanns Seite wieder auftaucht, kehrt dieser ins Büro zurück und fragt:
Was machen Sie da?
Den Drucker suchen.
Was wollen Sie denn drucken?
Nichts, nur für den Fall.
Bachmann erklärt, die Computer der Vermögensabteilungen sind für Drucker und Speichermedien gesperrt, damit keiner mehr auf die Idee kommt, Kundendaten ans Ausland zu verkaufen. Er zählt noch weitere Sicherheitsvorkehrungen auf, aber Dick hört nicht zu, sondern fragt:
Und wenn man mal einen Brief schreiben möchte?
Wem möchten Sie denn schreiben?
Ich? Niemandem.
Die Ausdrucke kommen im Druckbüro raus, sagt Bachmann, dort werden sie registriert. Sie müssen jetzt sowieso dahin, um die Kontoauszüge zu holen.
Das Druckbüro ist in schneeweißes Licht getaucht. Flache Maschinen summen und es riecht nach warmem Papier. Ein Mann übergibt Bachmann eine Kunststoffkiste mit Kontoauszügen. Bachmann quittiert den Empfang und der Mann sagt, das da ist wohl auch noch für Sie. Er händigt ihm ein einzelnes Blatt aus. Bachmann liest es durch. Dann reicht er es an Dick weiter, nimmt die Kiste und geht hinaus. Während Dick ihm folgt, hört er Mutter sagen, das hat noch ein Nachspiel.
Oben holt Bachmann ein paar Schachteln mit Umschlägen aus dem Metallschrank sowie einen Briefbefeuchter. Er führt Dick vor, wie man ein Kuvert beschriftet, den gefalteten Kontoauszug hineinsteckt und mithilfe des Befeuchters die Lasche verklebt.
Keine Hexerei, oder? Wollen Sie es mal versuchen?
Dick zeigt, dass er es verstanden hat. Die ganze Post muss bis heute Abend versandbereit sein, sagt Bachmann, der Deutschlandkurier holt sie dann ab. Dick soll sich aber trotzdem Zeit lassen, das Wichtigste ist, dass die Adressen gut lesbar sind.
Alles klar?
Dick nickt. Das Telefon klingelt. Bachmann schnappt sich einen Notizblock und eilt aus dem Büro.
Bevor sich Dick an die Arbeit macht, zerreißt er den ausgedruckten Brief. Wieso hat er den geschrieben? Wieso hat Bachmann nichts gesagt? Er will ihn schmoren lassen, oder? Management by schlechtem Gewissen, kennt Dick von zu Hause, Vater ist Weltmeister darin. Dick muss das wieder geradebiegen. Er weiß auch schon wie.
Er richtet auf dem Schreibtisch eine Verarbeitungsstraße ein und legt los. Er schreibt, faltet, befeuchtet und klebt zu. Er arbeitet wie ein Roboter und mit jedem Umschlag wird er schneller. Um noch schneller zu werden, verzichtet er auf den Briefbefeuchter und leckt die gummierten Laschen mit der Zunge ab. Die Mittagspause lässt er aus, arbeitet durch und um drei Uhr ist alles erledigt und die Briefe stapeln sich in hohen Türmchen auf dem ganzen Schreibtisch. Dicks Ohren glühen. Er wäre sogar noch schneller gewesen, wenn er gegen Ende nicht wieder auf den Briefbefeuchter hätte zurückgreifen müssen, nachdem er sich die Zunge an einer scharfen Kante aufgeschlitzt hatte und es heftig blutete.
Bachmann ist noch nicht zurückgekehrt. Er wird staunen. Er wird sagen, das haben Sie gut gemacht, vergessen wir den blöden Brief.
Dick geht zum Sprüngli, um etwas gegen den leimigen Geschmack im Mund zu holen, den er vom Ablecken hat. Hunger hat er auch. Er rennt beide Wege, er will auf keinen Fall Bachmanns Gesicht verpassen.
Es handelt sich hier um einen originalen Textauszug. Deshalb erfolgten keine Anpassungen gemäss «Bluewin»-Regeln.
Bibliografie: Mobbing Dick, Tom Zürcher, Salis Verlag, 288 Seiten, ca. 24 Fr.
Karlheinz Weinberger – der Fotograf für das Ungewöhnliche
Karlheinz Weinberger – der Fotograf für das Ungewöhnliche
Hells Angels Camp, Mesocco, 1974.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Halbstarke in der Wohnung von Fotograf Weinberger, 1962.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Halbstarke an der Herbstmesse in Basel, 1962.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Zürich, ca. 1962.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Zürich, ca. 1972
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Karlheinz Weinberger am Tag seiner Pensionierung, 1986.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
«Der Kreis» war nicht nur ein Magazin für Homosexuelle, sondern auch eine Organisation, die Clubabende und Feiern organisierte. Karlheinz Weinberger hiess im «Kreis» Jim und war einer der beiden Vereinsfotografen. Dieses Bild stammt von einem Maskenball im Neumarkt.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Zürich, ca. 1968
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Zürich, ca. 1974
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Blues war ein beliebtes Modell. Madonna – so sagt das Gerücht – habe in einer Gruppenausstellung in New York in der 303gallery ein Blues-Portrait von Karlheinz Weinberger erworben (Zürich, 1968).
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Karlheinz Weinberger war in den frühen 1950er Jahren im Athletik-Sportverband Adler in Zürich der Hausfotograf, später auch Ehrenmitglied. Im Adler trainierten vor allem junge Arbeitsmigranten ihre Muskeln.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Zwei kämpfende Ringer: Das Lieblingsbild von Nachlassrverwalter Patrik Schedler.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Zwischen 1955 und 1964 reiste Weinberger jeden Sommer in den Süden, nach Sizilien, auf die Liparischen Inseln und nach Tanger. Dieses Bild entstand wahrscheinlich in Sizilien um 1958.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Dieses Bild entstand ebenfalls auf Sizilien um 1958.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Jünglinge, Sizilien zwischen 1958 und 1963.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Arbeiter, frühe 1950er Jahre.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Arbeiter, frühe 1950er Jahre.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Als im Hallenstadion die Stühle flogen: Rolling-Stones-Konzert, Hallenstadion Zürich, 14. April 1967.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Tätowierer Rocky, 1970er Jahre.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Rocker in der Leventina, 1972.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Lone Star Camp, Bad Ragaz, 1969.
Bild: Nachlass Karlheinz Weinberger, Zürich
Grosser Urlaub im Militär: Karlheinz Weinberger auf dem Genfersee bei Vevey, Ostern 1942.
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