Lebenscoach«Deshalb lasse ich den einen oder anderen Promi verwundert zurück»
Von Bruno Bötschi
31.1.2020
Der Lebenscoach Sven Rebel hilft Menschen, ihre innere Mitte zu finden. Ein Gespräch über Vorurteile, die dunklen Seiten der Seele und prominente Hilfesuchende.
Herr Rebel, Sie arbeiten seit zehn Jahren als Lebenscoach. Haben Sie ein Helfersyndrom?
Ich glaube, davon bin ich weit entfernt. Ich helfe gern, sehr gern sogar. Aber nur solchen Menschen, die auch bereit sind, sich zu ändern – und da wird der Kreis der wirklich Hilfsbedürftigen doch schon erheblich kleiner. Für Menschen, die mir wichtig sind, gehe ich auch über meine Grenzen hinaus.
Verstehe ich Sie richtig, Sie nehmen Ihren Klientinnen und Klienten die Eigenverantwortung ab?
Nein, niemals. Ich definiere mich über die Hilfe, die ich gebe – ich vergewaltige niemanden zum Glücklichsein. Deshalb lasse ich auch schon mal den einen oder anderen Promi verwundert zurück, wenn ich eine Zusammenarbeit ablehne.
Derzeit sind Sie als einer von vier Experten in der ARD-Produktion «queer 4 you» zu sehen. Was hat Sie daran gereizt?
Ich finde «queer 4 you» ein unglaublich spannendes Abenteuer – und ich wage sogar zu behaupten, es ist ein Konzept, wie man es im deutschsprachigen Raum noch nicht gesehen hat. Gemeinsam mit Experten für Einrichtung, Styling und Haare/Make-up treffen wir einen Menschen, der in irgendeiner Form um Hilfe auf seinem Lebensweg gebeten hat. Wir wissen nicht, auf wen wir treffen, und der Hilfesuchende hat auch keine Ahnung, wer da vor seiner Tür steht. Gemeinsam versuchen wir dann, neue Perspektiven und Lösungsansätze für Probleme aufzuzeigen.
Welchen Part spielen Sie in der Sendung?
Mein Part ist es, Licht in die dunklen Stellen der Seele zu bringen. Besonders aufregend ist dabei, dass alles vor der Kamera stattfindet. Ich muss also den Grad finden, an wie viel ich den Zuschauer teilhaben lassen will – und ab wann ich den Menschen vor den Kameras schützen muss. Sobald eine Situation zu schmerzhaft oder intim wird, lasse ich die Kameras ausschalten. Respekt ist mir unglaublich wichtig, und ich brauche nicht mit aller Gewalt Tränen auf dem Bildschirm zu produzieren.
Der Begriff «Queer»
... meint alles, was von der Norm abweicht. War der Begriff lange negativ konnotiert, gilt er heute als geläufiger Sammelbegriff für sämtliche sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten, die nicht der Hetero- und Cisnormativität entsprechen, wie lesbisch, schwul, bisexuell, Trans, intersexuell.
Im Sendebeschrieb heisst es: «Queere Menschen haben selbst schon um Akzeptanz und Anerkennung kämpfen müssen.» Sind queere Menschen demnach die besseren Coaches?
Zuerst einmal gibt es sicher nicht den einen guten Coach. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse und braucht einen entsprechend anderen Therapeuten – es gibt also sehr viele sehr gute Coaches. Das Queer-Sein ist nur eine Facette, die die Fähigkeiten eines guten Coaches ausmachen kann. Aber die Erfahrung der Zurückweisung und des Anderssein prägen und machen sensibler für Themen, die nicht-queere Coaches eventuell als nicht beachtenswert empfinden.
Ich kann von mir sagen, dass das Erwachsenwerden in der queeren Community und das daraus gewonnene Mitfühlen und Annehmen anderer Menschen mich definitiv zu einem besseren Coach gemacht hat. Es waren Menschen ausserhalb der sogenannten «normalen» Gesellschaft, die mir einen direkten Zugang zu meinen Gefühlen, zu meinem Schmerz, aber auch zu meiner Liebe und Zufriedenheit gegeben haben.
Gerade Menschen, denen oft das Menschsein abgesprochen wird, haben mir gezeigt, wie ich immer wieder versuchen kann, der für mich bestmögliche Mensch zu sein. In der Ablehnung, die wir alle gemeinsam erfahren haben, haben wir eine unendlich grosse Liebe gefunden.
Die Äusserung «Ich bin im Coaching tätig» lässt einen oft etwas ratlos zurück. Denn einerseits ist der Begriff in aller Munde, anderseits weiss niemand so recht, was damit gemeint ist. Können Sie den Begriff kurz und für jedermann verständlich erklären?
Ein Lebenscoach ist ein kurzzeitiger Begleiter, um Lösungen zu finden, damit Baustellen beseitigt werden, die einen Menschen daran hindern, sich weiterzuentwickeln …
… das klingt alles sehr theoretisch.
In der Praxis bedeutet das, dass ich beispielsweise bei der Entscheidung und Umsetzung von der Festanstellung zur Selbstständigkeit helfe, oder bei Beziehungsproblemen zur Seite stehe, oder wenn dieses Gefühl der inneren Unzufriedenheit immer stärker und unerträglich wird.
Bei Psychologinnen und Psychologen heisst es, Sie würden bei ihren Patientinnen und Patienten die eigenen Baustellen bearbeiten.
Es ist leider eine Tatsache, dass Menschen, die in therapeutischen Berufen arbeiten, oft ihre eigenen Defizite in die Arbeit einbringen. So etwas kann den Blick trüben und ist selten hilfreich.
Wie lässt sich das verhindern?
Um solche Risiken zu minimieren, gab es in meiner Ausbildung mehrere Mechanismen, die die Gefahr solcher Effekte verringern sollen – beispielsweise ein recht hohes Mindestalter und ein mehrstufiges Auswahlverfahren, um wirklich nur die geeignetsten Kandidaten für eine Ausbildung zu garantieren. Idealerweise sollte ein Coach, wie jeder Therapeut, sowieso regelmässig einen Supervisor aufsuchen.
Welches sind Ihre Baustellen?
Selbstverständlich haben wir alle mehr oder weniger grosse Baustellen, und letztendlich hilft das Bewusstsein darum sehr, auch den Klienten empathisch annehmen zu können. Ich schaffe es glücklicherweise immer wieder, zu erkennen, dass sich auch bei mir bestimmte Vorurteile und Klischees in mein Unterbewusstsein drängen.
Geht es bitte etwas konkreter?
Ein Beispiel wäre, dass ich in meinem Umfeld traumatische Erlebnisse mit Alkoholismus hatte. Entsprechend läuft natürlich ein Film dieses Traumas bei mir ab, sobald ein Klient vom «Alkohol trinken» spricht, und es drängen sich Vorverurteilungen aus meiner Erinnerung auf. Ich denke da speziell an eine bekannte Musikerin, mit der ich lange gearbeitet habe, als es mir über den langen Zeitraum immer wieder schwergefallen ist, ihre individuellen Gründe für das heimliche Trinken zu sehen und diese von meinen eigenen Erfahrungen zu trennen.
Was tun Sie dann?
Ich hinterfrage mich selbst immer und immer wieder. Und bin dabei brutal ehrlich mit mir. Das ist etwas, das meinem Klienten zugutekommt, da ich dadurch 100 Prozent meiner Empathie zum Annehmen und zur Stärkung eines Menschen einsetzen kann, ganz egal, was ihr Problem ist. Denn eine Wertung – die ja durch eigene Überzeugungen entsteht –, hat keinen Platz in einem guten Coaching.
Wer sind Ihre Klientinnen und Klienten?
Bis auf die Menschen, mit denen ich in der Sendung «queer 4 you» arbeite, kann ich natürlich keine Namen nennen. Diskretion und Verschwiegenheit sind ein heiliges Gut für mich als Lebenscoach. Aber ich kann verraten, dass es sich unter anderem um sehr erfolgreiche Persönlichkeiten aus dem Schlagerbereich handelt, und es sind auch bekannte Sportler dabei. Das ist übrigens ein Grund, weshalb ich auch nur einen reduzierten Internetauftritt habe – meine Klientinnen und Klienten suchen nicht auf traditionellem Weg einen Coach.
Sondern?
Alles funktioniert über Empfehlung.
Was haben Schlagersänger und Sportler für Probleme? Oder anders gefragt: Haben prominente Persönlichkeiten die gleichen Probleme wie Otto Normalverbraucher?
Ich glaube, der Grund, warum ich so viele Promis unter meinen Klienten habe, ist, dass sie alle für mich Otto Normalverbraucher sind. Und es ist auch so: Egal, ob berühmt oder nicht, ob reich oder nicht, die Probleme, Ängste und Zweifel ähneln sich bei allen Menschen – und sind doch individuell vollkommen verschieden. Während die Probleme sich ähneln, ist die «Betreuung» oft eine komplett andere.
Laufen die Sitzungen mit bekannten Persönlichkeiten anders ab als mit Ihren übrigen Klienten?
Bei Promis gibt es selten klassische Sitzungen. Aufgrund derer häufig ungewöhnlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen findet stattdessen über einen bestimmten Zeitraum ein Rund-um-die Uhr-Coaching statt. Da verbringt man schon einmal ganze Wochenenden miteinander, fliegt mehrmals die Woche zu den unterschiedlichsten Orten, steht dann als emotionale Sicherheit bei einem Auftritt hinter der Bühne oder improvisiert Motivationsübungen auf dem Hotelflur vor einem Interview.
Speziell nach Konzerten ist es oft wichtig, Sängern wieder eine emotionale Balance zu geben. Wichtig dabei ist aber, niemals das gesetzte Ziel aus den Augen zu verlieren und in den Sog des Celebrity-Lifestyles gezogen zu werden.
Wie lange dauert ein Coaching?
Da jedes Problem vollkommen individuell angegangen wird, ist es schwer, genaue Angaben zu machen. Generell beginnt aber alles immer mit einem Erstgespräch, bei dem man sich kennenlernt, sozusagen beschnüffelt, und das Thema bespricht. Danach können sich beide Seiten entscheiden, ob wir uns genug vertrauen für die Zusammenarbeit. In der Regel finden dann wöchentlich 90-minütige Sitzungen statt, über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr. Manchmal genügt allerdings ein einziges Gespräch, mit anderen arbeitet man über Jahre immer wieder zusammen.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Ich habe nicht wirklich ein Motto, aber einen Spruch, der mir schon seit frühester Jugend als oberste Leitlinie im Zusammenleben mit anderen Menschen dient: «Meine Freiheit endet da, wo die Freiheit des Nächsten beginnt.» Freiheit und Individualismus sind eben doch nicht endlos, wenn wir in einer friedlichen und glücklichen Gesellschaft zusammenleben wollen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Zur Person: Sven Rebel
Lebenscoach Sven Rebel hat Jahrgang 1970 und lebt in Berlin. Er war lange Zeit als Journalist tätig. 2009 und 2010 veröffentlichte er zwei schwule Ratgeber. Zur gleichen Zeit absolviert er die Ausbildung zum international zertifizierten Integralen Coach. 2013 erhielt er zusätzlich die Erlaubnis zur Ausübung der «Heilkunde auf dem Gebiet der Psychotherapie». Seit Dezember 2019 ist Rebel regelmässig als Experte in der ARD-Produktion «queer 4 you» zu sehen.
«queer 4 you» lief am Montag, 27. Januar, um 21 Uhr auf rbb. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.
Sendung ist älter als 7 Tage und nicht mehr verfügbar.
rbb queer 4 you
Mo 27.01. 21:00 - 21:45 ∙ RBB ∙ D 2019 ∙ 45 Min
Sendung ist älter als 7 Tage und nicht mehr verfügbar.
Coco – der Engel aus Bern, den die Welt nicht verstand
Performance-Künstlerin, selbstbekennende transsexuelle Anarchistin, Macho-Frau, seelisch Heimatlose, Model, Lieblings-Zielscheibe der Schweizer Boulevardpresse – Coco.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Olivier G. Fatton begegnete Coco im November 1989 zum ersten Mal. Dieser «lichte und doch so schwermütige Engel» faszinierte den Fotografen vom ersten Moment an.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Bei einem Kaffee in einem Berner Schwulenlokal schliessen sie einen fotografischen Vertrag: Coco posiert für ihn und dafür dokumentiert Fatton ihre Geschlechtsanpassung.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Aus dem Pakt wurde eine Liebesbeziehung, in deren Verlauf Fatton zahlreiche Aufnahmen von Coco machte. Intime Porträts, ...
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
... inszenierte Modefotografie, zuhause, unterwegs, in Clubs und in den Bergen zeigen die zahlreichen Facetten der schillernden Coco.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Und immer wieder diese grossen, melancholischen Augen. Ihre Augen seien ihr zweiter Mund geworden, sagte Coco einmal.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Und weil ihre tausendseitige Autobiographie von Dieben gestohlen wurde, erzählen uns diese Augen vom Leben einer Kameliendame des 20. Jahrhunderts – im Bildband «Coco», der dieser Tag erschienen ist.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
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