«Tatort»-Check Wie verbreitet ist Stalking wirklich?

tsch

8.10.2023

Nach nur fünf Fällen in siebeneinhalb Jahren endet die Amtszeit von Heike Makatsch als «Tatort»-Kommissarin. Hat ihre Kommissarin Ellen Berlinger Spuren hinterlassen? Und wie verbreitet sind eigentlich Stalker, die in der Kriminalstatistik auffällig werden?

tsch

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im «Tatort: Aus dem Dunkel» verabschiedete sich Heike Makatsch nach nur fünf Fällen aus dem Dienst.
  • In ihrem letzten Fall beschäftigte die Mainzer Kommissarin ein mutmasslicher Suizid. Schon bald wurde jedoch klar, dass ein Stalker das Todesopfer zuvor massiv unter Druck gesetzt hatte.
  • Stalking ist in der Schweiz, anders als in vielen anderen Ländern Europas, kein einzelner Straftatbestand. Wie viele Fälle es gibt, ist unklar, die Dunkelziffer ist hoch.

Dass Stalking eine ernste Straftat ist, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Doch wie viele Menschen werden eigentlich pro Jahr zu Stalking-Opfern?

Das interessante Thema des Krimis «Tatort: Aus dem Dunkel» begleitete den Abschied Heike Makatschs als Mainzer «Tatort»-Kommissarin Ellen Berlinger. Sie ermittelte nur fünfmal in siebeneinhalb Jahren.

Angetreten war die SWR-Produktion etwas grossspurig als «Event-Tatort». Doch wie fällt die Bilanz aus, wenn man an die Ermittlerin zurückdenkt? Und warum wurde sie nicht richtig verabschiedet?

Worum ging es?

Eine Frau stürzte vom Balkon ihrer Wohnung, auf den ersten Blick war es Selbstmord. Allerdings verriet ihre Wohnung, dass sich das Opfer offenbar überwacht gefühlt und grosse Angst gehabt hatte. Polizist Thomas Engels (Andreas Döhler) stand der Toten offenbar nahe und zeigte sich sehr engagiert in dem Fall.

Bald stellte sich heraus, dass er das Opfer vor einem perfiden Stalker schützen wollte. Jemand, der durch Überwachungstechnik, systematische Destabilisation seiner Opfer und Angriffe im Dunkeln Frauen in den Tod treibt.

Mit Engels und ihrem neuen Kollegen Lukas Wagner (Ludwig Trepte) ermittelte Kommissarin Ellen Berlinger (Heike Makatsch) und hatte vor allem Sonderling Daniel König (Matthias Lier) unter Verdacht. Und mit Julia Ritter (Susanne Wuest) schien der Stalker auch schon ein neues Opfer gefunden zu haben.

Worum ging es wirklich?

Nun, einen doppelten (Bedeutungs-)boden gab es in diesem klassischen Thriller von «Tatort»-Routinier Jürgen Werner eher nicht.

Die Bedrohung, gestalkt zu werden, trieb sein Drehbuch auf die Spitze, indem es behauptete, ein fremder Mensch könne das Leben seines Opfers komplett überwachen und sogar selbstbewusste Frauen so manipulieren, dass diese nur den Freitod als Lösung sehen.

Viel besser war hingegen die Inszenierung: Regisseur Jochen Alexander Freydank («Riesending – Jede Stunde zählt») erschuf intensive, dunkle Bilder, die unter Einsatz von viel Handkamera und Aufnahmen von aussen durch Scheiben ein Gefühl des Beobachtetwerdens und subtiler Bedrohung erschufen. Wahrscheinlich das beste Detail an diesem insgesamt unglaubwürdigen Krimi.

Wie viele Stalking-Opfer gibt es?

Als Motive für Stalking gelten Besessenheit von einer Person, Rache und der Wunsch, Macht über das Opfer auszuüben. Stalking kann schwerwiegende physische, emotionale und psychologische Auswirkungen auf die Opfer haben und ist in fast allen Ländern ein Straftatbestand, der unbedingt der Polizei gemeldet werden sollte. Wie häufig Stalking vorkommt, ist schwer zu ermitteln.

Das US-amerikanische Bureau of Justice Statistics (BJS) hat in der Vergangenheit nationale Umfragen zur Kriminalität durchgeführt und verkündet: 7,5 Millionen Menschen werden jährlich Opfer von Stalking – das entspricht 2,3 Prozent der Bevölkerung (330 Millionen US-Amerikaner gibt es).

Die Kriminalstatistik des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) sagt hingegen, dass die Anzahl der polizeilich erfassten Stalking-Fälle in Deutschland zwischen 2011 (25'038) und 2017 (18'483) zunächst rückläufig war. Seitdem habe sie aber wieder stetig zugenommen hat. Im Jahr 2022 erfasste man 21'436 Fälle.

In der Schweiz gilt Stalking bislang nicht als einzelner Straftatbestand. Auch wenn Stalking «als Ganzes» nicht angezeigt werden kann, bedeutet dies nicht, dass das Verhalten ungestraft bleibt. Grundsätzlich kann man zivil- und strafrechtlich gegen die stalkende Person vorgehen, denn oft sind die einzelnen Handlungen durchaus im Bereich des Strafbaren – etwa bei Körperverletzung, Drohung oder Hausfriedensbruch.

Offizielle Statistiken sind wegen fehlender schweizweiter Erhebungen indes Mangelware. Doch Recherchen von «Blick» zeigen: In Bern, wo eine eigene Stalking-Fachstelle eingerichtet wurde, haben sich die Fälle zwischen 2010 (21 Fälle) und 2019 (147 Fälle) versiebenfacht.

Warum wurde Heike Makatschs Rolle nicht verabschiedet?

Heike Makatschs fünfter und letzter Auftritt als Ellen Berlinger erzählt keinen Abschied, weil das Aus fürs Format überraschend kam. Erst Anfang Juli teilte der SWR mit, dass keine weiteren Mainz-«Tatorte» produziert werden.

Die offizielle Begründung: Man muss sparen. Dass andere Sendegebiets-Dienststellen in Stuttgart, Ludwigshafen und dem Schwarzwald weiterarbeiten dürfen, kommentierte man indes nicht.

Inhaltlich ist die Entscheidung aber nachvollziehbar. Ellen Berlinger, die gebeutelt von einem Umzug von Freiburg nach Mainz und langen Pausen zwischen den Filmen, nie so richtig in die Erzählspur fand, war mit Abstand das schwächste Gesamtpaket unter den Südwest-Ermittlern.

Weil man erst nach Abschluss der Dreharbeiten von der Einstellung des Berlinger-Krimis erfuhr, konnte Heike Makatschs Figur nicht «würdig» verabschiedet werden.

Hat der Makatsch-«Tatort» Spuren hinterlassen?

Nein, die Reihe litt wie kaum ein anderer «Tatort»-Standort unter notorisch schwachen Drehbüchern. Los ging es im März 2016 noch in Freiburg und dem Fall «Fünf Minuten Himmel».

Der damals hochschwangeren Heike Makatsch schrieb man – wohl auf den letzten Drücker – eine Figur ins Buch, die mit der Sorge für die eigenen Kinder überfordert war. Die Kommissarin mit dem Muttersein-Problem – eigentlich eine spannende Prämisse!

Nach Berlingers Umzug nach Mainz und dem Einstieg des (guten) Sebastian Blomberg als feinnervigem Kollegen Martin Rascher schien die Reihe an Potenzial zu gewinnen, doch die Fälle blieben unglaubwürdig. Einzig die dritte Folge «Blind Date» (2021) um eine blinde Zeugin, die unter Einfluss der Täter geriet, erwies sich als recht spannende, ungewöhnliche Geschichte.

Auch der Umstand, dass man der Makatsch-Figur ihre kleine Tochter, die sie als alleinerziehende Mutter grosszog, irgendwann wieder aus dem Drehbuch herausschrieb, zeigte, dass man nie so recht wusste, wie man Berlinger als Frauenfigur erzählen wollte.


Mehr Videos aus dem Ressort

«Provokation»: «Tatort»-Star Carol Schuler täuscht Schwangerschaft vor

«Provokation»: «Tatort»-Star Carol Schuler täuscht Schwangerschaft vor

Das neue Baby von Schauspielerin Carol Schuler («Tatort») heisst «Nitroglycerine». Um den Rocksong zu promoten, zeigte sie sich mit XXL- Babybauch auf Instagram. Eine bewusste Provokation, die zum explosiven Protest-Song passt.

11.08.2023

Junge schauen Zürcher «Tatort»: «So spannend wie Nudeln ohne Sauce»

Junge schauen Zürcher «Tatort»: «So spannend wie Nudeln ohne Sauce»

Der «Tatort» hat eine treue Anhängerschaft. Wie kommt der Sonntagskrimi bei jungen Zuschauer*innen an? blue News hat die Lernenden Maria und Noah zum TV-Check gebeten und ihnen den neusten «Tatort» gezeigt.

22.09.2023