Fernweh – HeimwehDer schöne Schmerz der «Schweizer Krankheit»
Von Michelle de Oliveira
3.12.2022
Heimweh ist ein urschweizerisches Gefühl. Auch die Kolumnistin kennt es. Seit sie in Portugal lebt, nennt sie es aber lieber «Saudades» – und geniesst das Gefühl sogar.
Von Michelle de Oliveira
03.12.2022, 16:35
31.01.2024, 12:37
Michelle de Oliveira
Ich erinnere mich genau daran, wie es sich angefühlt hat, als das Heimweh mich zu überwältigen drohte.
Ich war damals Anfang 20 und für sechs Monate allein verreist. Erst Tibet, dann Nepal und schliesslich vier Monate Indien. Und dort war es passiert.
Ich lag gekrümmt auf dem dreckigen Boden eines heruntergekommenen Hotelzimmers und konnte mich keine zwei Meter von der Toilette wegbewegen. Nichts blieb in meinem Magen. Doch das war gar nicht mal das Schlimmste.
Ich wollte nur eines: nach Hause
Das Schlimmste war: Es war der 24. Dezember, Heiligabend.
Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg
Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Seit Kurzem lebt sie mit ihrer Familie in Portugal.
Ich wusste, meine Familie würde sich bald treffen, um den geschmückten Weihnachtsbaum sitzen, dem Knistern des Cheminée-Feuers lauschen, viel essen, lachen und Geschenke auspacken.
Mir war Weihnachten noch nie so schön vorgekommen, wie damals aus der Ferne, mit meinem geschundenen Magen und dem Gefühl, ganz allein zu sein. Ich wollte nur eines: nach Hause.
Heimweh wird auch als die «Schweizer Krankheit» – «Morbus helveticus» – bezeichnet, weil sie bereits im 17. Jahrhundert bei im Ausland stationierten Soldaten beobachtet wurde.
Seit ich in Portugal lebe, werde ich immer mal wieder gefragt, ob ich denn Heimweh hätte. Tatsächlich gibt es Dinge, die ich vermisse.
Den Sprung in die Limmat nach einem langen, heissen Arbeitstag. Die klare, eiskalte Bergluft, während sich die blaue Stunde über die Gipfel senkt. Das vibrierende Stadtleben, wo fast alles mit dem Velo erreichbar ist. An diese Dinge denke ich manchmal, seit ich in Santa Cruz, einem Dorf an der Atlantikküste, lebe.
Eine Sehnsucht, die einen träumen lässt
Aber es ist nicht nur die Limmat, es sind nicht bloss die Berge und es ist auch nicht nur das Stadtleben, das ich vermisse. Sondern vor allem die Menschen, mit denen ich diese Momente teilen würde.
Meine Freund*innen und Familie. Dass ich sie spontan treffen kann, wenn mir danach ist. Dass ich ihnen helfen kann, wenn sie mich brauchen. Dass ich sie umarmen und spüren kann, statt ihnen bloss Luftküsse via Bildschirm zu schicken.
In solchen Moment schleicht sich manchmal schon so etwas wie Heimweh ein. Aber eigentlich gefällt mir das portugiesische Worte «Saudades» dafür viel besser.
Es beschreibt eine Sehnsucht, eine Melancholie, die regelrecht zelebriert wird. Heimweh oder eben «Saudades» können auch etwas Schönes haben, wie etwa eine ungelebte Liebe, die für immer im Herzen brennt und es warm hält, die für immer romantisch ist.
Eine Sehnsucht, die einen träumen lässt. Ein Gefühl, dass da noch mehr existiert, als das, was einen in diesem Moment umgibt. Oder eben das Wissen, dass ich an mehr als einem Ort zu Hause bin.
Dieses Jahr werde ich weder in Indien noch in Portugal zu Weihnachten sein. Sondern in der Schweiz mit meinen Liebsten um den geschmückten Weihnachtsbaum sitzen, fein essen, viel lachen und Geschenke auspacken.
Und ganz bestimmt ein kleines bisschen «Saudades» verspüren, weil ich das Meer vor der Haustür vermisse.
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