ZivilisationskrankheitAllergien: Nehmen sie zu oder ist das alles Einbildung?
Mara Ittig, Bluewin
22.3.2018
Immer mehr Menschen leiden an einer Unverträglichkeit. Doch woher kommt die Zunahme? Mediziner stehen kurz davor, Allergien zu entschlüsseln.
Die Zahlen sind eindrücklich: Litten 1990 gut 14 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer an einer Pollen-Allergie, so sind es heute ganze 20 Prozent. Forscher gehen inzwischen davon aus, dass unser moderner Lebensstil hauptverantwortlich für diese Entwicklung ist. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass Stadtkinder öfters von Allergien betroffen sind als Kinder, die auf dem Land aufwachsen.
Noemi Beuret, Expertin von aha! Allergiezentrum Schweiz bestätigt: «Bauernkinder haben tatsächlich weniger Allergien und Asthma. Man weiss, dass Mikroben, die auf Bauernhöfen vermehrt vorkommen, die Kinder davor schützen. Die Umgebung fordert das Immunsystem heraus, es lernt, auf an sich harmlose Stoffe nicht zu reagieren, wie dies bei einer Allergie der Fall ist.»
Schützen Tiere vor Allergien?
Die Münchner Allergologin Erika von Mutius kam in einer Studie Ende der 1990er Jahre zum Ergebnis, dass der Kontakt mit Staub auf Bauernhöfen vor Allergien schützt. Zürcher Forscher kamen 2017 zu einem ähnlichen Resultat: Sialinsäure, die in tierischem Speichel enthalten ist, stärkt offenbar das Immunsystem. Der Kontakt mit Tieren schützt vor Allergien.
In diesem Zusammenhang kam auch eine polnisch-britische Studie zu einem aufschlussreichen Ergebnis: In den ländlichen Regionen Polens stieg die Zahl der Menschen, die an Allergien leiden, in den vergangenen Jahren sprunghaft an. Die Forschungsgruppe untersuchte 2003 und 2012 die Neigung der Landbevölkerung zu allergischen Reaktionen. Die Anzahl nahm von 7 Prozent auf 20 Prozent zu. Doch was war der Grund?
Die Ursachen liessen sich rasch eingrenzen: Der EU-Beitritt Polens hat die Zunahme verursacht. Die neuen EU-Richtlinien zogen strengere Regeln in der Landwirtschaft nach sich, was zu weniger Viehhaltung und allgemein weniger Kontakt zwischen Mensch und Tier führte.
Allergie, Intoleranz, Unverträglichkeit
Bei Menschen mit einer Allergie spielt das Immunsystem verrückt und bekämpft an sich harmlose Stoffe wie beispielsweise Milcheiweiss oder Pollen. Bei einer Nahrungsmittelallergie handelt es sich um eine Überreaktion des Immunsystems auf bestimmte Inhaltsstoffe in Lebensmitteln.
Intoleranzen lösen oft ähnliche Symptome aus wie Nahrungsmittelallergien - etwa Verdauungsbeschwerden. Die Abläufe, die dahinter stecken, sind aber komplett andere. Bei einer Laktoseintoleranz beispielsweise fehlen gewisse Enzyme im Darm, was die Verdauung des Milchzuckers erschwert. Eine Allergie hingegen wird immer vom Immunsystem ausgelöst.
Als Unverträglichkeit werden Allergien und Intoleranzen bezeichnet, sie sind der Oberbegriff.
Langweilt sich unser Immunsystem?
Die Zunahme von Allergien ist eindeutig ein Phänomen, das unserer modernen Zivilisation geschuldet ist. Erika von Mutius sagt in «Der Zeit»: «Wenn es nichts Richtiges zu tun gibt, reagieren bestimmte Zellen unseres Immunsystems auf Nichtigkeiten.»
Lange Zeit war das menschliche Immunsystem andauernd herausgefordert: Seuchen, enges Zusammenleben zwischen Mensch und Tier, verunreinigte Lebensmittel hielten die Abwehrmechanismen auf Trab. Antibiotika, die bessere Haltbarkeit von Lebensmitteln, das Leben in Städten haben in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass unsere Abwehr sich nur noch selten mit Eindringlingen beschäftigen muss.
In Ländern wie Indien sind die Zahlen von Menschen, die an Heuschnupfen oder Asthma leiden, deutlich tiefer. Dafür sterben Hunderttausende Kinder jährlich an Durchfallerkrankungen oder Lungenentzündungen. Viren und Bakterien härten eben nicht nur ab, sie machen auch krank.
Kann man Allergien verhindern?
Doch wie kann man verhindern, dass ein Mensch eine Allergie entwickelt? Kann man das überhaupt vermeiden? Lange Zeit gingen Forscher davon aus, dass in den ersten Lebensjahren eines Menschen der Kontakt zu allergenen Stoffen - insbesondere bei einer erblichen Vorbelastung - idealerweise zu vermeiden sei. Was zunächst als logisch erscheint: «Wer keinen Kontakt mit Allergenen hat, entwickelt auch keine Allergie», entpuppte sich als Fehlüberlegung.
Ergebnisse eines britischen Forschungsteams rund um Andrew Clark von der Universität Cambridge aus dem Jahr 2014 kommen zu einem ganz anderen Schluss: Laut ihrer Studie helfen ausgerechnet Erdnüsse gegen eine Erdnussallergie. Werden Kindern über einen bestimmten Zeitraum hinweg in regelmässigen Abständen kleinste Mengen von Erdnüssen verabreicht, steigt ihre Toleranz gegenüber den Nüssen.
Der Allergie auf der Spur
Was macht einen Allergiker überhaupt erst dazu? Oder anders gefragt: Wieso reagieren einige Menschen allergisch auf gewisse Stoffe und andere nicht? Young-Ae Lee vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin untersuchte mit seinen Kollegen in der grössten Allergiestudie bisher das Gen-Material von 180'000 Allergikern und verglich es mit der DNA von 180'000 Menschen ohne Allergie.
Sie fanden dabei heraus, dass sich gewissse DNA-Abschnitte tatsächlich unterscheiden. Ihre Hoffnung: Weiss man, welche genetischen Abweichungen der DNA zu Allergien führt, kann man dereinst Medikamente entwickeln, die nicht nur die Symptome, sondern die Allergie an sich bekämpfen.
Die gute Nachricht: Noch mehr Allergien werden es wohl nicht werden. Laut Karl-Christian Bergmann vom Allergie-Zentrum der Berliner Charité ist das Plateau erreicht: Sämtliche Menschen, mit einer genetischen Veranlagung zu eine Allergie, hätten inzwischen eine.
Allergie oder Intoleranz?
Von den Allergien unterscheiden sich die Intoleranzen vor allem dadurch, dass sie nicht vom Immunsystem ausgehen. Kaum jemand hat nicht mindestens eine Person mit einer Intoleranz im Freundes- oder Bekannntenkreis. Haben Intoleranzen – besonders gegenüber gewissen Nahrungsbestandteilen – ebenfalls zugenommen oder ist die Sensibilisierung für das Thema einfach grösser geworden? Zudem macht es uns die bessere Verfügbarkeit von laktose- oder glutenfreien Lebensmitteln leichter, die Ernährung entsprechend umzustellen.
Für Noemi Beuret von aha! Allergiezentrum Schweiz ist klar: «Die Zahlen steigen; jeder Fünfte ist heute von einer Intoleranz betroffen. Betroffene vertragen keinen Milch- oder Fruchtzucker, reagieen auf histaminhaltige Speisen oder das Gluten, das Klebereiweiss in Getreide, schädigt ihren Darm. Gleichzeitig hat sich aber auch die Diagnostik verbessert und das Bewusstsein der Bevölkerung bezüglich dieses Themas ist grösser geworden. Inwiefern dies miteinander korreliert, kann gemäss heutiger Datenlage nicht beurteilt werden. »
Beuret betont aber auch, dass für Menschen ohne Intoleranz oder Nahrungsmittelallergie der Verzicht auf Laktose oder Gluten keine gesundheitliche n Vorteile bringe.
Am 22. März ist Nationaler Allergietag. An verschiedenen SBB Bahnhöfen informeiert das Allergiezentrum Schweiz wird über das Thema Allergie und Intoleranzen.
Milchprodukte sind umstritten: Dabei vertragen sie die allermeisten Menschen hierzulande gut. Und sie sind ein wichtiger Kalzium-Lieferant.
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«Wenn man Milch verträgt, soll man sie trinken, sofern man sie mag.»
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Da können Ersatzprodukte wie Soja nicht mithalten.
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Was ist mit den verteufelten Kohlenhydraten? Braucht unser Körper - etwa auch um den Stoffwechsel am Laufen zu halten.
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Schweizer essen deutlich zu viel Fleisch. Es ist sinnvoll, verschiedene Fleischsorten und alle Teile des Tieres zu essen.
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Obst und Gemüse tun uns gut und sollten in der täglichen Ernährung eine wichtige Rolle spielen.
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Sätze wie «Jetzt iss deinen Spinat, das ist gut für dich» konditionieren ein Kind. Es lernt, dass alles, was gesund ist, nicht schmeckt.
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Beatrice Conrad hält wenig davon, Kindern Süsses zu verbieten: «Allerdings sollen Kinder lernen, dass Süssigkeiten Genussmittel sind und nicht Mahlzeiten ersetzen.»
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Muttermilch ist das erste, was wir zu uns nehmen. Und die ist süss. Dass wir Süsses mögen liegt in unserer Natur.
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Süssgetränke sieht die Ernährungsberaterin problematisch - vorwiegend wegen der grossen Menge an Zucker, die sie enthalten.
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Beatrice Conrad rät, öfters mal aufs Baucahgefühl zu hören. Doch viele Menschen hätten das verlernt.
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Wir bewegen uns zu wenig. Viele versuchen den Bewegungsmangel mit dem Verzicht auf Kohlenhydrate zu komnepsieren. Keine gute Idee.
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Diäten: Auf Dauer sind sie kaum durchzuhalten und führen so am Ende zu einer Gewichtszunahme.
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Die Paleo-Diät, die auf viel Fleisch und Gemüse setzt, sieht sie hingegen kritisch: «Als ganzheitlich denkender Mensch gibt mir das wirklich zu denken. Was passiert, wenn die Weltbevölkerung kein Getreide mehr isst? Was hat eine so immense Fleischproduktion für Folgen?»
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Statt konsequent auf Bio zu setzen: Regional und saisonal einkaufen.
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Fettiges darf ruhig auch mal sein. «Ich glaube nicht, dass man Pommes Frites anders zubereiten sollte, damit sie gesünder werden. Eher sollten wir den Konsum dosieren.»
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Gemeinsame Mahlzeiten im Sitzen eingenommen - drei mal täglich: Das würde Beatrice Conrad zufolge schon viel helfen, um sich gesund zu ernähren.
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Gerade ältere Menschen hätten oft ein besseres Gefühl dafür, wie sich eine ausgewogene Mahlzeit zusammensetzt.
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