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Bötschi fragt Cédric Wermuth: «Über das möchte ich öffentlich nicht reden»
Von Bruno Bötschi
2.4.2019
Cédric Wermuth ist einer der pointiertesten SP-Nationalräte, nun will er im Herbst in den Ständerat einziehen. Der 33-jährige Aargauer spricht über Sexismus im Bundeshaus, seine Qualitäten als Hausmann und seine zwei Töchter.
Restaurant Atrio im Hauptbahnhof Zürich, kurz vor halb zehn Uhr morgens: Das Handy des Journalisten piepst: «Der Zug hat aktuell 6 Minuten Verspätung.» – «Kein Problem, ich warte.»
Einige Minuten später steht Cédric Wermuth da. Er trägt einen Rucksack auf seinen breiten Schultern. Na dann, lassen wir gleich los mit den vielen Fragen, denn wir haben ja nicht ewig Zeit.
Herr Wermuth, ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, sagen Sie einfach «weiter».
Das ist gut, ich bin nicht heikel.
Was war der traurigste Moment in Ihrem Leben?
Als meine Mutter starb. Es ist inzwischen fünf Jahre her. Sie war lange krank.
Wie sind Sie mit diesen unangenehmen Gefühlen umgegangen?
Ich bin schlecht im Verarbeiten von so etwas. Zuerst reagierte ich mit Abwehr und Blockade – später habe ich mit der Familie darüber gesprochen. Das war gut und wichtig.
Sind Sie ein guter Verlierer?
Nicht besonders.
Wovor haben Sie Angst?
Das tönt jetzt vielleicht platt, aber seit wir Eltern geworden sind, ist meine grösste Angst, dass unseren Kindern etwas passieren könnte, dass wir sie verlieren könnten. Es ist keine reale Angst, ich weiss, aber dieses Horrorszenario geistert immer wieder durch meinen Kopf.
Muttersöhnchen?
Nein.
Können Sie Ihre Mutter noch mal in wenigen Worten hochleben lassen?
Meine Mutter war einer der herzlichsten Menschen, die ich kennen lernen durfte. Sie war mir immer ein Vorbild und hat mir vieles mitgegeben, was mir bis heute wichtig ist – unter anderem meine Zweisprachigkeit. Meine Mutter ist nach wie vor regelmässig präsent in meinem Leben; etwa, wenn ich mit den Kindern Familien-Fotoalben ansehe.
Danke. Genug Vergangenheit, genug erinnert. Nun: ein paar Fragen zum Hier und Jetzt – zur Familie.
Wie erklären Sie dereinst Ihren Kindern die Ungerechtigkeiten, die es auf der Welt gibt?
Ich versuche, es ihnen bereits heute zu erklären. Unsere ältere Tochter, sie ist vier, ist ein Fan von Demos. Wir waren schon an einer 1.-Mai-Demo, liefen am Schweizer «Women’s March» mit und auch schon an einer Klima-Demo. Ich erkläre den Kindern, warum ich ins Bundeshaus gehe und was ich dort mache. Letzthin hat mich meine ältere Tochter gefragt, warum es Hunger und Armut gibt. Ich finde, wir sollten unseren Kindern keine heile Welt vorspielen. Ich möchte, dass meine Kinder ein Bewusstsein dafür bekommen, dass sie ein privilegiertes Leben haben. Sie sollen deswegen keine Schuldgefühle haben, sie sollen jedoch wissen, dass dies eine gewisse Verantwortung mit sich bringt.
Gibt es bestimmte Werte, die Sie Ihren Kindern mitgeben wollen?
Auf jeden Fall. Gerade weil wir zwei Töchter haben, will ich ihnen mitgeben, dass sie ein Recht auf ein gleichberechtigtes und glückliches Leben haben. Dass es richtig ist, sich für etwas einzusetzen und wichtig, gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Ich möchte ihnen auch mitgeben, dass sie sich für andere Menschen einsetzen sollen.
In was für einer Welt sollen Ihre Kinder aufwachsen?
Sie sollen in einer Welt aufwachsen, in der der Klimawandel keine Bedrohung mehr ist für ihre Zukunft. Früher, wenn ich auf Podien mitdiskutierte, hiess es immer, der Klimawandel betreffe bereits die nächste Generation – mit der Geburt meiner Töchter bekam die nächste Generation ein Gesicht für mich. Meine Kinder sollen in einer Welt aufwachsen, in der sie nicht darum kämpfen müssen, ernst genommen zu werden, nur weil sie Frauen sind. Sie sollen in einer Welt leben können, in der es diese unglaublichen Differenzen zwischen Arm und Reich nicht mehr geben wird. Das ist mein Traum. Aber natürlich ist mir bewusst, wie gering die Chancen sind, dass meine Kinder in so einer Welt gross werden.
Beten Sie mit Ihren Kindern?
Nein.
Singen Sie unter der Dusche?
Ja – zum Leidwesen meiner Familie.
Alles von Ikea in Ihrer Wohnung?
Nein, aber auch.
Welche Bücher liegen auf Ihrem Nachttisch?
Es werden an die 20 Bücher sein, denn ich lese oft parallel. Meine Frau beklagt sich regelmässig, dass der Stapel eher wächst als abnimmt.
Was liegt oder steht sonst noch auf Ihrem Nachttisch?
Mein Natel, meine Kopfhörer, im Moment ein Pack Taschentücher, weil die ganze Familie erkältet ist, diverse Zeitschriften und eine Lampe.
Das muss ein riesiges Nachtischchen sein.
Eben nicht, ich staple.
Wann zuletzt unter freiem Himmel geschlafen?
In einem Zelt geschlafen habe ich im vergangenen August. Ganz unter freiem Himmel ist es schon länger her ... – vor sieben oder acht Jahren, als meine Frau und ich uns kennengelernt haben. Wir schliefen damals bei ihr auf der Dachterrasse.
Ihr Schlafmittel?
Ich schlafe ganz schlecht ein und schaue deshalb oft stundenlang irgendwelche Netflix-Serien oder YouTube-Filme.
Ihr Mittel gegen die berühmte 17-Uhr-Müdigkeit?
Mein Mittagsschlaf. Ich lege, wann immer möglich, einen 20-minütigen Powernap ein.
Auf dem Bürostuhl?
Wenn nötig, dann geht auch das. Eine gute Hilfe gegen die 17-Uhr-Müdigkeit ist zudem Kaffee. Ich leide an einem ziemlichen Koffeinüberschuss.
Was mögen Ihre Freundinnen und Freunde an Ihnen?
Ich glaube meine Grosszügigkeit – und das ist mir auch sehr wichtig.
Angesichts Ihres Erfolgs: Fällt es Ihnen manchmal schwer, Ihren politischen Gegner überhaupt noch ernst zu nehmen?
Das fällt mir gar nicht schwer, weil der Gegner zu gross ist. Und sowieso: Ich halte meine Erfolge bisher für bescheiden.
Was sagte Ihre Frau, als Sie ihr mitteilten, dass Sie im Herbst für den Ständerat kandidieren wollen?
Wenn ich jetzt antworten würde, sie war nur begeistert, dann wäre das übertrieben. Ein solcher Wahlkampf ist für eine Familie auch eine Belastung. Ich gebe zu, ohne ihren den Einsatz und ohne Familie wäre das schlicht nicht möglich.
Sie sagen, Sie seien ein auf Genderfragen sensibilisierter Mann. Was oder wer hat Sie sensibilisiert?
Erstens: meine Mutter. Zweitens: die Frauen innerhalb der SP. Sie brachten mich dazu, feministische Literatur zu lesen. Und drittens: meine Töchter. Sobald man selbst Vater von Töchtern ist, nimmt zum Beispiel die Frage nach Lohngleichheit eine ganz persönliche Dimension an.
Danke, das war nett. Nun müssen wir Sie, Herr Wermuth, aber noch etwas härter rannehmen.
Nach der Bekanntgabe Ihrer Kandidatur gerieten Sie in die Kritik – Sie wurden unter anderem «Frauenverhinderer» genannt.
Natürlich habe ich mich gefragt, ob ich das bin, wenn ich kandidiere. Nach längeren Überlegungen kam ich jedoch zum Schluss: Meine Kandidatur ist okay. Ich verstehe aber all jene, die Yvonne Feri, meine Konkurrentin, unterstützt haben. Entweder weil Yvonne eine sehr gute Nationalrätin ist oder weil sie bewusst für eine Frau votierten. Gleichzeitig möchte ich erwähnen: Die SP Aargau schickt, seit ich Nationalrat bin, immer eine ausgeglichene Delegation nach Bern – längere Zeit waren die Frauen sogar in der Mehrheit. Zudem stellen wir seit bald acht Jahren mit Pascal Bruderer eine SP-Ständerätin. Ich finde meine Kandidatur deshalb legitim.
Warum halten Sie sich persönlich nicht an die Prinzipien, die Sie politisch predigen?
Wer sagt das? Natürlich versuche ich das. Ich sage ja ausdrücklich, man muss diese Frage, ob Frau oder Mann, jedes Mal neu stellen. Das ist absolut wichtig und richtig. Aus diesem Grund verzichtete ich vor zwei Jahren auf eine Kandidatur für die Aargauer Regierung. Die SP stellt mit Urs Hofmann bereits einen Mann im Regierungsrat, deshalb überliess ich Yvonne Feri das Feld.
Sind Sie für Quoten?
Ja. Erst wenn es Quoten gibt, stellt sich die Geschlechterfrage nicht jedes Mal neu. Es muss dann nicht jedes Mal von Neuem die Frage diskutiert werden, ob es legitim ist, eine Frau oder einen Mann aufzustellen.
Was inspiriert Sie?
Im Moment mache ich gerade eine Tour durch den Kanton Aargau und treffe Menschen, die mich zu sich nach Hause einladen. Es ist inspirierend, wenn einem die Leute ihre Geschichte erzählen. Mich inspirieren zudem Menschen, die sich gegen Konventionen einsetzen – wie etwa die neue US-amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Es ist wichtig, sich ab und zu über Regeln hinwegzusetzen, wenn es einer guten und wichtigen Sache dient. Diesen Mut hätte ich manchmal auch gern.
Was können Frauen besser als Männer?
Ich weiss nicht, ob Frauen generell etwas besser können als Männer. Im politischen Umfeld stelle ich jedoch fest, dass Frauen sorgfältiger arbeiten.
Was können Männer besser als Frauen?
Sich selber in den Vordergrund stellen.
Ist Ihre Familienplanung abgeschlossen?
Das ist gerade eine grosse Diskussion (lacht). Ich glaube, mit 33 kann ich diese Frage noch nicht abschliessend beantworten.
Wie bringen Sie Kinder und Karriere unter einen Hut?
Gar nicht. Parlament und Familie sind nur schwer zu vereinbaren. Das ist bei uns ein Familienprojekt, die Grosseltern eingeschlossen.
Sie haben zwei Kinder, Ihre Frau ist ebenfalls berufstätig. Zu wie viel Prozent übernehmen Sie die Kinderbetreuung und den Haushalt?
50 zu 50 ist es sicher nicht.
Konkret: Wie viel Betreuungsarbeit leisten Sie?
Ich kann es nicht genau beziffern, versuche jedoch ausserhalb des Sessionsbetriebes möglichst viel zu kompensieren. Während der Session, das sind zwölf Wochen im Jahr, bin ich in Bern, und dann macht meine Frau zusammen mit den Grosseltern und der Kita wirklich alles.
Mit Ihrem Geburtstermin nehmen Sie es genauer – auf Ihrer Internetseite ist zu lesen: «Geboren bin ich am 19.02.1986 um 10.53 Uhr in Jegenstorf (BE).»
Die Uhrzeit ist nicht wirklich wichtig, aber meine Mutter hat mich immer wieder daran erinnert. Ihr war das wichtig und darum ist es mir glaube ich auch.
Lesen Sie Horoskope?
Nein.
Was lesen Sie beim Coiffeur?
Ich hoffe jeweils darauf, dass eine «Geo»-Ausgabe da liegt. Sonst lese ich nichts, weil ich im Alltag so viel lesen muss, nein, darf. Deshalb bin ich froh, wenn ich einmal eine halbe Stunde Ruhe habe.
Wo zeigt sich Ihre Eitelkeit?
Sicher bei meiner Frisur – am schlimmsten ist es jeweils vor Wahlen, also gerade jetzt, wenn ich Bilder von mir auswählen muss. Mittlerweile entscheidet meine Frau, welches Foto auf das Plakat kommt. Ich würde sonst nie fertig werden damit, weil ich mir auf keinem Bild gefalle.
So grundsätzlich: Sind Ihnen die Menschen sympathisch?
Ja – sonst wäre ich nicht als Sozialdemokrat politisch aktiv.
Sind die Schweizer jetzt eigentlich eher beliebt oder unbeliebt im Ausland?
Das kommt ganz darauf an und muss differenziert angesehen werden – so wie bei anderen Nationen auch.
Welcher typische Schweizer Minderwertigkeitskomplex geht Ihnen auf die Nerven?
Mir gehen eher die Schweizer Überheblichkeiten auf die Nerven – und dass wir uns regelmässig im globalen Massstab überschätzen.
Eine ehrliche Haut, dieser Wermuth. Und so gar kein Fähnchen im Wind.
Haben Sie schon herausgefunden, mit welcher Ausrede man sich am besten bei langweiligen Sitzungen entschuldigt?
Ja ... ähm, nein. Man gerät, ehrlicherweise, immer wieder in Versuchung, die Kinder vorzuschieben. Aber das finde ich moralisch schwierig, und deshalb mache ich es nicht. Ich bin aber nicht sicher, ob es andere nicht machen, weil es eine Kategorie der Entschuldigung ist, die nicht hinterfragt wird.
Die härteste Arbeit, die Sie je mit den Händen getan haben?
Das Ausräumen des elterlichen Kellers, nachdem dieser vor einigen Jahren überschwemmt worden war.
Worauf sind Sie stolz?
Auf unsere Familie.
Welche Illusion lassen Sie sich nicht nehmen?
Dass mein politisches Engagement zu einer Veränderung in der Gesellschaft führen wird.
Was ist das grosse Thema von Cédric Wermuth?
Ungleichheit.
Bei welchem Wahlkampfthema müssen Sie aufpassen, nicht wütend zu werden?
Wenn es um die politische Ungleichheit geht – und bei Migrationsthemen werde ich schnell emotional.
Wovon handelte Ihr letztes Telefonat mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga?
Wir sprechen meistens direkt, wenn wir etwas zu diskutieren haben. Das letzte Mal ging wohl um die Frage, ob sie das Departement wechseln wird oder nicht.
So grundsätzlich: Sollte die SP radikaler auftreten?
Ich sage nicht, Radikalität ist per se gut oder schlecht. Aber ich finde, die SP dürfte ruhig noch stärker betonen, dass sie gesellschaftliche Alternativen vorschlägt. In diesem Sinn lautet meine Antwort: Ja.
Wann zuletzt eine Rose im Knopfloch getragen?
Ähm ... eine Rose? Wahrscheinlich am letzten 1. Mai.
Wie oft haben Sie sich in den letzten Monaten an den Klima-Streiks beteiligt?
Viermal.
Was tun Sie konkret, um den Klimawandel aufzuhalten?
Das finde ich eine ganz schlechte Frage.
Warum?
Der Klimawandel kann nicht durch individuellen Verzicht aufgehalten werden, sondern nur durch gesellschaftliche Regeln. In diesem Sinn halte ich diese Moralisierung, dass jede und jeder einzeln für den Klimawandel verantwortlich sein soll, für fundamental falsch. Was nicht heisst, dass jeder einzelne Mensch nicht auch seinen Beitrag für den Klimawandel leisten soll. Unsere Familie zum Beispiel wohnt in einer Genossenschaftswohnung mit Minergie-Eco-Standard, wir sind an einem Carsharing beteiligt und beziehen unser Gemüse direkt vom Bauern.
Eines der dominierenden Themen in diesem Jahr ist das Verhältnis der Schweiz zur EU. Können Sie in zwei bis drei Sätzen erklären, wie Sie zum Rahmenabkommen stehen?
Ein Rahmenabkommen mit der Europäischen Union ist grundsätzlich richtig. Es gibt jedoch drei Bedingungen, die dafür sichergestellt werden müssen: Erstens die Lohnschutzmassnahmen, zweitens muss der innere demokratische Weg erhalten bleiben und drittens garantiert sein, dass der Service Public, also die Frage der staatlichen Beihilfe, nicht tangiert wird.
Die SVP will mit tiefen Steuern reiche Ausländer und Firmen anziehen. Und das, obwohl die Partei immer wieder mit Zuwanderungsinitiativen gegen die Zuwanderung kämpft. Schizophren oder nicht?
Schwer schizophren sogar. Man kann nicht andauernd sagen, wir wollen alle Firmenhauptsitze in unserem Land haben, aber neue Mitarbeiter sollen dann lieber nicht kommen. Der Hauptfaktor für die Zuwanderung in der Schweiz ist die Entwicklung der Wirtschaft.
Die vorherrschende Logik ist aber: Wenn es den Unternehmen gut geht, geht es auch den Bürgern gut.
Es ist exakt umgekehrt. Geht es den Bürgerinnen und Bürgern gut und das Land funktioniert demokratisch stabil, ist dies auch gut für die Unternehmungen. Steuerpolitisch verkaufen wir heute ein Fünf-Sterne-Hotel zum Preis eines Aldi-Lidl-Hotels. Das macht mich hässig. Wir müssen endlich wegkommen von dieser Unterwürfigkeit. Diese Mentalität ist aus dem Mittelalter – weil sie behauptet, wir seien angewiesen auf die Lehnsherren, die uns hin und wieder einige Brocken herunterwerfen.
Unternehmen müssen immer weniger Steuern zahlen, der Bürger immer mehr. Könnte die SP in Zukunft wieder die Vertreterin des kleinen Bürgers werden?
Das Wort «wieder» in Ihrer Frage ist falsch, ich glaube, die SP ist das immer gewesen. Vielleicht haben wir es nur nicht immer richtig kommuniziert, also dieser Frage zu wenig Priorität gegeben. Hätten wir das getan, denke ich, wäre der Wähleranteil unsere Partei heute noch grösser. Ich bin deshalb einverstanden damit, dass wir diesem Thema wieder mehr Gewicht geben sollten.
Definitionsfrage: Wo fängt für Sie Armut an?
Eine sehr gute Frage. Armut fängt für mich dann an, wenn mich meine finanziellen Möglichkeiten am Teilhaben an der Gesellschaft hindern. Es ist absurd, so zu tun, als seien alle Schweizer im Vergleich mit den Menschen in Burkina Faso reich, wie es die SVP manchmal macht. Wenn man sein Kind nicht ins Skilager schicken oder nicht mit den Freunden ins Kino gehen kann, dann engt dies die persönliche Freiheit ein, und deshalb setze ich bereits dort mit dem Begriff «Armut» an.
Wo sollte Reichtum aufhören?
Es leuchtet mir nicht ein, weshalb ich mit einem Politikwissenschaft-Studium und als Nationalrat mehr Geld verdienen soll als eine Schreinerin oder ein Krankenpfleger. Löhne, höher als die Gehälter unserer Bundesrätinnen und -räte, sind nicht vertretbar. Und ein Vermögen über einen tiefen siebenstelligen Bereich hinaus, das finde ich auch nicht mehr erklärbar.
Haben Sie einen armen Freund?
Mehrere. Ich habe Freundschaften mit Menschen, die Sozialhilfe beziehen. Ich habe zudem Freundschaften in Ländern ausserhalb Europas, etwa auch in Burkina Faso, in denen Armut nochmal eine ganz andere Dimension hat.
Das grosszügigste Geschenk, dass Sie jemals gemacht haben?
Über das möchte ich öffentlich nicht reden.
Sagen Sie Portemonnaie oder Geldbeutel?
Portmonnaie.
Wo am Körper tragen Sie es?
Meistens in meinem Rucksack oder sonst in der rechten, hinteren Tasche meiner Jeans.
Rührendster Gegenstand, den Sie in Ihrem Portemonnaie mit sich herumtragen?
Mein Portemonnaie ist relativ emotionsbefreit.
Neben Ihnen gibt es noch 199 National- und 46 Ständerätinnen und -räte: Mit wie vielen sind Sie per Du?
Ausserhalb des Parlamentsaasls ist man lustigerweise mit allen per Du – mit wenigen Ausnahmen.
Stehen diese Ausnahmen politisch eher rechts oder links?
Eher rechts.
Mit welchem SVP-Politiker würden Sie gern auf eine einsame Insel fahren?
(Lacht) Lieber mit keinem.
Wie viel Altmännergehabe gibt es in der Schweizer Politik?
Viel, viel ... massiv. Schauen Sie sich nur die Spitzen der Parteien und Fraktionen an. Dort ist das dominierende Modell der gutsituierte, weisse, ältere Herr mit einer bürgerlichen Weltvorstellung.
War die Sexismusdebatte Metoo ein Thema im Bundeshaus?
Dieses Thema wurde nur unter ferner liefen abgehandelt. Das Bewusstsein für Sexismus und sexuelle Gewalt im aktuellen Parlament ist leider nur minimal vorhanden.
Die Nationalrätinnen Lisa Mazzone (Grüne) und Mattea Meyer (SP) sagten im Januar in einem «WOZ»-Interview, dass es im Parlament immer wieder zu sexistischen Vorfällen komme.
Ich muss ehrlich zugeben, ich bin erschrocken, als ich die Dimension des Problems erkannte. Fraktionsintern haben wir von der SP das Thema «Sexismus im Parlament» danach sofort aufgearbeitet. Zugleich muss man sagen: Das Parlament ist kein Ort, an dem es ausserordentlich schlimm ist, sondern es ist leider das reale Abbild einer sexistischen Gesellschaft.
Lisa Mazzone nannte konkret die vier SVP-Nationalräte Adrian Amstutz, Albert Rösti, Thomas Aebi und Toni Brunner, die sich im Nationalratssaal ihr gegenüber abwertend geäussert hätten.
Es stimmt, die Reaktionen auf junge Parlamentarierinnen sind massiv sexualisiert und leider bis heute Alltag. In den Kommissionssitzungen, also quasi im formalen Rahmen, ist die Zusammenarbeit deutlich besser.
Unglaublich, aber leider wahr: Das Schweizer Parlament ist ein gutes Abbild dafür, welchen Demütigungen Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts im Beruf noch immer ausgesetzt sind.
Verschlechtert oder verbessert sich gerade das Zusammenleben von Frauen und Männern?
Frauen müssen mehr links-grün wählen. Wir in der SP-Fraktion haben aktuell einen Frauenanteil von 60 Prozent. Aber natürlich müssten die bürgerlichen Parteien endlich auch einen Teil ihrer Hausaufgaben machen.
Was muss sich ändern, damit die Frauen nach den Herbstwahlen mehr Einfluss im Parlament haben?
Die linksgrünen Wähler müssen Frauen wählen. Wir in der SP-Fraktion haben aktuell einen Frauenanteil von 60 Prozent. Aber natürlich müssten die bürgerlichen Parteien endlich auch einen Teil ihrer Hausaufgaben machen.
Abtreibung – ja oder nein?
Es ist die freie Entscheidung einer jeden Frau und deshalb: Ja.
Prostitution – ja oder nein?
Das ist eine der Fragen, die extrem schwierig zu beantworten sind. Ich gebe zu, ich schwanke mit meiner Entscheidung immer wieder hin und her. Mir ist nach wie vor nicht klar, welche Lösung die bessere ist.
Drogen-Freigabe – ja oder nein?
Ja.
Zum Schluss werden wir wieder netter, aber dabei nicht weniger frech: Psychologie-Fragen für Herr Wermuth.
Ihre Einsamkeitsbeschäftigung?
YouTube.
Welchen internationalen Star halten Sie für begehrenswert?
Erotischer Natur oder einfach so begehrenswert?
Das ist Ihre Entscheidung.
Ich finde die Bescheidenheit von Roger Federer begehrenswert. Das würde ich auch können wollen, wenn ich so berühmt wäre. Aber ich fürchte, ich würde es nicht schaffen.
Ihr Schönheitsideal?
Ich bin sehr durchschnittlich geprägt.
Mal geweint wegen einer Frau?
Ja, immer wieder – aber zum Glück schon länger nicht mehr. Das letzte Mal wahrscheinlich bei der Geburt unserer zweiten Tochter.
Nein.
Welche Ecke Ihres Heimatkantons Aarau würden Sie mir zeigen, wenn wir einen halben Tag hätten?
Wir würden sicher das Künstlerhaus und die alte Kirche in Boswil besuchen, nebenan bin ich aufgewachsen. Wir würden die Linde von Linn besuchen und das Wasserschloss in der Nähe von Brugg.
Wo ist Italien, Ihre zweite Heimat, am allerschönsten?
Dort, wo meine Grossmutter herkommt – im Trentino, Alto Adige.
Zum Schluss noch der grosse Talenttest ...
... oh nein.
Schätzen Sie jetzt bitte, lieber Cédric Wermuth, Ihr Talent von null Punkten, kein Talent, bis zehn Punkte, Supertalent, ein: Sozialdemokrat?
Sieben Punkte. Ich bin ein felsenfest überzeugter Sozialdemokrat, emotional und intellektuell. Oftmals bin ich jedoch zu ungeduldig für die parlamentarischen Institutionen.
Schauspieler?
Ebenfalls sieben Punkte. Zu einem Politiker gehört, dass er auch einmal Ruhe bewahren kann, obwohl er innerlich hässig ist. In solchen Situationen sind schauspielerische Fähigkeiten von Vorteil. Ob ich als Schauspieler auf der Bühne reüssieren könnte? Ich glaube nicht.
Hausmann?
Ich kann besser bügeln als meine Frau, sie räumt besser auf – ich bewerte mein Talent mit sieben, nein, acht Punkten.
Bundesrat?
Null Punkte. Ich bin froh, dass diesen Job andere machen. Man muss seine persönlichen Grenzen kennen, meine wären als Bundesrat überschritten.
Lust, einmal eine ganze Woche nichts zu sagen?
Absolut – ich freue mich deshalb auch auf die Zeit, wenn mein Leben einmal nicht mehr in der Öffentlichkeit stattfinden wird und andere Prioritäten in den Vordergrund rücken.