SprachpflegerDie liebe Wortverwandtschaft und ihre Tücken
Von Mark Salvisberg
28.5.2021
«Die Einheimischen sind uns wohlgesonnen» – ein klassischer Fehler. Er entsteht, weil sich manche Wörter verschiedener Bedeutung gleichen. Und schnell sei man auf dem Holzweg, weiss der Sprachpfleger.
Von Mark Salvisberg
28.05.2021, 14:04
28.05.2021, 14:34
Mark Salvisberg
Ein Wort hat mit einem andern eine Silbe gemeinsam. Eigentlich endet dort die Ähnlichkeit, doch manche lassen sich durch diese täuschen, am Ende geraten Inhalte durcheinander.
Gesinnt/gesonnen
Das Adjektiv gesinnt wird von Sinn abgeleitet; gemeint ist die persönliche Haltung: Ist jemand einer Person gegenüber positiv eingestellt, ist er ihr freundlich gesinnt oder wohl gesinnt; falls das Gegenteil zutrifft: feindlich gesinnt.
Das andere gesonnen (sein), das Adjektiv, meint die Absicht haben,etwas zu tun: Sie ist gesonnen, diesen Weg zu gehen.
Dann gibt es noch das Partizip gesonnen. Es wird vom Verb sinnenabgeleitet und bedeutet geistig versunken über etwas nachgedacht oder nach etwas getrachtet. Zum Beispiel nach Rache: Er sinnt auf Rache / Er hat auf Rache gesonnen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Verwechslung: Er war ihm nicht «wohlgesonnen». Dieses Wort ist reine Umgangssprache.
Bewegt/bewogen
Ins gleiche Schema passt das Verb bewegen. Wenn bewegen als sportliche Aktivität gemeint ist oder als Ausdruck des Bewegt-Seins, bleibt die Stammsilbe unverändert: Er bewegt/bewegte sich täglich während einer Stunde; ihre Worte bewegen/bewegtendie Gemeinde tief.
Geht es um einen Sinneswandel, wird aus der schwachen eine starke Beugung, und das Wort klingt völlig anders: Was bewegt sie zu dieser Tat? / ... hat sie zu dieser Tat bewogen? (Nicht: ... hat sie zu dieser Tat «bewegt»?)
Gewohnt/gewöhnt
Diesen Fehler leistet sich vor allem die Schweizer Sprachgemeinschaft: Er ist sich solches Wetter gewohnt. Gewohnt gehört zu den Adjektiven, diese haben kein Reflexivpronomen (hier: sich).
Gewöhnt, ein Partizip, im Unterschied dazu, ist rückbezüglich. Die Grundform lautet: sich (an etwas) gewöhnen; im Weiteren schliesst es im Gegensatz zu gewohnt eine bewusste Gewöhnung ein: Er hat sich an das Medikament gewöhnt. Regelkonformerweise muss es heissen: Er ist solches Wetter gewohnt, er ist es gewohnt.
Reissend/reisserisch
In folgendem Beispiel hat sich eine Sprecherin des ORF einen Patzer geleistet. Sie erzählte von tagelangen Regenfällen, die Folge davon seien «reisserische» Flüsse gewesen. Nein, ich glaube nicht, dass etwa die Belegschaft der «Bild»-Zeitung eine Flussfahrt unternommen hatte. Reisserisch meint auf wohlfeile, schrille Art Aufmerksamkeit erregen. Die Frau im Hintergrund hätte besser das Wort reissend gewählt.
Ein (für Zuhörer) dankbarer Fehler. Auch reisserisch und reissend haben eine gewisse inhaltliche Nähe und sind doch meilenweit voneinander entfernt. Nun ja, wenn schon nicht korrekt, dann wenigstens hinreissend komisch.
Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.
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