90 Franken pro Monat Trotz aller Versprechen: Modefirmen zahlen nur Hungerlöhne

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19.9.2019

Die meisten Modeunternehmen lassen in Billiglohnländern produzieren – und zahlen oft nicht einmal dort Löhne, die zum Leben reichen.
Die meisten Modeunternehmen lassen in Billiglohnländern produzieren – und zahlen oft nicht einmal dort Löhne, die zum Leben reichen.
Keystone/Archiv

Seit Jahren beteuern Modekonzerne, ihren Angestellten faire Löhne zahlen zu wollen. Doch meist bleiben das leere Worte. Unter den immerhin halbwegs positiven Beispielen findet sich auch eine Schweizer Marke.

Umgerechnet 90 Franken pro Monat. So viel verdiene man als Näher oder Näherin in einer der schlechteren Textilfabriken, erzählte Azhar Siddik zu Beginn des Jahres dem ARD-«Weltspiegel»: «In diesen schlechten Fabriken lassen sie dich manchmal bis zwei Uhr morgens schuften», weiss er. Von acht Uhr morgens an, sechs Tage die Woche. Zum Überleben reiche das Geld auch in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, nicht annähernd.

Bangladesch ist nach China das zweitgrösste Textilexportland der Welt. Internationale Modeketten wie H&M, Levi’s oder Primark, aber auch Schweizer Unternehmen wie Chicorée oder Zebra lassen hier produzieren – und zahlen ihren Arbeitern einer aktuellen Studie zufolge immer noch Löhne, die nicht ausreichen, um eine Existenz zu sichern.



Nur zwei Firmen zahlen faire Löhne

45 Unternehmen befragte die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye in ihrem neuen Firmencheck 2019 zu ihrer Zahlungsmoral – und kam zu einem «ernüchternden Resultat»: «Nur bei zwei der 45 Firmen konnten wir Anhaltspunkte dafür finden, dass zumindest einem Teil der Beschäftigten in der Produktion ein existenzsichernder Lohn gezahlt wird», heisst es in dem umfangreichen Bericht.

Als Definition für einen existenzsichernden Lohn wurde jene der Clean Clothes Campaign (CCC) angenommen: Er muss reichen, um «die Grundbedürfnisse einer Arbeiterin und ihrer Familie abzudecken und darüber hinaus ein frei verfügbares Einkommen übrig lassen».

Der aktuellen Untersuchung nach stehen dafür nur das italienische Modehaus Gucci und die Schweizer Marke Nile – und auch nicht für alle Angestellte: Public Eye zufolge liegt der Anteil der Arbeiterinnen in der Lieferkette, die einen existenzsichernden Lohn erhalten, bei Gucci bei mindestens 25 Prozent, bei Nile bei mindestens 50 Prozent. Hinter allen anderen Markennamen, darunter Migros, Coop, Chicorée und Zebra, prangt eine Null.

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Leere Worte

Dabei hatten sich dem Bericht zufolge 27 der 45 untersuchten Unternehmen in der Vergangenheit «ganz oder teilweise verpflichtet», einen existenzsichernden Lohn zu zahlen. Leere Versprechungen, beklagt Public Eye: «Wie dieser Bericht zeigt, wurden bis heute kaum signifikante Lohnfortschritte erreicht, und keine der Firmen kann einen existenzsichernden Lohn für alle Arbeiterinnen in ihrer Lieferkette nachweisen», lautet das bittere Fazit.

Das sorgt zwangsläufig für weitere Probleme: Niedrige Löhne gehen oft mit überlangen Arbeitszeiten Hand in Hand, ausserdem sind sie meist ausschlaggebend für eine schlechte Wohnsituation und Mangel- und Unterernährung. Dadurch wird wiederum die Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen gefährdet. Und in Familien, in denen die Eltern nicht genug verdienen, müssen schliesslich oft auch die Kinder zur Sicherung des Lebensunterhalts beitragen.



Initiativen scheitern reihenweise

Zustände, die nach Ansicht von Public Eye nicht tolerierbar sind: «Die Gewährleistung existenzsichernder Löhne muss von den Markenfirmen als Priorität und unmittelbare Verpflichtung verstanden werden, nicht als wünschenswertes oder gar optionales Fernziel».

Zwar haben sich viele Modemarken zusammengeschlossen, um für bessere Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zu sorgen – etwa C&A, Esprit, H&M, Inditex, Tchibo, Primark, PVH und Zalando im Jahr 2014 im Programm ACT. Doch die Umsetzung der noblen Ziele lässt noch arg zu wünschen übrig: «Momentan kommen wir mit der Umsetzung von existenzsichernden Löhnen leider nicht so schnell voran, wie wir uns das wünschen würden», zitiert «20 Minuten» etwa einen Sprecher von Tchibo.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Das Hauptproblem sieht Public Eye dabei im vorherrschenden Geschäftsmodell, indem Länder und Lieferanten einfach gegeneinander ausgespielt werden: «Angesichts des riesigen Drucks auf Preise und Löhne sind fast alle Initiativen zur Bekämpfung von Armutslöhnen gescheitert. Das Geschäftsmodell der Firmen und das ihm zugrunde liegende Machtgefälle sind der eigentliche Grund dafür, dass die Beschäftigten weiterhin in Armut leben», stellt die Organisation fest.

Verbesserungen sind nach Ansicht von Public Eye nur möglich, wenn die betreffenden Firmen «konkrete, messbare Massnahmen entlang ihrer gesamten Lieferkette ergreifen» und darüber auch transparent berichten. Dafür sei auch notwendig, dass sie «rechtsverbindliche, durchsetzbare Vereinbarungen mit Beschäftigtenvertretungen aushandeln und unterzeichnen, die unter anderem die Zahlung deutlich höherer Einkaufspreise an die Lieferanten beinhalten».

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