KolumneWir mussten weinen, dann öffneten wir einen Champagner
Von Michelle de Oliveira
12.4.2021
Zwei kleine Kinder, fordernde Jobs mit Homeoffice und coronabedingte Einschränkungen strapazieren die Beziehung. Höchste Zeit, in sie zu investieren, findet die Kolumnistin. Und besucht zusammen mit ihrem Mann einen «Paarcours».
Von Michelle de Oliveira
12.04.2021, 06:35
12.04.2021, 09:41
Michelle de Oliveira
Mein Mann und ich lesen Erziehungsratgeber, um die Kinder hoffentlich ohne allzu grossen Schaden aufwachsen zu lassen. Wir kaufen Kochbücher, um Abwechslung auf den Tisch zu bringen. Wir treiben (mal mehr, mal weniger) Sport, um fit zu bleiben.
Aber in die Beziehung, in unsere Ehe, investieren wir kaum. Corona, Homeoffice und der Balanceakt der Kinderbetreuung sind zusätzliche Herausforderungen zum ohnehin schon verrückten Familienalltag.
Wir hocken ständig aufeinander, aber qualitativ wertvolle Zeit verbringen wir kaum. Es gibt Tage, an denen besteht unsere Kommunikation aus Zurufen:
Windel ist voll! Kind 1 hat keine sauberen Unterhosen mehr! Wo ist Wolfgang, der Kuschelwolf?
Kind 2 hat wieder kaum geschlafen! Kind 1 auch! Ist das Nasse hier Wasser? Drei volle Güselsäcke auf dem Balkon! Arzttermin! Rechnungen! Brot, Milch, Bananen!
Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg
Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin und Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Abends sinken wir müde aufs Sofa. Oft reden wir dann zum ersten Mal richtig. Aber genauso häufig nicken wir uns zu, stellen den Fernseher an und lassen uns berieseln, bis wir schlafen gehen. Einer im Schlafzimmer, der mit dem Kinder-Nachtdienst auf dem Sofa.
Die Beziehung in Worte fassen
Mein Mann und ich beschreiben unsere Beziehung als intakt, erfüllend und ziemlich krisenresistent. Wir sind glücklich miteinander. Und das wollen wir bleiben.
Also haben wir uns entschieden, in unsere Beziehung zu investieren: Ein romantisches Liebeswochenende im Edelhotel mit Aroma-Hot-Stone-Dampf-Kräuter-Behandlung liegt aus verschiedenen Gründen nicht drin. Nicht mal ein Abendessen im Restaurant ist im Moment möglich. Eine klassische Paartherapie wollten wir auch nicht besuchen, das schien uns über das Ziel hinausgeschossen.
Also entschieden wir uns für den «Paarcours», den die Psychologin Felizitas Ambauen und ihr Partner Amel Rizvanovic gemeinsam anbieten.
Wir reservierten uns den Samstag, organisierten die Kinderbetreuung und machten uns an die Vorbereitungsaufgabe. Wir sollten aufschreiben, was wir als Paar besonders gut können und wo unsere Herausforderungen liegen, was wir ändern wollen.
Sich zusammen diese Gedanken zu machen, war nicht wie erwartet ein weiterer mühsamer Punkt auf unserer To-do-Liste. Es hat Spass gemacht, unsere Beziehung in Worte zu fassen. Auch darum, weil wir merkten, dass wir vieles gut machen: Einander regelmässig sagen, was wir an uns schätzen, Krisen managen, kindisch sein und das wahnsinnig lustig finden.
Und merken, dass wir uns vor allem über kleine Alltagsthemen streiten, dass wir aneinander rummäkeln, wo es gar nicht nötig wäre, dass wir manchmal zu ernst, zu festgefahren sind. Dass wir mehr «Hahahaha» statt «Mimimimi» wollen.
Ich habe mich noch mehr in ihn verliebt
Der Paarcours fand coronabedingt via Zoom statt. Vier Paare schalteten sich ein, alle im ähnlichen Alter wie wir, alle mit Kindern, alle mit den Herausforderungen des Alltags konfrontiert. Durch den Abstand irgendwie distanziert, gleichzeitig aber sehr nah, da wir direkt Einblick ins Wohnzimmer der anderen erhielten.
Im Wechsel führten Felizitas und Amel durch den Workshop. Sie erklärten uns die Grundlagen guter Kommunikation. Zum Beispiel das Setting: Grundsatzdiskussionen nicht dann führen, wenn man sowieso schon zu spät dran ist für die Kita und Kind 2 mal wieder partout keine Windel anziehen will. Klingt logisch, ja, und doch passiert es immer wieder.
In einer anderen Übung mussten wir uns einen Höhepunkt in unserer Beziehung überlegen, einen Moment, in dem wir uns so richtig tief verbunden fühlten. Mein Mann und ich wählten unabhängig voneinander dieselbe Situation und ich verliebte mich direkt noch ein bisschen mehr in ihn.
Alte Muster erkennen
Ans Eingemachte ging es mit der Schematherapie, die uns helfen sollte, alte Muster und Glaubenssätze zu erkennen. Plötzlich verstand ich besser, warum ich oft aufbrausend bin oder warum mein Mann manchmal nichts mehr sagt. Mit so viel Emotion hatte ich nicht gerechnet. In der Mittagspause weinten wir, redeten und vergassen fast, zu essen. Dafür öffneten wir eine Flasche Champagner.
Später redeten wir über positive Psychologie. Darüber, dass unser Gehirn Negatives viel einfacher abspeichert, während wir Positives viel öfter hören müssen, bis wir es glauben. Kennen wir alle, oder?
Seit dem Paarcours gehen wir achtsamer miteinander um, und hinterfragen unser Verhalten, unsere Reaktionen häufiger. Natürlich fallen wir immer wieder in alte Muster zurück, aber wir bleiben dran.
Das Schönste, was ich aus diesem Tag mitnehme, ist das Gefühl, dass mein Mann und ich uns Zeit genommen haben, etwas für unsere Beziehung zu tun. Nicht bloss zusammen ohne Kinder etwas zu unternehmen, sondern aktiv in unsere Beziehung zu investieren. Zu spüren, dass sie uns beiden wichtig ist, dass wir sie hegen und pflegen wollen.
Hoffentlich bald auch mal wieder bei einem romantischen Dinner.
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