Raynaud-PhänomenLeichenfinger: Mein Ringen mit der kalten Jahreszeit
Kerstin Degen
12.2.2018
Ein ausgiebiger Spaziergang im Schnee, Ski- oder Schlittelvergnügen: Nicht für mich. Denn seit einigen Jahren leide ich am Raynaud-Syndrom, einer attackenartigen Durchblutungsstörung. Doch muss ich das einfach so hinnehmen? Mein persönlicher Erfahrungsbericht und die vielversprechendsten Winterhandschuhe im Test.
Der Fachbegriff lautet «Morbus Raynaud» oder «Weissfingerkrankheit», der Volksmund spricht von «Leichenfingern» - und das nicht ohne Grund. Wer mir die Hand zum Gruss reicht, zuckt entweder zurück, oder hüllt meine Hände, mit dem spontanen Bedürfnis Wärme zu spenden, minutenlang in einen kräftigen Händedruck.
Das Raynaud-Syndrom erhielt seinen Namen im 19. Jahrhundert, nachdem der französische Arzt Maurice Raynaud es als erster wissenschaftlich untersucht hatte. Es bezeichnet eine plötzliche, anfallsartige Durchblutungsstörung der Finger (oder Zehen), die vor allem durch Kälte, aber auch durch Stress ausgelöst wird. Etwa drei bis sechs Prozent der Bevölkerung leiden darunter, Frauen etwa viermal häufiger als Männer.
Äusserst schmerzhaft
Die Stadien eines Schubs werden mit dem Begriff «Trikolore-Phänomen» erklärt. Die eingeschränkte Durchblutung lässt die Finger in der ersten Phase weiss werden, beginnt das Blut wieder zurückzufliessen werden sie blau, und weil der Körper dann mit einem vermehrten Blutfluss reagiert, werden sie rot. Die einzelnen Phasen können sich über wenige Minuten bis zu mehreren Stunden hinziehen und besonders die letzte Phase ist äusserst schmerzhaft.
Weitere medizinische Erläuterungen erspare ich Ihnen, darüber gibt es bereits genügend Berichte. Vielmehr erzähle ich von meinem Versuch, den Beeinträchtigungen dieser unliebsamen «Krankheit» ein Schnippchen zu schlagen.
Leichenfinger: Vom Ringen mit der kalten Jahreszeit
Die Wintermonate und mich verbindet eine langjährige Hassliebe. In meiner Vorstellung lebt das Bild vom strahlenden Sonnenlicht über schneebedeckten Bergen, ganzen Familien in kuscheligen Norwegerpullis und alpinem Hüttenzauber. Die Realität sieht - welch Überraschung - so anders aus. (Symbolbild)
Bild: Getty Images
Abgesehen davon, dass ich im Unterland wohne, wo die Sonne sich meist hinter Nebel und Regen versteckt, friere ich von Oktober bis April erbärmlich. Nicht immer am ganzen Körper, aber Zehen, Finger und Nasenspitze sind häufig so kalt, dass ich mich kaum selber anfassen mag. Morbus Raynaud, nennt sich diese Durchblutungsstörung, die mehrheitlich Frauen mittleren Alters das Leben schwer macht. Die Krankheit ist nicht schlimm, trotzdem kann sie alltäglichen Aktivitäten im Weg stehen. (Symbolbild)
Bild: Getty Images
Letzten Sommer habe ich das Joggen für mich entdeckt. Aber bei den jetzigen Temperaturen ist nach spätestens zehn Minuten Schluss, meine Fingerkuppen werden weiss, taub und pochen schmerzhaft bis ich sie - die Zähne zusammenbeissend - unter meine warmen Achselhöhlen stecke und den Rückzug antrete. (Symbolbild)
Bild: Getty Images
Auch der Griff ins Kühlregal ist schmerzhaft, folglich endet der Wocheneinkauf häufig mit einem Raynaud's Anfall und treibt mich sogleich in die nächste Filiale einer bekannten amerikanischen Kaffee-Kette, aber dazu später.
Bild: Getty Images
Die Mango gehört zu den Lieblingsfrüchten in unserem Haushalt. Bis ich die ganze Frucht aber geschält und in Stücke geschnitten habe, sind meine Finger derart kalt und taub, dass ich sie erstmal unter dem Wasserhahn auftauen muss.
Bild: Getty Images
Ein zeitlich begrenztes Vergnügen; selbst bei 30 Grad im Schatten lässt der Glacébecher mich frösteln, ...
Bild: Getty Images
... ebenso wie der erfrischende Drink, nach welchem ich einen Tee bestelle, nur um meine Durchblutung wieder anzukurbeln.
Bild: Getty Images
Zurück ins Kaffeehaus - denn der Besuch eines solchen zählt in den Wintermonaten zu meiner Überlebensstrategie. Fehlt die Begleitung gibt's den Coffee-to-go sozusagen als anhaltende Wärmequelle bis vor die Haustüre.
Bild: Getty Images
Handschuhe zählen ja zu den beliebteren Winteraccessoires, ob Strick, ...
Bild: Getty Images
... Lederimitat oder Echtleder, mit und ohne Fellbesatz, es gibt sie in allen Variationen. Für mich ein rein modisches Utensil, hübsch anzusehen aber von Wärme keine Spur.
Bild: Getty Images
Also suche ich Unterstützung bei diesen süssen Kerlchen und ihren zahlreichen Artgenossen. Wiederverwendbare Handwärmer-Gelkissen gibt es seit einigen Jahren überall zu kaufen. Knickt man ein Metallplättchen im inneren des Kissens erwärmt sich die Salzlösung in Sekundenschnelle. Allerdings kühlen sie nach zirka 1 Stunde wieder ab, behält man sie in der Hand sogar noch schneller.
Bild: amazon.de
Anders diese kleinen Einweg-Handwärmer: Sie erhitzen sich, sobald sie aus der Verpackung an die Luft kommen und halten die Wärme während rund 12 Stunden. Eigentlich ganz praktisch, nur dass man sie entweder ständig in der Hand halten muss, oder sie im Handschuh hin- und herrutschen.
Bild: theheatcompany.com
Eine natürliche Alternative bietet die Kartoffel. Einmal erhitzt speichert sie die Hitze ähnlich lange, wie die vorherigen Handwärmer. Ein Trick, den mir eine Freundin aus Bulgarien verraten hat, deren Oma ihr früher immer eine heisse Kartoffel in die Jackentasche steckte. Funktioniert! Ist aber irgendwie auch nicht ganz alltagstauglich.
Bild: Getty Images
Welche Anforderungen muss ein Handschuh also erfüllen, um Raynauds-Patienten den Alltag zu erleichtern? Er sollte möglichst lange Wärme speichern, Wind und Wetter abhalten, die Bewegungsfreiheit nicht einschränken und falls möglich auch Smartphone-tauglich sein, da sich ja nicht nur die Kamera, sondern häufig auch Busbillet & Co. auf dem Smartphone befinden.
Bild: Getty Images
Ich habe mich auf die Suche gemacht und einige Exemplare, darunter Handschuhe für Polarexpeditionen und polizeiliche Sondereinheiten, auf ihre «Raynaud-Tauglichkeit» getestet. Die vielversprechendsten Wärmespender stelle ich Ihnen im Text vor. (Symbolbild)
Bild: Getty Images
Von der heissen Kartoffel im Hosensack bis hin zum Funktionshandschuh für arktische Expeditionen – ich habe alles getestet. Hier stelle ich Ihnen die besten Handschuhe vor und verrate Ihnen in der Bildergalerie weitere Tipps und Tricks, wie Sie Ihre Finger warm halten können.
Funktionskleidung anno dazumal
Wo heute Goretex, recyceltes Polyester oder Merino zum Einsatz kommen, sorgte zu Grossmutters Zeiten die gute alte Schafwolle für warme Glieder. Auch Leder und Felle halten den Menschen seit Jahrhunderten die Kälte vom Leib.
Schon beim Anblick einer vollständig in Fell gekleideten Inuit-Dame wird mir warm ums Herz. Doch nicht nur wäre ein solches Outfit in unseren Breitengraden fehl am Platz, sondern ethisch mehr als fragwürdig.
Lammfellstiefel und -handschuhe finde ich hingegen vertretbar, und so hülle ich meine Hände und Füsse erst in Schafwolle und stecke sie dann in dicke Lammfelltreter respektiv Fäustlinge.
Fazit: Die Glieder bleiben warm, allerdings nur an sonnigen Tagen ohne jegliche Wetterkapriolen. Für Schneeballschlachten und Wintersport sind die hübschen Accessoires absolut ungeeignet, da weder wind- noch wasserdicht. Feinmotorische Bewegungen, wie das simple Öffnen eines Reissverschlusses, sind unmöglich.
Ausgerüstet für Extrembedingungen
Da Wolle und Leder meine kalten Finger weder ein- noch doppellagig nachhaltig warm hält, machte ich mich auf die Suche nach härteren Geschützen und testete drei «Rolls-Royce» unter den Handschuhen, Luxus im Preis, wie auch in der Funktionalität:
1. Ein Alpinhandschuh mit dem Label Goretex warm
Als erstes darf ich den «Meron Thermo 2 in 1 Glove» des Schweizer Outdoor-Experten Mammut testen. An dieser Stelle bedanke ich mich nochmals herzlich beim Hersteller, denn trotz Vorbehalten, da ich den Handschuh ja quasi zweckentfremde, wurde mir ein Exemplar kostenlos in die Redaktion geliefert.
Der robuste Alpinhandschuh verfügt über alles, was sich ein Bergsportler im Winter wünschen kann und kommt im Normalfall auf Ski- und Klettertouren zum Einsatz. Ich teste ihn für meine Bedürfnisse im städtischen Alltag mit der Familie.
Zum ersten Mal seit langem bleiben meine Finger über einen längeren Zeitraum wohlig warm ohne dabei schwitzig zu werden. Der Handschuh ist absolut wind- und wasserdicht, selbst einige Schneebälle lasse ich meinen Kindern um die Ohren sausen.
Wehmutstropfen: Nur der Innenhandschuh ist Smartphone-tauglich und der Aussenhandschuh ziemlich klobig, daher muss ich ihn häufig ausziehen, um beispielsweise die Nase zu putzen, oder ein Busbillet zu kaufen.
Fazit: Mit zwei Stunden Frischluftaufenthalt bei um die null Grad für meine geplagten Fingerchen ein Wärmerekord. Ich kann mir nicht vorstellen, dass normal durchblutete Hände in diesem Handschuh auch nur einmal ins Frösteln kommen.
2. Der Handschuh mit eingebauter Heizung
Mein nächstes Testobjekt klingt vielversprechend: den «Zanier Gloves Street Heat.ZB» durfte ich zum Vorzugspreis beim Outdoor & Camping Shop Campz beziehen, auch hier meinen herzlichen Dank.
Der Street Heat.ZB heizt mittels robusten Lithium-Ionen Akkus, welche unsichtbar und kaum spürbar im Bund des Handschuhs platziert werden können. Die Handschuhheizung lässt sich mittels einem Schalter auf der Oberhand bedienen und verspricht bis zu 3,5 Stunden Wärmezufuhr, anschliessend lassen sich die Akkus mit dem mitgelieferten Ladegerät in Kürze aufladen.
Der Street Heat.ZB ist für einen robusten Handschuh und mit seinen Lederbesätzen aussergewöhnlich schlicht und edel designt. So ist er gerade für festliche Anlässe, wie Weihnachtessen oder Theaterbesuche meine erste Wahl. Schade nur, dass der Heizschalter bei Gebrauch knallrot aufleuchtet - die roten Lämpchen machen im Nu jedes Outfit zunichte.
Fazit: Der Street Heat.ZB passt sich gut an die Hand an und lässt daher viel Bewegungsspielraum. Allerdings ist gerade die schmale Passform bei Durchblutungsstörungen eher unvorteilhaft, denn im engen Handschuh werden die Finger schneller kalt. Die Wärmezufuhr kommt von oben, um eine Raynauds-Attacke abzuwenden bedarf es aber Wärme an der Fingerkuppe.
3. Ein Handschuh für Sondereinsatz-Kommandos
Von diesem Handschuh verspreche ich mir wahre Wunder: Der «Heat 3 Smart» von The Heat Company wurde speziell nach den Anforderungen polizeilicher Sondereinheiten in Deutschland und Österreich (Cobra) konzipiert und umgesetzt. Auch am Südpol oder auf über 7000 Meter über Meer sind diese Exemplare erfolgreich zum Einsatz gekommen.
Der Heat 3 Smart besteht aus einem superweichen Fingerhandschuh umhüllt von einem wind- und wasserdichten Fäustling. Die Fingerhandschuhe sind Touchscreen-tauglich und im Gegensatz zu anderen Handschuhen muss der Aussenhandschuh für feinmotorische Angelegenheiten nicht ausgezogen, sondern lediglich die Daumen- und Faustlasche heruntergeklappt und mittels Magnet befestigt werden.
Das grösste Plus: Im Fäustling befindet sich ein extra Fach für Einweg-Handwärmer, die bis zu 12 Stunden zusätzliche Wärme versprechen. Ein paar Fragezeichen haben die Magnete aufgeworfen, denn sind die Fäustlinge nicht zurückgeklappt und wühle ich in meiner Handtasche nach einem Taschentuch, sammle ich im gleichen Atemzug Hausschlüssel und Haarspangen ein.
Fazit: Schick ist er nicht, der Heat 3 Smart, er passt eindeutig mehr zur Expeditionsausrüstung, als zum klassischen Wintermantel. Doch dank der zusätzlichen Wärme konnte ich auftretende Raynauds-Attacken innert kürzester Zeit abwenden. Und so wird dieser Handschuh, trotz seines klobigen Auftritts, zu meinem treuen Begleiter erkoren.
Kaffee, Salz und ein paar Kilo mehr
Die Erkenntnis aus meiner kleinen Versuchsreihe: Auch mit den besten Handschuhen bleiben meine Fingerspitzen nicht dauerhaft geschützt und ausgiebiger Wintersport bleibt in weiter Ferne.
Also versuche ich mein Glück noch bei einem Gefässspezialisten, der meine Arme und Beine gründlich unter die Lupe nimmt. Doch auch diese Untersuchung bleibt ohne bahnbrechende Resultate. Zwar gibt es blutdrucksenkende Mittel, unter deren Einnahme sich die Gefässe erweitern sollen. Nur leider ist mein Blutdruck generell ungewöhnlich tief.
Die empfohlene Therapie des Arztes: Frostbeulen vermeiden (kein Problem, ich besitze mehr als 15 Paar Handschuhe), Gewichtszunahme, mehr Salz und mehr Kaffee! - Eine Medizin, wie sie in dieser Form wohl höchst selten vom Arzt verschrieben wird.
Winterpneus und Korrosionsschutz: So machst du dein Velo winterfit
Immer wärmer und kaum Schnee: Warum also nicht auch in der kälteren Jahreszeit mit dem Velo fahren? Wer auf zwei Rädern sicher durch den Winter kommen will, sollte sich diese Tipps unbedingt zu Herzen nehmen.
08.11.2024
Nadia Brönimann: «Deswegen wird sie in der Trans-Community angefeindet»
Eine Netflix-Doku erzählt die Transformation-Geschichte des Zehnkampf-Olympiasiegers Bruce Jenner. Transfrau Nadia Brönimann hat sich «Untold: Caitlyn Jenner» angeschaut und erklärt, was sie von der öffentliche Inszenierung hält.
04.10.2021
«Es gibt Armut in der Schweiz, das wollen viele nicht wahrhaben»
Die Armut ist hierzulande kaum sichtbar. Aber es gibt sie. Betroffene haben oft das Gefühl, von einer ansteckenden Krankheit befallen zu sein. «blue News»-Redaktor Bruno Bötschi besuchte eine Abgabestelle der Lebensmittel-Hilfe Tischlein deck dich.
13.09.2021
Claudio Del Principe: «Wer behauptet, backen muss präzise sein? – Bullshit!»
Claudio del Principe ist ein Tausendsassa: Storyteller, Kochbuchautor und Initiator des Foodblocks «Anonyme Köche». Doch seine grösste Leidenschaft gilt dem Brot. Konkreter: dem Sauerteig.
07.06.2020
Neue Gepäcksortieranlage am Flughafen Zürich: ««Früher haben wir Koffer geröntgt, heute machen wir ein MRI»
Der Flughafen Zürich hat seine neue Gepäcksortieranlage in Betrieb genommen. Was dir die 450-Millionen Schweizer Franken teure Investition als Fluggast bringt, hat blue News für dich herausgefunden.
19.06.2024
Winterpneus und Korrosionsschutz: So machst du dein Velo winterfit
Nadia Brönimann: «Deswegen wird sie in der Trans-Community angefeindet»
«Es gibt Armut in der Schweiz, das wollen viele nicht wahrhaben»
Claudio Del Principe: «Wer behauptet, backen muss präzise sein? – Bullshit!»
Neue Gepäcksortieranlage am Flughafen Zürich: ««Früher haben wir Koffer geröntgt, heute machen wir ein MRI»