Alternativen gesucht Desinfektionsmittel ausverkauft – selbst Risikopatienten gehen leer aus

Von Runa Reinecke

3.3.2020

Mittel, die Viren den Garaus machen, sind knapp geworden. Das trifft vor allem eine Gruppe von Menschen, für die eine Corona- oder Influenza-Infektion lebensbedrohlich ist. Eine Betroffene sucht nach Alternativen.

Patrizia S* leidet seit mehreren Jahren an multipler Sklerose. Um zu verhindern, dass ihr überaktives, fehlgeleitetes Immunsystem die eigenen Nervenzellen angreift, wird ihr Immunsystem mit sogenannten Immunsuppressiva «heruntergefahren».

In der Schweiz werden jedes Jahr Tausende Patientinnen und Patienten aufgrund unterschiedlichster Krankheiten wie Autoimmunleiden, Krebs oder nach Organtransplantationen mit vergleichbaren Medikamenten behandelt.

Doch die Wirkung auf das Immunsystem bleibt nicht ohne Nebenwirkungen. Zu den häufigsten gehört, dass viele der Betroffenen mitunter sehr anfällig für übertragbare Krankheiten sind, eine Infektion oft schwerer verläuft und eher mit Komplikationen zu rechnen ist als bei gesunden Menschen.

Desinfektionsmittel bald aufgebraucht

Immunsupprimierte Patienten müssen sich deshalb in besonderem Masse vor einer Infektion mit potenziell gefährlichen Viren wie Influenza oder dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV2 schützen.

Auch Patrizia S. hat regelmässig mit Infekten zu kämpfen: «Seit letztem Herbst bin ich ständig stark erkältet», sagt sie. Obwohl sie gegen die Grippe geimpft sei, könne sie trotzdem daran erkranken, da ihr geschwächtes Immunsystem keinen vollständigen Impfschutz aufbaue.

Ihre Sorge, auch jetzt noch eine «echte» Grippe zu bekommen, ist nicht unbegründet: Gemäss aktuellem Stand der Influenza-Statistik (Sentinella) des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) bewegen sich die Fallzahlen noch deutlich oberhalb des epidemischen Schwellenwerts.



Das Haus verlässt sie deshalb nie ohne Händedesinfektionsmittel. Die zunehmende Ausbreitung des neuartigen Coronavirus Sars CoV-2 macht sie, wenn sie im öffentlichen Raum unterwegs ist, noch vorsichtiger. Doch ihr Vorrat an desinfizierendem Handgel geht bald zur neige. Die Angst vor dem neuartigen Coronavirus hat dazu geführt, dass die breite Bevölkerung Desinfektionsmittel in grossen Mengen kauft, die Regale in den Apotheken leer und auch deren Lagerbestände aufgebraucht sind.

Apotheken fehlen Rohstoffe

Die 37-Jährige ist frustriert: «Egal, wo ich nachgefragt habe, ich bekomme nichts mehr.» Ihr deutscher Mitbewohner versuchte vergeblich, im nördlichen Nachbarland ein Fläschli für sie aufzutreiben. Auch bei der BAG-Hotline konnte man nicht weiterhelfen.

Auf schriftliche Anfrage von «Bluewin», an wen sich Risikopatientinnen wenden können, um Desinfektionsmittel zu erhalten, oder warum es für Ausnahmesituationen keine Notbestände in Apotheken gebe, die nur auf Rezept an die betreffende Patientengruppe ausgegeben würde, antwortet das Bundesamt für Gesundheit (BAG): «Apotheker können neu Desinfektionsmittel auf alkoholischer Basis selbst herstellen. Sie haben die Kenntnisse dazu.»

Desinfektionsmittel sind Mangelware. Besonders kranke Menschen fühlen sich im Stich gelassen.
Desinfektionsmittel sind Mangelware. Besonders kranke Menschen fühlen sich im Stich gelassen.
Bild: Keystone

Tatsächlich sind einige Apotheken für die Produktion dieser Mittel für den Eigenvertrieb eingerichtet. Voraussetzung dafür ist aber, dass es ihnen nicht an den notwendigen Zutaten fehlt, denn: «Seit vergangenem Freitag sind Rohstoffe für die Herstellung von Desinfektionsmitteln für die Apotheke nicht mehr lieferbar», sagt Dr. Corinne Randegger von der Leonhards Apotheke in Zürich. Bis wann diese wieder verfügbar sein werden, ist laut der Apothekerin unklar.

Wodka eher ungeeignet

Randegger rät dazu, sich nicht auf die teils abenteuerlich anmutenden Eigenbrauerei-Rezepturen zu verlassen, die derzeit im Internet kursierten.

So werden beispielsweise Spirituosen wie 40- bis 50-prozentiger Wodka als Alternative zu herkömmlichen Desinfektionsmitteln angepriesen, um behüllten Viren, zu denen auch das neuartige Coronavirus zählt, den Garaus zu machen.

«Um Viren sicher unschädlich zu machen, sollte es mindestens 70-prozentiger Alkohol sein», gibt Corinne Randegger zu bedenken. Absinth oder der 80-prozentige Strohrum seien an dieser Stelle als wirkungsvollere Alternative erwähnt.

Auch die richtige Anwendung könne, so die Apothekerin, für eine gute Desinfektion entscheidend sein: «Die Hände müssen ganz nass sein, und auch die Fingernägel dürfen nicht vergessen werden.» Um sicherzustellen, dass alle Viren unschädlich gemacht würden, müsse der Alkohol mindestens über zwei Minuten einwirken.



Für die Hände sei die Prozedur allerdings nicht zuträglich. Selbst handelsübliche Desinfektionsmittel greifen die Haut an, trocknen sie aus und schädigen bei häufiger Anwendung die Fingernägel. Deshalb rät die Expertin: «Wer sehr empfindliche Haut hat, sollte die Hände nach dem Desinfizieren mit einer Handcreme pflegen.»

Zuhause, im Büro oder im Restaurant reicht gründliches Händewaschen mit Wasser und Seife völlig aus, um Erreger wie das Corona- oder das Grippevirus unschädlich zu machen. Das schont nicht nur die Hände, sondern auch das Portemonnaie. 

Patrizia S. hofft, auf die Händedesinfektion aus dem Schnapsladen verzichten zu können. Noch ist sie versorgt. Notfalls wird sie während ihrer nächsten Sprechstunde beim Hausarzt fragen, ob sie noch eine kleine Menge Desinfektionsmittel bekommt, bis dieses wieder in den Apotheken erhältlich ist.

*Name der Redaktion bekannt

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