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Schicksal Die Geschichte von Tendol Gyalzur ist eine, die man kaum glauben kann
Von Tanja Polli
24.10.2019
Dass sich der Dalai Lama ihrer persönlich annahm? Grosses Glück. Flucht nach Indien, Jahre in Deutschland, der Schweiz – und dann kümmerte sich Tendol Gyalzur in Tibet um 300 Kinder. Ein Buch erzählt diese unfassbare Geschichte.
Tendol Gyalzur weiss nicht, wann sie geboren wurde. Nicht, in welchem Jahr, und schon gar nicht, an welchem Tag. Sie ist sich aber sicher, dass sie im Oktober 1950, als vierzigtausend Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Tibet einmarschierten, noch nicht auf der Welt war.
Neun Jahre später, im März 1959, floh der Dalai Lama nach Indien, wo er heute noch lebt. Unzählige Tibeterinnen und Tibeter taten es ihm gleich. Unter den Fliehenden war auch Tendols Familie. Tendol erinnert sich an Schüsse. Im Getümmel verliert sie Mutter, Vater und Bruder aus den Augen. Sie wird alle drei nie mehr wiedersehen.
Jahre später nimmt sich Seine Heiligkeit der Dalai Lama des Waisenmädchens persönlich an, schickt es nach Deutschland, wo es zusammen mit elf anderen tibetischen Waisen in Wahlwies in einem Pestalozzi-Dorf aufwächst. Nachdem Tendol ihren späteren Mann Lobsang Tsultim Gyalzur kennengelernt hat, kommt sie in die Schweiz.
Die beiden heiraten und werden Eltern von zwei Buben. Als die Söhne vierzehn und sechzehn Jahre alt sind, kehrt Tendol zum ersten Mal nach Lhasa zurück. Allein. Sie steht vor dem Potala-Palast und realisiert, dass an diesem heiligen Ort Kinder auf der Strasse leben, hungern. Kinder, wie sie eines war. Tendol kann nicht anders, sie bleibt. Mit ihren bescheidenen Ersparnissen eröffnet sie das erste Waisenhaus Tibets.
Heute sind Tendol und Lobsang Ersatzeltern von über 300 tibetischen und chinesischen Kindern. Autorin Tanja Polli hat die unglaubliche Lebensgeschichte von Tendol Gyalzur aufgeschrieben.
«Bluewin» publiziert das Kapitel «Die Flucht» aus dem neuen Buch «Ein Leben für die Kinder Tibets – Die unglaubliche Geschichte der Tendol Gyalzur» als exklusiven Vorabdruck. Die Leserinnen und Leser können zudem am Ende der Geschichte das Buch zu einem vergünstigten Preis direkt beim Verlag bestellen.
Es handelt sich hier um einen originalen Textauszug. Deshalb erfolgten keine Anpassungen gemäss «Bluewin»-Regeln.
Die Flucht
Am Anfang war es ein Spiel. Tendol aus Lhasa, ungefähr siebenjährig, genoss das rhythmische Schaukeln auf dem Rücken des kleinen, kräftigen Pferdes. «Wir gehen auf eine Reise», hatten ihre Eltern gesagt. Es war dunkel, eine Nacht im Jahr 1959. Ein fremder Mann hatte sie auf dem Rücken des Tiers festgebunden. Es ist Tendols früheste Kindheitserinnerung.
Was davor passierte und was mit ihren Eltern geschah, weiss sie bis heute nicht. Sie trug damals ihr bestes Kleid. Die Nacht war kühl, der warme Atem des Pferdes bildete kleine Wölkchen. Das Mädchen mit den langen schwarzen Zöpfen zählte die Sterne, die zu Tausenden am pechschwarzen Himmel funkelten. Wenn das Pferd schnaubte, zuckte Tendol zusammen. Und sie fragte sich, wer diese Frau war, die ihr Pferd führte.
Die Frau trug eine tibetische Tracht, ihre glänzenden schwarzen Haare waren zu einem Dutt gebunden, aus der Tasche, die sie auf dem Rücken trug, lugte der Hals eines Streichinstruments. Sie sprach kaum. Tendol hatte sie noch nie gesehen, genauso wenig wie die vielen anderen Frauen, Männer und Kinder, die mit ihr meist schweigend durch die Nacht wanderten. Auch ein fremder Hund trottete mit. Tendol fühlte sich einsam, denn ihr Vater kam nicht, um die engen Seile zu lösen, die ihr die Beine abschnürten, die Mutter nicht, um ihr gute Nacht zu sagen. Irgendwann schlief Tendol ein, verfiel in unruhige Träume.
Nach dieser ersten Nacht auf dem Pferderücken folgten weitere, dazwischen endlos scheinende Tage. Heute weiss Tendol, dass die Reise von Tibet nach Bhutan führte. Endlose Märsche durch Wälder, Täler und über schneebedeckte Pässe. Oft war das kleine Mädchen hungrig, manchmal bis auf die Knochen durchfroren. Tendol spürte, dass es ihr nicht zustand, Fragen zu stellen. Sie fürchtete die Reaktion der wortkargen Frau, die sie zurechtwies, wenn sie weinte.
In den wenigen Stunden, die das Mädchen schlief, träumte es von einem grossen jungen Mann. Sein dunkles Haar reichte ihm bis über die Schultern, und er trug eine reich verzierte tibetische Tracht. Der junge Mann war der freundlichste Mensch, den Tendol je gesehen hatte, und er versprach ihr, sie ein Leben lang zu beschützen. Zwei Worte fielen Tendol dazu immer wieder ein: «Dhara Tsang». Sie hatte keine Ahnung, was sie zu bedeuten hatten.
Heute ist diese Tendol, deren Namen sich aus den beiden tibetischen Bezeichnungen «Tenzin» (Verteidiger des Glaubens) und «Dolkar» (Bodhisattva – erleuchtetes Wesen – des Mitgefühls) zusammensetzt, ungefähr achtundsechzig Jahre alt. Ihr Name weist darauf hin, dass ihre Eltern «Gelugpas», Anhänger der Gelbmützen, waren. Mitglieder also jener buddhistischen Schule, deren Gelehrter Sonam Gyatso im 16. Jahrhundert als Erster den Titel «Dalai Lama» verliehen bekam. Soweit Tendol heute weiss, wurde sie in Shigatse, im südwestlichen Tibet, geboren. Sie hatte vermutlich einen älteren Bruder und Eltern, die in Lhasa erfolgreich mit Textilien handelten.
Als ich Tendol zum ersten Mal zu einem Interview für dieses Buch treffe, empfängt sie mich in Rapperswil, in einer Wohnung, die ihrem jüngeren Sohn gehört. Das Sofa hat sie mit Tüchern bedeckt, um es vor Gebrauchsspuren zu schützen. Die Frau, die ich als unermüdliche Kämpferin kennen lernen werde, trägt ein einfaches T-Shirt und eine Pyjamahose. Sie fährt sich mit den Händen durch das kurze schwarze Haar und fragt die Besucherin, ob die neue Frisur gefalle. Dann steht sie auf, macht tibetischen Tee mit viel Zucker und breitet auf dem Couchtisch Fotos aus. Diese zeigen Kinder: lachende, weinende, Kinder mit schmutzigen Gesichtern und zerrissenen Kleidern.
Mehrere Jahrzehnte nach Tendols überstürzter Abreise aus Tibet weiss sie, dass damals rund achtzigtausend Tibeterinnen und Tibeter mit ihr geflohen sind. Und sie ahnt, wer der Mann in ihren Träumen gewesen sein muss: ihr älterer Bruder. Sie hat ihn nie wiedergesehen, genauso wenig wie ihre Eltern.
Obwohl Tendol kein Kleinkind mehr war, als die seit 1950 in Tibet präsente chinesische Armee 1959 nach einem Aufstand der Bevölkerung tausende Tibeter – darunter den 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso – in die Flucht schlug, findet sie in ihrem Kopf kein Bild von Mutter und Vater. Da ist nur dieser Hauch einer Erinnerung an Schüsse und die Leere danach. Und diese innere Unruhe, die sie bis heute erfasst, wenn sie Gewehrsalven hört. Wie lange sie damals, vor fast sechzig Jahren, unterwegs war, weiss niemand. Wochen müssen es gewesen sein, Monate vielleicht. Zu essen gab es dann, wenn die Frau, die Tendols Reittier führte, in einem der Dörfer Musik machen konnte und als Dank Almosen erhielt. Das Streichinstrument, das seltsam weinerliche Töne von sich gab, trug sie immer bei sich.
Es muss kurz hinter der Grenze in Bhutan gewesen sein, diese Bilder hat Tendol noch genau vor Augen: Sie erinnert sich, dass die Menschen anders sprachen, die Frauen die Haare kurz trugen und ihre Beine unter den Chubas, den traditionellen Mantelkleidern, die man auch in Tibet trug, nackt waren. In einem der bhutanischen Dörfer befahl die Frau, die Tendols Pferd führte, dem Mädchen, abzusteigen. «Zieh dein Kleid aus!», herrschte sie es an. Tendol stieg ab, zog sich aus. Und die Frau tauschte ihr schönstes Kleid gegen eine viel zu grosse, abgetragene Chuba. Tendol hätte am liebsten losgeheult. Immerhin erhielt die Gruppe dafür Tsampa, geröstete Hochlandgerste, die nährte und satt machte. Die Frauen im Dorf waren freundlich.
Tendol erinnert sich nur an unzusammenhängende Sequenzen. Doch eine Nacht blieb in ihrem Gedächtnis haften: Sie war aufgewacht, war ganz allein. Sie lag auf einer Decke vor einem grossen Haus. Von der Anführerin ihrer Gruppe keine Spur, genauso wenig von den anderen Familien, die mit ihr unterwegs gewesen waren. In diesem Moment, sagt Tendol Gyalzur rückblickend, sei etwas mit ihr passiert. «Ich habe realisiert, dass ich selber auf mich aufpassen musste, wenn ich überleben wollte. Dass es da niemanden mehr gab, dem ich vertrauen konnte.» Sie stand auf, schlich sich aus dem Dorf und rannte. So schnell sie konnte. Sie musste die Gruppe einholen.
Obwohl sie ahnte, dass die Anführerin sie mit Absicht zurückgelassen hatte, war diese Frau die einzige Bezugsperson, die sie hatte. Wahrscheinlich, sagt Tendol heute, sei das damals ein weiterer Tauschhandel gewesen: Arbeitskraft gegen Essen. Es grenzt an ein Wunder, aber das kleine Mädchen holte die Gruppe tatsächlich ein. Erschöpft bettelte es darum, wieder aufgenommen zu werden. Die Anführerin nickte stumm – sei es aus Mitgefühl oder weil sie begriff, dass sie jetzt beides, sowohl Kind wie Esswaren, hatte.
Irgendwann auf der weiteren Reise, erinnert sich Tendol, habe sich die Vegetation verändert. Die Wälder seien dichter geworden, die Luft schwerer. Die Gruppe hatte die Himalaja-Region wohl verlassen, war im schwülen Klima Indiens angekommen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Tendol Elefanten, wenn auch nur aus der Ferne – und von nahem Schlangen. Das kleine Pferd schnaubte laut und tänzelte, Tendol klammerte sich mit ihren kleinen Fingern an der Mähne des Tiers fest. Schlimmer aber als die Schlangen waren die Blutegel, die sich an Beinen, Bauch und Armen festsaugten. Der Hund, der die Flüchtenden begleitete, brach irgendwann zusammen.
Weitere lange Tage und kurze Nächte später schaffte es die Gruppe ins Flüchtlingslager Baksa in Nordostindien. Bei der Ankunft waren zwar alle erschöpft, ausgehungert, aber offenbar war unterwegs niemand gestorben. Tendol erinnert sich an das Zusammentreffen der verschiedenen Flüchtlingsgruppen im Auffanglager. An die grossen Militärbaracken, an die Häuser auf Stelzen, an Schweine und Hühner, die frei umherliefen. Die Atmosphäre im Lager wirkte auf sie gespenstisch, überall Schlamm und Dreck, überall sassen Männer, Frauen und Kinder in schmutzigen Kleidern, viele schienen krank. In den langen Bambushütten drängten sich Körper an Körper, draussen lagen Menschen auf improvisierten Schlafplätzen. Wer Holz fand, machte ein kleines Feuer und kochte Tee. Ein Bild taucht bis heute in Tendols Träumen auf: jenes des alten Mannes, der sein Lager neben der gemeinschaftlichen Müllhalde aufgeschlagen hatte und laut herumschrie. Er machte ihr Angst. Still wurde er nur, wenn ihm jemand etwas zu essen brachte.
Wie sie sich damals gefühlt hatte, kann Tendol nicht mehr genau sagen. «Ich war einfach traurig, und ich verspürte starke Sehnsucht nach dem jungen Mann in meinen Träumen. Ich war mir sicher, dass ich ihn eines Tages treffen würde. Das hat mich am Leben erhalten.» Trotz schwierigen Verhältnissen im Flüchtlingslager, sagt Tendol, sei die Ankunft dort eine Erleichterung gewesen. Die anderen Kinder und all die Tibeterinnen und Tibeter, die ihr versicherten, dass man bald gemeinsam zurückkehren werde ins geliebte Heimatland, trösteten sie. Aber daraus sollte noch lange nichts werden.
Monate später wurde der kleinen Tendol eröffnet, dass sie in ein paar Wochen nach Dharamsala reisen würde, in ein Auffanglager des Dalai Lama. Der Eintritt in den Empfangsraum des Dalai Lama war für das Mädchen ein Schock. Es hatte einen prunkvollen Saal erwartet, voller Juwelen und goldbesetzten Statuen. Auch der Dalai Lama selber sah nicht so aus, wie Tendol ihn sich vorgestellt hatte. Er trug weder Krone noch Seidenkleider, nur das Mönchsgewand, das ihr von den gewöhnlichen Mönchen bekannt war. Und doch war Tendol so von Emotionen ergriffen, dass sie kein Wort herausbrachte, als der Dalai Lama zu ihnen sprach. «Ihr seid die Samen der Blumen, die später in Tibet blühen werden, und wie Dotter der Eier voller Lebenskraft. Macht von eurem Glück Gebrauch und teilt es mit anderen.»
In diesem Moment versprach Tendol aus tiefstem Herzen, ihr Bestes zu geben. Eines Tages würde sie den Dalai Lama wiedersehen, und er würde stolz auf sie sein.
Leseraktion: «Ein Leben für die Kinder Tibets»
Die Leserinnen und Leser von «Bluewin» können das Buch «Ein Leben für die Kinder Tibets – Die unglaubliche Geschichte der Tendol Gyalzur» unter dem Codewort bw19kt zum Spezialpreis von 32.90 statt Fr. 36.90 (inkl. Porto und Verpackung) bestellen. Entweder direkt über die Website: www.woerterseh.ch, per Mail: leserangebot@woerterseh.ch oder telefonisch unter: 044 368 33 68. Bitte Codewort nicht vergessen!