Forschung im Verborgenen Die Königin der Ameisen 

Nicolai Morawitz

27.1.2019

Vom Reagenzglas in die Datenbank: Anne Freitag begleitet Ameisen auf einem besonderen Weg.
Vom Reagenzglas in die Datenbank: Anne Freitag begleitet Ameisen auf einem besonderen Weg.
Bluewin/mn

Viele der über 60 Millionen Objekte wie Pflanzen, Tiere oder Pilze in den naturwissenschaftlichen Sammlungen der Schweiz bleiben unzugänglich. «Bluewin» hat eine Forscherin getroffen, die sich um die Aufbereitung kümmert – sie hat eine ganz besondere Vorliebe.

Das Zoologische Museum Lausanne lagert seine Schätze hinter schweren Metalltüren. Werden diese zur Seite geschoben, ist der Blick freigegeben auf hunderte Holzkisten: Schmetterlinge in allen erdenklichen Farben sind darin penibel aufgereiht.

Forscher haben sie teils vor über 100 Jahren durch Alkohol und spezielle Chemikalien für die Wissenschaft präpariert. Jetzt sind die auf ewig erstarrten Insekten zwar vor Feuchtigkeit und Licht geschützt – doch sie bleiben auch für die Öffentlichkeit verborgen. Kein digitales Archiv hat sie erfasst.

Im Zweifel für die Ameise

Eine besonders farbenfrohe Schmetterling-Sammlung stammt aus dem Nachlass des Schriftstellers Vladimir Nabokov. Er hat sie dem Museum in Lausanne vermacht. Wenn Anne Freitag den wissenschaftlichen Eifer des Schriftstellers lobt und auf die schillernden Flügel zeigt, schwingt dabei mehr Pflichtbewusstsein als Bewunderung mit. Ihr Interesse und ihre Leidenschaft, das wird schnell deutlich, gelten weitaus kleineren Erdbewohnern, den Ameisen. 

Das Zoologische Museum in Lausanne kann über 200'000 Ameisen-Exemplare ihr Eigen nennen. Generationen von Forschern und Sammlern haben die Ameisen akribisch aufgereiht und ihre Herkunft bestimmt. «Doch nur ein Bruchteil ist auch in einem Archiv erfasst worden und damit zugänglich», sagt Freitag. Wie viel Geduld und Fingerspitzengefühl ihre Arbeit benötigt, zeigt die Videoreportage:

So werden Ameisen für eine Museums-Sammlung präpariert

So werden Ameisen für eine Museums-Sammlung präpariert

Anne Freitag vom Zoologischen Museum in Lausanne hat eine wahre Sysyphus-Aufgabe zu erledigen. Über 200'000 tote Ameisen schlummern im Museumsarchiv und warten darauf katalogisiert zu werden.

24.01.2019

Die 50-jährige Biologin schätzt, dass nur ein paar tausend Ameisen aus der Sammlung mittlerweile katalogisiert wurden. Betrachte man alle Objekte des Museums, so könne es noch «50 Jahre» dauern bis eine vollständige Aufbereitung und Digitalisierung geglückt sei. Vorausgesetzt, dass keine zusätzlichen Arbeitskräfte angestellt würden.

Wissenschaftliches Potenzial, das brach liegt, weil es nicht zugänglich ist: Dieses Problem hat auch die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften erkannt. Sie will deshalb eine neue digitale Forschungsplattform aufbauen, wie sie vor Kurzem bekannt gab. 14 Millionen Franken seien dafür nötig.

Die Akademie der Naturwissenschaften drängt darauf, mehr Sammlungsobjekten eine digitale Identität zu geben und sie zu vernetzen, weil sie einzigartige Daten in sich tragen. So kann zum Beispiel das Erbgut analysiert werden  – Forscherinnen und Forscher können auch Anhaltspunkte für langfristige Umweltveränderungen finden.

Ungefähr 140 Ameisenarten gibt es in der Schweiz – Anne Freitag kennt viele von ihnen.
Ungefähr 140 Ameisenarten gibt es in der Schweiz – Anne Freitag kennt viele von ihnen.
Bluewin/mn

Denn selbst die Ameisen-Kollektion ermöglicht eine kleine Zeitreise: Auguste Forel, der sich als Hirnforscher und Psychiater einen Namen machte, sammelte schon Mitte des 19. Jahrhunderts Ameisen. Mehr als 150 Jahre später hält Anne Freitag seine Kollektion in den Händen. Die handschriftlichen Notizen an den einzelnen Ameisen sind vergilbt, aber noch lesbar.

«Ich möchte, dass dieser Informationsschatz allen Interessierten zugänglich gemacht wird», sagt Freitag. Sie denkt dabei auch an Forscherinnen und Forscher aus weniger entwickelten Ländern. Diese könnten sich häufig keine Reise in ein europäisches Archiv leisten. Es sei paradox, dass gerade die Menschen aus tropischen Ländern, aus denen viele Tier-Exponate stammten, so wenig am gemeinsamen Wissensschatz teilhaben könnten. Freitag beschwört also die Kraft des Kollektivs – und ist dabei ganz bei ihren Ameisen, mit denen sie sich tagtäglich beschäftigt.

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