Leben mit dem Virus IX«Jugendliche leiden stark unter der sozialen Isolation»
Von Sulamith Ehrensperger
21.4.2020
Was ist im Coronavirus-Alltag mit jenen Jugendlichen, die auf der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft und im Arbeitsleben sind? Wie ein Arbeitsintegrationsprojekt ums Überleben kämpft.
In einer Artikelserie lässt «Bluewin» Menschen über ihren neuen Alltag erzählen. Heute ist es Catherine Bolliger. Sie ist Co-Bereichsleiterin eines Arbeitsintegrationsprojekts (AIP), das Jugendliche mit persönlichen oder sozialen Problemen beschäftigt.
«Mit dem Corona-Stillstand stehen auch die meisten unserer Arbeitsintegrationsprojekte für Jugendliche still. Vor allem unsere drei Gastrobetriebe, die wegen der Corona-Krise geschlossen sind und es auch weiterhin bleiben. Unsere Jugendlichen brauchen jetzt besonders Unterstützung und trotz Corona-Krise ein Stück Alltag. Ich glaube, es ist gut, dass sie beschäftigt sind und nicht draussen herumstreunen.
Mein Team und ich begleiten Jugendliche, die aufgrund von persönlichen, familiären, sozialen, migrationsbedingten oder bildungsbezogenen Schwierigkeiten einen erschwerten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt haben. Der jüngste Jugendliche in unserem Programm ist 15 Jahre alt, der älteste 25.
Zum Glück haben wir Wege gefunden, sie weiterhin zu beschäftigen. In unseren Räumlichkeiten im Mittagstisch E1S in Wetzikon sowie im Restaurant Viadukt in Zürich bieten wir nun mittags einen Take-away-Service, das Restaurant Konter dient uns als Betriebskantine. Das ist gut so, denn ich glaube, ein gutes Zmittag hält die Laune – das ist besonders zu Krisenzeiten wichtig.
Zur Person
Catherine Bolliger ist Co-Bereichsleiterin des Arbeitsintegrationsprojekts (AIP) im Zürcher Oberland und in der Stadt Zürich. Die Stiftung Netzwerk engagiert sich für Jugendliche, die aufgrund von persönlichen, familiären, sozialen Problemen (noch) keine Chance für einen Ausbildungsplatz oder eine Stelle im regulären Arbeitsmarkt haben. In den verschiedenen AIP-Betrieben können die Teilnehmenden von einem breiten Angebot an Beschäftigungs- und Berufsbildungsplätzen in der Gastronomie, im Detailhandel, im Gemüsebau oder in einer Schreinerei profitieren.
Es ist schön, zu sehen, dass die Jugendlichen voller Elan dabei sind und dankbar, dass wir ihnen eine Tagesstruktur geben. Ein paar wenige sind abgetaucht, auch weil sie grosse Angst haben. Ich merke, dass die Jugendlichen mehr das Gespräch suchen als sonst. Die aktuelle Krise ist tagtäglich ein Thema.
Wir konnten die Jugendlichen schrittweise an die neuen Hygienevorschriften und das Social Distancing vorbereiten. Und wir appellieren immer wieder an die Corona-Massnahmen, aber ich glaube, es braucht auch gesunden Menschenverstand. Gerade Jugendliche leiden besonders stark unter der angeordneten sozialen Isolation.
Mich persönlich bewegt am meisten, wie wir als Stiftung in dieser Krise überleben. Wir sind eine private Non-Profit-Organisation mit über 100 Mitarbeitenden und auf unsere Tagesgeschäfte, wie die Restauranteinnahmen angewiesen. Wir versuchen, tagtäglich unser Bestes zu geben, damit wir weiterhin die Jugendlichen ausbilden und beschäftigen können.
Mit Gastronomie und Sozialarbeit sind wir ein schnelllebiger Betrieb. Das Stück Entschleunigung, das der Stillstand mit sich bringt, merken wir auch. Mittlerweile habe ich das schätzen gelernt. Ich bin stolz, dass wir uns so rasch den neuen Herausforderungen anpassen konnten – und dass es uns gelungen ist, trotz der Ungewissheit den Jugendlichen Halt geben zu können.»
Serie zum Thema «Leben mit dem Virus»
Wie tickt die Schweiz in Zeiten von Corona? In einer Artikelserie lässt «Bluewin» Menschen über ihren neuen Alltag erzählen. Die Porträtierten kommen aus unterschiedlichen Berufen und schildern ihre eigenen Herausforderungen wie Chancen, die die Krise mit sich bringt.
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