Kolumne Wartezimmer beim Arzt? Früher mal geliebt

Anja Knabenhans

12.4.2019

 «Bluewin»-Kolumnistin Anja Knabenhans liebt Wartezimmer. Beziehungsweise: Sie liebte sie. Bevor sie Kinder hatte.
«Bluewin»-Kolumnistin Anja Knabenhans liebt Wartezimmer. Beziehungsweise: Sie liebte sie. Bevor sie Kinder hatte.
Bild: Getty Images

Allein wie früher oder nun mit Kindern im Wartezimmer – es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. 

Ich liebe Wartezimmer. Beziehungsweise: Ich liebte sie. Bevor ich Kinder hatte. Bei Any Working Mom spielen wir gerne das Früher-Heute-Spiel, wo wir unser früheres Leben oder unsere Vorstellungen vom Elternsein mit der Realität gegenchecken.

In Bezug auf Wartezimmer bedeutet das:

Früher: Heftchen lesen. Hochglanzmagazine durchblättern und in die Promiwelt eintauchen. Herausfinden, wer mit wem liiert ist.

Heute: Büchlein vorlesen. Siffige Seiten umblättern und in die Kinderwelt eintauchen. Herausfinden, wer dem Maulwurf auf den Kopf gemacht hat.

Eine Kinderärztin hat mir einmal erklärt, weshalb sie die klebrigen, zerfledderten Bücher in ihrem Wartezimmer nicht gelegentlich austauscht: Neue Bücher werden meistens geklaut. Vor allem, wenn es beliebte Klassiker sind.

Nach dem etwa 30. neuen Exemplar der «Raupe Nimmersatt» hat sie aufgegeben. Im aktuellen Büchlein können die kleinen Leserinnen und Leser nicht mehr nachvollziehen, weshalb die Raupe plötzlich kugelrund ist, weil so viele Seiten fehlen.

Weiter geht’s:

Früher: Den anderen Wartenden zu Begrüssung und Abschied kurz zunicken. Dann die typische Wartezimmerstille geniessen. Sofern nicht gerade ein Kerl mit Männergrippe neben einem dahinsiecht, lautstark natürlich.

Heute: Mit allen reden. Weil der grosse Bub alle anquatscht. Sie alles fragt. Ihnen alles erzählt, lautstark natürlich.

Früher: Das Handy hervorholen und Mails beantworten. Je nach Wartezeit mal endlich den ganzen Stapel abarbeiten.

Heute: Das Handy hervorholen und sofort abgeben. Damit der grosse Bub gamen kann und somit nicht komplett alles aus unserem Leben ausplaudert.

Früher: Warten, bis man seinen Namen hört.

Heute: Seinen Namen zirka 77 Mal in der Minute hören. Meistens mit der angehängten Frage «Wie lange geht es noch?». Mit zunehmender Wartezeit erhöht sich die Kadenz.

Früher: Hoffen, dass kein Notfall dazwischenkommt. Denn irgendwann geht meine Geduld langsam zur Neige. Dann wird’s etwas ungemütlich auf dem Wartezimmerstuhl.

Heute: Hoffen, dass kein Trotzanfall dazwischenkommt. Denn irgendwann ist seine Geduld urplötzlich zu Ende. Dann wird’s sehr ungemütlich im Wartezimmer.

Hier gibt es hier an jedem Freitagmorgen eine Autoren-Kolumne –abwechselnd zu den Themen Mode, Digitales Leben, Essen und Muttersein. Heute: zum Muttersein.

Anja Knabenhans ist Mutter von zwei Buben. Sie ist Chefin der Schreibmaschinerie und Chief Content Officer der Eltern-Plattform Any Working Mom.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite