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Abnehmen Ernährungsberaterin Beatrice Conrad: «Eine Diät führt zu einer Gewichtszunahme»
Mara Ittig
11.2.2018
Gluten, Laktose, Zucker- was dürfen wir noch essen? Und was braucht unser Körper? Essen ist zu einer Glaubenssache geworden. Die Ernährungsberaterin Beatrice Conrad geht dem Thema auf den Grund und räumt auf mit Missverständnissen.
Machen Kohlenhydrate dick und Smoothies schön? Hält Kokosöl die Zellen jung, und macht Schokolade glücklich? – Essen gehört zu den wichtigsten Bedürfnissen des Menschen. Nicht verwunderlich, gibt es unzählige Theorien, Meinungen und Behauptungen dazu. Der Herzspezialist Hugo Saner und die Ernährungsberaterin Beatrice Conrad Frey haben in ihrem Berufsleben während mehr als 35 Jahren viele Ernährungstrends kommen und gehen sehen. Gemeinsam beleuchten sie in ihrem Buch «Ist Essen gesund?» die häufigsten Ernährungsfragen aus wissenschaftlicher Sicht und liefern Antworten.
Wir haben mit der Ernährungsberaterin gesprochen.
Bluewin: Frau Conrad, ist essen gesund?
Beatrice Conrad: Lebensnotwendig. Essen begleitet uns ein Leben lang. Essen kann die Gesundheit erhalten, aber auch krank machen.
Essen hat heute für viele einen enormen Stellenwert. Ist das gut?
Inzwischen gibt es Erkrankungen wie die Orthorexie, also die krankhafte Sucht, sich gesund zu ernähren. Wenn man sich jeden Tag mehrere Stunden damit beschäftigt, sein Essen zu kontrollieren, damit man ja nichts zu sich nimmt, was dem Körper schadet, kann das ein Leben auf den Kopf stellen.
Was verstehen Sie unter «gesundem Essen»?
Gesunde Ernährung bedeutet nicht für jeden Menschen dasselbe.
Wir wissen, dass den meisten Menschen Früchte, Gemüse und Salat guttun. Allerdings wäre es falsch, zu sagen, man solle nur noch Früchte, Gemüse und Salat essen. Ich halte es gerne mit Paracelsus: «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.» Wer sich abwechslungsreich ernährt und auf seinen Körper hört, hat schon vieles richtig gemacht. Es gibt nicht gesunde oder ungesunde Lebensmittel – es ist vielmehr das gesamte Ernährungsmuster eines Menschen, welches unsere Gesundheit beeinflussen kann.
Dann müssen wir einfach auf unser Bauchgefühl hören?
Die meisten haben das verlernt. Auch deswegen ist es gar nicht so gut, wenn man sich allzu intensiv mit dem Thema Ernährung befasst. Wenn sich das Hirn ständig mit Essen beschäftigt, ist es schwierig, auf den Körper zu hören. Babys können das. Und bei Kindern funktioniert es oft auch noch. Hört ein Kind aber ständig: «Iss auf», auch wenn es keinen Hunger mehr hat oder man ihm als Belohnung für sein Verhalten etwas Süsses verspricht, beeinflusst man damit sein Bauchgefühl in Bezug auf ein gesundes Essverhalten.
Apropos Süsses …
… ich halte wenig davon, Kindern Süsses zu verbieten. Muttermilch ist etwas vom ersten, das wir mit Wohlbefinden verbinden - und die ist süss. Und das soll man sich als Kind abgewöhnen? Das entspricht schlicht nicht der menschlichen Natur. Allerdings sollen Kinder lernen, dass Süssigkeiten Genussmittel sind und nicht Mahlzeiten ersetzen.
Mein vierjähriger Sohn würde sich am liebsten von Wienerli und Milch ernähren.
Kinder haben grundsätzlich eine sogenannte Neophobie, also Angst vor Neuem. Man muss ihnen helfen, diese zu überwinden. Ein Kind muss einen neuen Geschmack ungefähr 15-mal probieren, bis es merkt, ob es ihn mag oder nicht. Sie nähern sich einem neuen Geschmack nur langsam an. Wenn man akzeptiert, dass ein Kind nur Wurst und Milch mag - die Kombination aus Milch und Fett ist übrigens sehr nahe an der Muttermilch - bleibt das auch so. Das darf man ja mögen, aber Kinder sollen auch Neues kennenlernen.
Für Kinder ist oft genau das gesund, was sie nicht gerne haben.
Sätze wie: «Jetzt iss deinen Spinat, das ist gut für dich» konditionieren ein Kind. Es lernt, dass alles, was gesund ist, nicht schmeckt. Das bleibt haften. Kinder sollen aber lernen, vielseitig und abwechslungsreich zu essen.
Kommen viele Erwachsene zu Ihnen, die lernen müssen, wie man sich «richtig» ernährt?
Ja, in dem vielfältigen Angebot verliert der Mensch oft die Orientierung. Ich berate viele Menschen mit grossen Unsicherheiten bezüglich Ernährung.
Wie kann man es denn besser machen?
Wenn wir uns angewöhnen würden, Zmorge, Zmittag und Znacht gemeinsam an einem Tisch einzunehmen, und die Mahlzeiten abwechslungsreich gestaltet sind, wäre schon viel geregelt. Pausen zwischen den Mahlzeiten sind wichtig.
Wieso keine Snacks?
Für die meisten Erwachsenen sind drei Mahlzeiten pro Tag ausreichend. Das gilt nicht für sehr dünne Menschen mit einem aktiven Stoffwechsel oder Menschen mit Magenproblemen. Auch Kinder, Sportler und Schwerarbeiter haben einen erhöhten Energiebedarf und brauchen daher eher Zwischenmahlzeiten.
Immer mehr Menschen halten sich aber nicht daran und lassen das Frühstück weg. So geraten sie während dem Vormittag energetisch ins Hintertreffen, fangen erst am Mittag an zu essen und snacken während dem Nachmittag, um das Defizit zu kompensieren. Der Essensrhytmus ist somit gestört – das wiederum kann gesundheitliche Folgen haben und sich auch auf das Gewicht auswirken.
Magazine wollen uns ständig irgendwelche Wunder-Diäten oder Abnehm-Tricks anpreisen...
Fakt ist: Eine Diät führt zu einer Gewichtszunahme. Fast jede Diät funktioniert, wenn man sie zu 100 Prozent durchhält. Das Problem ist nur: Die Vorschriften sind langfristig nicht alltagstauglich. Entweder man bleibt dran und riskiert ein gestörtes Essverhalten oder man bricht ab und nimmt wieder zu.
Bei den meisten Diäten wird auf Zucker verzichtet. Das hilft bei vielen schon sehr. Wenn man zusätzlich die fettreichen Lebensmittel weglässt und dann noch viel Salat und Gemüse isst, - grundsätzlich alles Dinge, die wir auch empfehlen, einfach nicht so extrem - führt das garantiert zum Erfolg.
Werden Kohlenhydrate zu Unrecht verteufelt?
Kohlenhydrate sind wichtige Energielieferanten und sind unter Anderem zuständig für die Stoffwechselaktivität. Sie machen rund 50 Prozent einer abwechslungsreichen Ernährung aus. Viele lassen die offensichtlichen Kohlehydrate-Lieferanten wie Stärkebeilagen, also Brot oder Teigwaren weg. Besser wäre es aber, sich zu überlegen, wo man versteckte Kohlenhydrate in Form von Zucker einsparen kann, etwa in industriell hergestelltem Joghurt oder Süssgetränken
Wir wissen zudem, dass der Körper als erstes die Verbrennung drosselt, wenn wir Kohlenhydrate weglassen. Man hört auch oft, wir müssten Kohlenhydrate einsparen, weil wir uns nicht genügend bewegen. Das ist keine Lösung. Mangelnde Bewegung ist per se ein Gesundheitsrisiko, welches man nicht kompensieren kann, indem man weniger Brot oder Kartoffeln isst.
Da läuft heute einiges falsch. Viele Leute sehnen sich danach, schnell viel abzunehmen; schlanke Menschen wollen noch dünner werden. Das funktioniert nicht mit einer ausgewogenen Ernährung, sondern nur, wenn man sich extrem einschränkt.
Auch die Paleo-Diät empfiehlt zum Beispiel, auf Kohlenhydrate zu verzichten und dafür viel Fleisch und Salat zu essen. Als ganzheitlich denkender Mensch gibt mir das wirklich zu denken. Was passiert, wenn die Weltbevölkerung kein Getreide mehr isst? Was hat eine so immense Fleischproduktion für Folgen? Diese Fragen sollten wir uns in dem Kontext auch stellen!
Aus ökologischer Sicht würden wir demnach am besten ganz auf Fleisch verzichten - und aus gesundheitlicher?
Wir müssen überhaupt nicht darauf verzichten. Würden wir alle nur so wenig Fleisch essen wie empfohlen, hätten wir deutlich weniger Probleme – auch aus ökologischer Sicht. Letztes Jahr wurde die erste nationale Verzehrstudie für die Schweiz veröffentlich: Der Durchschnittsschweizer konsumiert etwa dreimal so viel Fleisch wie empfohlen. Wir essen gar nicht zu viel Kartoffeln, Teigwaren, Reis und Brot, sondern viel zu viel Fleisch. Und da eine Diät zu proklamieren, die nur aus Fleisch und Salat besteht, finde ich etwas dekadent.
Fehlt Ihnen das gesunde Mittelmass?
Eine gesunde Mischung und gesundes Augenmass fehlen mir manchmal völlig. Man darf auch mal Pommes Frites essen. Ich glaube nicht, dass man Pommes Frites anders zubereiten sollte, damit sie gesünder werden. Eher sollten wir den Konsum dosieren.
Ums Thema Milch tobt gerade eine grosse Polemik. Die einen sagen, es sei wider die Natur Milch zu trinken, der Mensch die einzige Spezies, die Muttermilch eines anderen Tieres trinke. Die anderen behaupten, unser Körper benötige Milchprodukte. Was ist Ihre Meinung?
Was wir brauchen und was nicht, hängt stark von der Genetik ab. Unsere genetische Ausstattung und unsere Verdauungsenzyme passen sich unserer Ernährungsumgebung an. Das entwickelt sich nicht innert zwei, drei Jahren, sondern über Generationen. Asiaten vertragen zum Beispiel Milch tatsächlich nicht gut. Wir Schweizerinnen und Schweizer leben aber in einem Land, in dem Milchwirtschaft betrieben wird und sind entsprechend darauf ausgerichtet, Milch zu verarbeiten und zu verdauen. Milch enthält viele wertvolle Nährstoffe wie Kalzium oder Phosphor, und die sind wichtig für den Aufbau von Knochen. Wir sind es gewohnt, mit Milchprodukten aufzuwachsen. Und die meisten vertragen sie auch. Wissenschaftliche Studien widerlegen negative Wirkungen des Milchkonsums. Innerhalb einer abwechslungsreichen Ernährung hierzulande sind Milchprodukte eine gute Ergänzung zum Fleisch und auch ein guter Fleisch-Ersatz und Kalzium-Lieferant.
Wenn man Milch verträgt, soll man sie trinken, sofern man sie mag.
Ist Bio gesünder?
Das kann man so nicht grundsätzlich sagen. Der Trend zu Bio-Lebensmitteln mag ein guter Gedanken-Anstoss sein, zur Umwelt Sorge zu tragen und sich zu fragen, wie etwas produziert wird. Rein wissenschaftlich betrachtet unterscheiden sich die Inhaltsstoffe nicht. Die Reglementierung für die Verwendung von Pestiziden ist in der Schweiz auf einem hohen Niveau. Regional und saisonal einzukaufen ist sicher besser als konsequent auf Bio zu setzen und dabei die Herrkunft der Produkte nicht zu beachten.
Gilt das auch für Fleisch?
Ich vertraue Schweizer Fleisch. Auch hier hängt viel von der Menge ab. Wenn wir nicht so viel Fleisch essen, können wir ja ein bisschen mehr dafür ausgeben.
Auch hier gilt es, das Augenmass nicht zu verlieren – es ist sinnvoller verschiedene Fleischsorten und alle Teile des Tieres zu essen und dabei Mass zu halten, als nur auf Poulet und Fisch zu setzen, welches gemeinhin als gesund gilt, und dabei Unmengen zu konsumieren.
Das scheint der rote Faden zu sein: Vielseitig und massvoll...
Auf jeden Fall. Man kann sich auch mal überlegen, wie die eigene Grossmutter gekocht hat. Gerade mit älteren Menschen muss ich oft nicht besprechen, wie sich eine ausgewogene Mahlzeit zusammensetzt. Das ist für sie so normal. Und das wäre für uns alle gar nicht so schlecht.
Zur Person
Beatrice Conrad Frey, 1963 in Interlaken geboren, wurde 1984 als Ernährungsberaterin diplomiert. Nach Tätig-keiten in verschiedenen Spitälern hat sie 1990 ihre Ernährungsberatungspraxis im bernischen Langenthal eröffnet.
Zum Buch
Das Buch ist im Handel erhältlich oder kann online unter ww.istessengesund.ch bestellt werden. Beatrice Conrad Frey/ Hugo Saner: Ist essen gesund? Dichtung und Wahrheit – leicht verdaulich, 123 Seiten, Fr. 29.80, SBN Nummer 978-3-033-06511-6
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