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Jugendcoachin «Manche Jugendliche sind nicht bereit, sich komplett auf die Regeln einzulassen»
Von Jennifer Furer
12.4.2020
Auf Schulhöfen, in Parks, am See: Jugendliche treffen sich trotz Corona-Pandemie mit ihren Freunden. Jugendcoachin Pascale Erni sagt, warum Jugendliche dem Bund wenig vertrauen und sich nicht an die Isolation halten.
Frau Erni, wie nehmen Sie das Verhalten der Jugendlichen derzeit wahr?
Ganz unterschiedlich. Es gibt viele, die ganz gut mit der Situation klarkommen und vernünftig vorsichtig mit den neuen Regeln umgehen. Es gibt aber auch Extreme, die derzeit zu beobachten sind: Jugendliche, die sich strikt an die Regeln halten, aber sehr Mühe damit haben. Sie verkriechen sich und drohen teilweise in einer Depression zu versinken. Dann gibt es jene, die sich regelmässig mit Kollegen treffen und wenig auf die aufgestellten Regeln geben. Ganz egal sind sie ihnen aber dann doch nicht. Denn sie geben sich jetzt nicht mehr die Hand, sondern die Faust – und fühlen sich richtig cool dabei (lacht).
Von den Jugendlichen wird das grösste Opfer erwartet, sie müssen am meisten zurückstecken.
Pascale Erni ist Kinder- und Jugendcoachin und Elternbildnerin.
Darum sind sie eben oft auch nicht bereit, sich komplett auf diese Regeln und die Isolation einzulassen. Soziale Kontakte und Erfahrungen ausserhalb des Elternhauses sind in der Pubertät extrem wichtige, identitätsbildende Faktoren. Hinzu kommt, dass Jugendliche durch die hormonellen Veränderungen in der Pubertät sowie die Veränderung der Neuroanatomie des Gehirns Schwierigkeiten haben, ihre Impulse zu kontrollieren und ihre Emotionen zu regulieren. Eine Isolation in dieser Phase kann schon mal zu seelischem und körperlichem Stress führen. Es hat schon auch seine Berechtigung, wenn sie dann zugunsten ihrer psychischen Gesundheit rausgehen und sich bewegen.
Trotzdem: Es sollten sich alle an die Regeln halten.
Der Grossteil tut dies auch. Viele Jugendliche nehmen die Regeln ernst. Ist es nicht immer so, dass sobald jemand aus dem Raster fällt, schnell einmal mit dem Finger auf ihn gezeigt wird und dann gleich eine Meinung über alle Menschen dieser Gruppe gebildet wird? Bei Jugendlichen ist es aber sicherlich so, dass sie sich stärker mit ihren gleichaltrigen Freunden identifizieren und diese eine wichtigere Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung spielen als bei Menschen anderer Altersgruppen. Das lassen sich die Jugendliche auch manchmal nicht wegnehmen.
Wieso gibt es Jugendliche, die rebellieren?
Bei Jugendlichen ist es sicher grösstenteils eine Entwicklungsfrage. Sie befinden sich derzeit in einer Phase, in der das Autonomiebedürfnis sehr gross ist. Jugendliche wollen und müssen sich von Eltern abgrenzen und sich eine eigene Meinung bilden. Sie wollen Gegenpositionen einnehmen. Vielleicht auch gegenüber einer Regierung, also dem Bundesrat.
Haben Sie kein Vertrauen in diesen?
Jein. Viele Pubertierende sind recht empfänglich für Verschwörungstheorien. Einige glauben, dass Erwachsene ‹alles korrupte Sieche sind›, um es in ihrer Sprache auszudrücken. Sie denken, dass sich eh alles nur ums Geld dreht, und jeder glaubt, einen Politiker zu kennen, der korrupt ist. Die Gespräche unter Jugendlichen basieren häufig mehr auf Halbwissen als auf fundierten Informationen.
Also hat der Bundesrat derzeit keine guten Karten?
Ich sage es mal so: Der Bundesrat hat nicht die besten Karten. Ich stelle auch einfach fest, dass Jugendliche teils noch wenig Interesse haben, sich gründlich zu informieren oder sich intensiv mit einem Thema zu befassen. Das trifft sicherlich nicht auf alle zu. Zudem denken sich die Jugendlichen, insbesondere wenn es um Corona geht, dass sie selbst ja nicht zur Risikogruppe gehören und die älteren Menschen zu Hause bleiben sollten.
Müsste der Bund seine Informationspolitik anpassen, um die Jungen besser zu erreichen?
Ich sehe die Verantwortung mehr bei den Eltern. Der Bund könnte Jugendliche sicher direkter über die sozialen Medien ansprechen, weil die Jugendlichen vor allem dort anzutreffen sind. Ich weiss aber tatsächlich nicht, ob das überhaupt etwas bringen würde.
Weil eben das Vertrauen und Informationsbedürfnis bei vielen Jugendlichen fehlt?
Ja. Es würde meines Erachtens auch wenig bringen, wenn Jugendliche von Personen auf ihr Fehlverhalten direkt angesprochen werden. Das löst eher Abwehrreaktionen aus und führt, wie ich es einschätze, nicht dazu, dass Jugendliche ihr Denken anpassen. Die Verteidigungshaltung führt dazu, dass das eigene Verhalten nicht hinterfragt wird und so die Verhaltensänderung letztendlich ausbleibt.
Warum?
Weil viele Verhaltensweisen in der Pubertät auf hormonelle oder anatomische Veränderungen zurückzuführen sind, die schwer gesteuert werden können. Bei Jugendlichen verändert sich der Frontallappen des Hirns. Deshalb sind Jugendliche in dieser Phase weniger in der Lage zu planen, Impulsen zu widerstehen oder Konsequenzen abzuschätzen. Die wirkungsvolle Selbstkontrolle fehlt, jedoch steigt die Risikobereitschaft.
Ist das auch ein Grund, warum auf den sozialen Medien Challenges entstehen, bei denen beispielsweise Geländer abgeleckt werden müssen, um sich möglichst mit dem Coronavirus anzustecken?
Das kann schon sein. Es geht dabei aber sicher auch um Berühmtheit – und nicht zuletzt entstehen solche Aktionen auch einfach nur aus purer Naivität und Leichtsinn.
Was können Eltern tun, um irgendwie trotzdem an ihre Kinder zu gelangen?
Jugendliche können vor allem am Familientisch in Gesprächen abgeholt werden. Wichtig ist dabei, dass die Erwachsenen keinen vorwurfsvollen oder gar belehrenden Ton anschlagen. Es hilft oft schon, die schwierige Lage der jungen Leute zu verstehen und dies auch zu kommunizieren. Gemeinsame Gespräche auf Augenhöhe sind in dieser Phase enorm wertvoll. Zudem sollen Erwachsene mit einer klaren Haltung den jungen Menschen gute Vorbilder sein.
Und sonst noch?
Wichtig ist es, den Jugendlichen in dieser Zeit eine Struktur zu geben. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, zu nichts mehr nutze zu sein. Und wenn Jugendliche einfach in den Tag hineinleben, am Smartphone hängen und Netflix schauen, besteht die Gefahr, dass sie in Depressionen rutschen. Jugendliche können und sollen in alltägliche Aufgaben eingebunden werden. Die Eltern können gemeinsam mit den Jugendlichen sinnvolle Beschäftigungen suchen – wie zum Beispiel den Kleiderschrank ausmisten, Verwandten oder Nachbarn helfen, Yoga ausprobieren oder im Garten jäten.
Das ist aber eine anspruchsvolle Aufgabe, welche die Eltern da wahrnehmen sollen.
Das ist so, und nicht jeder Versuch, an Jugendliche heranzukommen, funktioniert. Dennoch ist es wichtig, dass Eltern gelassen bleiben, den Draht zu ihren Kindern nicht verlieren und auch mit Humor an die ganze Sache herangehen. Es ist wichtig, auch einmal alle fünf gerade sein zu lassen, zusammen nach Lösungen zu suchen und vor allem in Zeiten der Corona-Krise auch einmal etwas mehr zu erlauben.
Was ist, wenn Eltern das nicht machen?
Dann kann es zu unschönen Situationen kommen. Gerade in Zeiten wie dieser ist die Gefahr gross, dass es vermehrt zu Konflikten oder häuslicher Gewalt kommt. Wenn Eltern sehen, dass sie der Herausforderung nicht gewachsen sind, ist es wichtig, dass sie sich externe Hilfe holen. Auch Kinder und Jugendliche sollen sich in solchen Situationen an jemanden wenden. Auch wenn Hilfe holen derzeit schwierig erscheint, ist es häufig der einzig richtige Weg, um das Gleichgewicht in belasteten Familien wieder herzustellen.