Paartherapeutin über Streit in der Beziehung«Der Versöhnungssex als Belohnung kommt durchaus vor»
Bruno Bötschi
7.9.2024
Von hitzigen Diskussionen bis zu eiskaltem Schweigen: Streitereien in Beziehungen gehören dazu. Paartherapeutin Bettina Disler erklärt, mit welcher Methode ein Paar schneller zum Kern des Problems kommen kann.
Bruno Bötschi
07.09.2024, 16:12
18.09.2024, 16:23
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Manche Konflikte sitzen derart tief, dass Paare aus dem Streit nicht mehr herausfinden.
«Es klingt vielleicht absurd», sagt Bettina Disler im Interview mit blue News, «doch solange das Gegenüber mit einem streitet, solange bin ich ihr oder ihm nicht egal.»
Danach erklärt die Paartherapeutin, wie zwei zerstrittene Menschen einen gemeinsamen Umgang in einer Krise finden, der für beide Seiten funktionieren kann.
Frau Disler, in der Bibel heisst es: «Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.» Vor allem die katholische Kirche nimmt diesen Satz sehr ernst. Kann man eine Beziehung, die nicht mehr funktioniert, retten?
Was genau meinen Sie mit «nicht mehr funktionieren»?
Ich rede von einer Beziehung, in welcher täglich lautstark gestritten wird und sich die Partner regelmässig verbal verletzen.
Wenn sich zwei Menschen oft verbal verletzen, macht das ein Teil ihrer Beziehung aus. Die Frage stellt sich: Wenn dieser Teil wegfallen soll, was tritt stattdessen an diese Stelle?
Das verstehe ich jetzt nicht ganz.
Um den Grund für das Streiten zu verstehen, kann zwischen der Funktion und dem Inhalt unterschieden werden, und oftmals geht es nicht nur um den Inhalt.
Zur Person: Bettina Disler
Bild: zVg
Bettina Disler ist systemische Paar- und Sexualberaterin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS). Nach ihrem Regiestudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und an der New York Film Academy (NYFA) inszenierte sie mehrere Opern und Filme. Später folgten ein Masterstudiengang in sexueller Gesundheit an der Hochschule für soziale Arbeit Luzern (HSLU) und in systemischer Sexualtherapie bei der Internationalen Gesellschaft für systemische Therapie in Heidelberg (IGST) sowie zahlreiche Weiterbildungen. Disler lebt und arbeitet in Zürich.
Sondern?
Streiten kann auch eine Form von Kontaktaufnahme sein. Es klingt vielleicht absurd, doch solange das Gegenüber mit einem streitet, solange bin ich ihr oder ihm nicht egal. Es geht oftmals auch darum, einander zu spüren: Reibung erzeugt bekanntlich Wärme.
Es wird immer wieder behauptet, Paare streiten auch deshalb, um danach tollen Versöhnungssex miteinander zu haben. Wahr oder nicht?
Der Versöhnungssex als Belohnung kommt durchaus vor. Streiten kann aber auch die Funktion haben, Distanz zwischen die Beteiligten zu bringen – etwa dann, wenn ein Paar zu sehr aufeinander hockt. In einem solchen Fall ist das eine Frage der Nähe-Distanz-Balance eines Paares.
Wie findet man als Paar einen gemeinsamen Umgang in einer Krise, der für beide Seiten funktionieren kann?
Indem man beispielsweise zusammen eine Paarberatung aufsucht, je früher, desto besser. Es geht darum, sich als Paar die Zeit und den Raum zu nehmen. Einander so auszutauschen, dass sich beide verstanden fühlen, um dann gemeinsam eine Lösung zu finden, wie sie als Team wieder aus der Krise herausgehen wollen.
Gibt es konkrete Anzeichen, die darauf hindeuten, dass ein Termin bei der Paarberatung dringend nötig ist?
Wenn ein Paar das Gefühl hat, in einer Sackgasse zu stecken, ist das sicher kein schlechter Zeitpunkt, um gemeinsam mit einer neutralen Person den Weg wieder aufzunehmen.
Warum fällt es Paaren so schwer, sich mit der eigenen Beziehung zu beschäftigen?
In der Schule lernen wir leider nicht, wie Beziehungen gestaltet werden können, und deshalb fühlen sich einige mit diesem Thema überfordert. Man schaut einen Grossteil bei den Eltern ab, wie oder eben gerade wie nicht, und versucht es dann bei der eigenen Beziehung dementsprechend zu handhaben.
Interessanterweise wählen wir Personen aus, die in einigen Punkten anders als wir selbst sind – gerade weil wir intuitiv wissen, dass wir an diesen Unterschieden aneinander wachsen können. Wachsen geht aber mit einer Veränderung einher, und sich dafür zu öffnen, ist für viele nicht einfach.
Hat das Nichtbeschäftigen mit der eigenen Beziehung möglicherweise mit der Angst zu tun, die Partnerschaft kaputtzumachen?
Die Frage verstehe ich jetzt nicht ganz. Wenn man sich nicht für seine Partnerschaft interessiert, warum ist man dann überhaupt in einer? Sie gründen ja auch keine Firma und beschäftigen sich nicht damit – ausser Sie planen, bald Konkurs anzumelden.
Sie haben mich falsch verstanden: Wer sich mit seiner Ehe beschäftigt, sieht darin oft schon den ersten Beweis, dass es ein Problem gibt …
… oder sie oder er ist lösungsorientiert.
Machen Sie bestimmte Übungen mit zerstrittenen Paaren, die zu Ihnen kommen?
Ja. Wir schauen zusammen an, wie das Paar vom Streiten ins Verhandeln wechseln kann.
Wie funktioniert das?
Es geht darum, zu verstehen, was für eine Funktion der Sender und der Empfänger in einem Gespräch haben und welche Post hin- und hergeschickt wird.
Beim Streiten bombardieren sich die Paare mit schmerzhaften Vorwürfen, beim Verhandeln senden sie sich Botschaften, die sie auf ihrem Weg weiterbringen. Das Gute ist, es lassen sich fast alle Vorwürfe in konstruktive Botschaften wandeln.
Wie wirken die Paare auf Sie bei der nächsten Sitzung?
Sie sind interessiert, gemeinsam weiterzukommen, und motiviert, trotz unterschiedlicher Positionen einen Konsens zu finden. Oftmals ist es nicht mehr ein Gegeneinander, sondern das Bewusstsein für ein Miteinander, also Teamwork steht im Raum.
Wie kann Wiedergutmachung gelingen?
Indem sich beide auf den Prozess einlassen und Verantwortung übernehmen. Irgendwann kommen sie an einen Punkt, wo sie das Alte loslassen und sich gemeinsam wieder auf das Jetzt fokussieren können.
Es gibt Paare, die trotz aller Probleme zusammenbleiben. Wann raten Sie zur Trennung?
Ich rate nie zu einer Trennung, genauso wenig rate ich einem Paar, dass es zusammenbleiben soll. Das müssen sie schon selbst entscheiden.
Mehr Videos aus dem Ressort
Bötschi fragt Simon Enzler: «Ich kann so gut fluchen, weil ich Ministrant war»
Simon Enzler ist der Komiker, der am schönsten fluchen kann. Dass der Kabarettist aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden aber auch ruhig und geduldig sein kann, beweist er Bruno Bötschi beim Fliegenfischen.