Kolumne«Meine Seite, deine Seite» – mein Leben mit einer Links-Rechts-Schwäche
Von Michelle de Oliveira
3.5.2021
Das kann doch nicht so schwierig sein, denkt die Kolumnistin. Und verwechselt links und recht doch ständig. Warum bloss? Und was lässt sich dagegen tun?
Von Michelle de Oliveira
03.05.2021, 00:00
03.05.2021, 07:31
Michelle de Oliveira
Ich habe eine Links-Rechts-Schwäche. Das hat nichts mit Politik zu tun. Ich weiss nur einfach nicht, auf welcher Seite links ist und wo rechts.
Natürlich weiss ich es schon. Nämlich dann, wenn ich Zeit habe, auf meine Hände zu schauen und mir zu überlegen, mit welcher Hand ich schreibe. Dann weiss ich, wo rechts ist. Und die andere Hand ist demzufolge links. Nur: Dieser Gedankengang braucht Zeit. Eine Sekunde vielleicht. Das ist nicht viel, mögen Sie denken.
Aber ich sage Ihnen: Es ist viel Zeit. Zu viel Zeit. Etwa, als ich kürzlich als Beifahrerin wieder einmal gerufen habe: «Hier rechts abbiegen!», aber eigentlich links meinte. Hätte ich erst das «Mit-welcher-Hand-schreibe-ich-Gedankenspiel» durchgehen müssen, wären wir mit Sicherheit an der Abzweigung vorbeigefahren. Sind wir natürlich auch so, weil es in diesem Fall rechts gar nichts abzubiegen gab, sondern nur links.
Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg
Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin und Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
In der Fahrschule hatte ich damals mit meinem Fahrlehrer vereinbart, dass er statt links und rechts einfach «meine Seite, deine Seite» sagt. Auch der Experte bei der Fahrprüfung hat sich darauf eingelassen, ich habe die Prüfung bestanden.
Ein L und ein R auf die Füsse tätowiert
Als ich angefangen habe, Yoga zu unterrichten, wurde die Schwäche wieder bedeutender. So befand ich mich etwa im herabschauenden Hund, die Welt stand aus meiner perspektive also ohnehin schon auf dem Kopf.
Ich wollte die Yogis dazu anleiten, ein Bein – und zwar alle das gleiche – anzuheben. Ich sagte links, meinte aber rechts oder umgekehrt. Ich war hoffnungslos überfordert. Und die Yogis auch: Durch meine falschen Anleitungen versuchten sie sich in die unmöglichsten Positionen zu zwingen. So ging das nicht!
Also liess ich mir ein L und ein R auf die Füsse tätowieren. Den Tätowierer habe ich dreimal gefragt, ob er sicher sei, dass die Buchstaben auf dem jeweils richtigen Fuss stehen. Seither ist mein Leben um vieles leichter geworden. Aber eben nur, wenn ich barfuss bin.
Fehlender Bezug zur Natur
Fragt mich mein Sohn heute, wo links und wo rechts ist, gebe ich mir extra viel Mühe, ihm die richtige Antwort zu geben. Er soll es mal leichter haben als seine orientierungslose Mutter.
Manchmal macht es mich regelrecht fertig, dass ich so etwas Simples einfach nicht auf die Reihe bekomme. Das kann doch nicht so schwierig sein, denke ich mir dann und liege bereits bei der nächsten Gelegenheit wieder falsch.
Ist in meinem Gehirn etwas kaputt? Habe ich vielleicht einen Vitaminmangel, der bisher unentdeckt blieb? Fehlt mir das Links-Rechts-Gen? Oder bin ich vielleicht einfach dumm? Ich forsche nach.
Manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass unser fehlender Bezug zur Natur der Grund sein könnte. Vor Jahrmillionen hätten wir links und rechts noch nicht gekannt, sondern uns an Bergen, Flüssen und Wäldern orientiert. Klingt plausibel.
Robben, krabbeln, sitzen oder gehen
Allerdings ist mein Orientierungssinn in der Natur nicht unbedingt besser. Es gibt diese Episode, als ich zusammen mit meiner Freundin beim Wandern war und wir im Anschluss zwei Stunden lang das Auto gesucht haben, immer sicher, nach der nächsten Kurve würde es stehen. Wir mussten schliesslich abgeholt werden und haben das Auto nur dank der ortskundigen Mutter der Freundin wieder gefunden.
Andere Forscher glauben, dass die Ursache für die Verwechslung in der Kindheit liege. Und zwar dann, wenn man als Baby einen Entwicklungsschritt ausgelassen hatte, etwa robben, krabbeln, sitzen oder gehen.
Zack, da haben wir es! Ich kann heute zwar gehen, aber gekrabbelt bin ich nie. Ich habe mich stets sitzend vorwärtsbewegt. Weil ich nie auf allen Vieren unterwegs war, kann ich heute die eine Seite nicht von der anderen unterscheiden? Möglich ist es.
Es gibt Übungen, die helfen sollen, die Schwäche in den Griff zu bekommen, etwa das Knie mit dem gegenüberliegenden Ellenbogen zusammenzubringen. Oder sich tagsüber immer mal wieder ans rechte Knie zu fassen und «rechts» zu sagen.
Das ist mir irgendwie zu blöd. Da lasse ich mir dann doch lieber beim nächsten Besuch im Tätowierstudio ein L und ein R tätowieren. Diesmal auf die Hände.
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