Nach der starken EM folgt die schwache Nations League: Die Schweizer Nationalmannschaft wirft mit ihren Leistungen einige Fragen auf.
Nein, so hat man sich die Kampagne nicht vorgestellt. «Wir wollen den Fussball bestätigen, den wir an der EM gezeigt haben», sagte Nationalmannschaftsdirektor Pierluigi Tami im September. Das Hauptziel «Nichtabstieg», das Trainer Murat Yakin im Frühherbst formuliert hatte, schien tief gestapelt. Immerhin war die Schweiz aufgrund der Weltrangliste und des EM-Abschneidens nach Spanien die vermeintlich zweitbeste Mannschaft der Gruppe.
Doch selbst das primäre Ziel wurde mit mageren zwei Punkten aus sechs Spielen deutlich verfehlt. Der Tenor: Macht nichts, ist ja nur die Nations League. Wichtig werde es erst im kommenden Jahr, wenn es um die Qualifikation für die WM 2026 geht. Doch nach den durchzogenen Leistungen stellt sich mehr denn je die Frage: Ist die Schweiz bereit für die Qualifikation? Und: Ist der angestrebte Umbruch nach der EM gelungen?
Der Umbruch
Tami bejaht. Vor allem das letzte Spiel gegen Spanien bezeichnet er als «Revolution». Im Vergleich zur Startelf im EM-Viertelfinal gegen England wurde die Mannschaft auf acht Positionen verändert. Vier Spieler standen zum ersten Mal überhaupt in der Startformation des Nationalteams. «Wir haben Antworten gesucht und Antworten bekommen», sagt Tami, der aber keine Einzelkritik üben will. Nur so viel: «Viele Antworten waren positiv. Wir haben das Kader vergrössert und können optimistisch nach vorne schauen.»
Yakin nennt Joël Monteiro, Miro Muheim, Aurèle Amenda und Vincent Sierro als Spieler, die positiv aufgefallen seien. Es wäre allerdings eine Überraschung, wenn einer von ihnen demnächst konstant in der Startelf stehen würde. Monteiro wird sich hinten anstellen müssen, wenn Ruben Vargas und Dan Ndoye wieder fit sind. Muheim muss sich gegen Ricardo Rodriguez und Ulisses Garcia behaupten. Der 21-jährige Amenda könnte ein Kandidat für die Startelf werden, muss aber erst mehr Spielpraxis im Verein sammeln. Und Sierro hat das Pech, dass im defensiven Mittelfeld Remo Freuler und Granit Xhaka gesetzt sind und er auch schon 29 Jahre alt ist.
Von einem Umbruch kann also, wenn überhaupt, nur in Ansätzen gesprochen werden. Einzig auf der Goalieposition verlief der Übergang nach dem Rücktritt von Yann Sommer nahezu nahtlos. Zwar wartet Gregor Kobel auch nach zehn Länderspielen noch auf sein erstes Spiel ohne Gegentor, doch der BVB-Torhüter hat gezeigt, dass er die erhoffte Führungsrolle übernehmen kann. Und Yvon Mvogo bewies, dass er als Nummer zwei jederzeit einsatzbereit ist.
Das System
Neben der personellen Situation stellt sich im Nationalteam auch die Systemfrage. Yakin setzte im Hinblick auf die EM auf ein 3-4-3, wechselte aber während der Nations League zurück zum 4-2-3-1. Mit diesem zeigte sich eine leichte Aufwärtstendenz. Nach der punktelosen Vorrunde holte die Schweiz in der zweiten Hälfte der Gruppenphase immerhin zwei Zähler. Zudem wurden fünf der sechs Tore in den letzten drei Spielen erzielt. Dies dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass die Schweiz nach dem schwachen Start zunehmend unter Druck geriet und reagieren musste.
Stabiler war das Team dagegen nicht, oft konnten die Gegner mit einfachen Mitteln die an der EM noch so überzeugende Schweizer Defensive überwinden. Zudem wirkten vor allem in den letzten beiden Spielen die jeweiligen Sturmspitzen völlig isoliert. Ob Breel Embolo gegen Serbien oder Zeki Amdouni und später Andi Zeqiri gegen Spanien: Sie alle wurden kaum ins Spiel eingebunden, ihre Ballkontakte waren äusserst limitiert.
Yakin muss entscheiden, auf welche Formation er im Frühjahr setzen wird, wenn es um die Qualifikation für die WM 2026 geht. Zwar nennt der Trainer Flexibilität als wichtigen Erfolgsfaktor einer Mannschaft, doch leidet darunter die Eingespieltheit. Das gilt besonders für eine Nationalmannschaft, in der sich die Spieler nur kurz aufeinander einstellen können.
Die Positionen
Bei einigen Spielern scheint sich Yakin nicht sicher zu sein, auf welcher Position sie die grösste Wirkung erzielen können. Das gilt vor allem für die Angreifer. Amdouni wurde in den letzten Spielen nacheinander auf der Seite, als Zehner und als Sturmspitze aufgestellt. Fabian Rieder kam gegen Dänemark hinter der Spitze zum Einsatz, wurde aber gegen Serbien wieder auf die Seite beordert, wo seine Qualitäten weniger zur Geltung kommen. Auch Noah Okafor scheint seinen Platz im Team noch nicht gefunden zu haben.
Grosse Fragezeichen gibt es auch in der Abwehr. Manuel Akanji ist als Innenverteidiger gesetzt, und sonst? Nico Elvedi blickt auf einen schwierigen Herbst zurück, dürfte aber dennoch die erste Option in der Innenverteidigung bleiben. Bei Eray Cömert, der gegen Serbien und Spanien ansprechende Leistungen zeigte, wird es auch darauf ankommen, ob er im Verein wie zuletzt mehr im defensiven Mittelfeld oder doch in der Abwehr eingesetzt wird.
Auch Edimilson Fernandes spielt im Verein nicht dort, wo er in der Nationalmannschaft eingesetzt wird. Da es der Schweiz auf der Position des rechten Aussenverteidigers aber an Alternativen mangelt, dürfte der 28-Jährige dort vorerst weiter zum Einsatz kommen. Zumindest so lange, bis Silvan Widmer sein Formtief überwunden hat und in Mainz wieder mehr Spielpraxis sammeln kann.
Die Breite
Eine bittere Erkenntnis des Herbstes ist, dass die Schweizer Nationalmannschaft schnell an ihre Grenzen stösst, wenn Leistungsträger ausfallen oder ihre Leistung nicht abrufen können. Auch Yakin musste erkennen, dass sein Team nicht über die Breite verfügt, um mit den Topnationen mithalten zu können. Das Jahr hat gezeigt, dass die Nati an guten Tagen zwar mit den Besten mithalten kann, ihr aber die Konstanz fehlt, um dauerhaft vorne mitzuspielen.
Das ist nach der starken EM eine leichte Ernüchterung, die aber vielleicht genau zum richtigen Zeitpunkt kam. Im Hinblick auf die im März beginnende WM-Qualifikation wissen die Schweizer, dass es mit halbherzigen Leistungen nicht getan ist.
sda