«Tatort»-Check Werden arme Menschen von der Justiz schlechter behandelt?

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27.10.2024

Im «Tatort: Dein gutes Recht» ging es um eine Anwältin, die arme Menschen vor Gericht schlecht aussehen liess. Leidet unsere Justiz tatsächlich unter «Klassismus» – und was ist das überhaupt?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im «Tatort: Dein gutes Recht» mit Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) liess eine Anwältin arme Menschen vor Gericht schlecht aussehen.
  • Im Krimi aus Ludwigshafen ging es um die Benachteiligung, die allein damit beginnt, dass sich Unterprivilegierte keine guten Anwälte leisten können.
  • Wie sieht es in der Realität mit Klassismus im Rechtssystem aus – und was ist das eigentlich?

Erst im September lief mit dem Schwarzwald-Fall «Ad Acta» ein «Tatort», der einen fiesen Anwalt in den Mittelpunkt stellte. Dieser arbeitete fürs organisierte Verbrechen und handelte vor Gericht äusserst zweifelhafte Deals aus. Nur einen guten Monat später widmet sich der SWR am Ermittlungsstandort Ludwigshafen ein weiteres Mal dem Thema Justiz.

Diesmal stand eine Anwältin im Mittelpunkt, die arme Leute vor Gericht schlecht aussehen lassen sollte. Und sie hatte Erfolg damit. Ist das Rechtssystem auf dem «Klassenauge» tatsächlich blind? Und wusstest du, dass sowohl Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal als auch Lisa Bitter als Kollegin Johanna Stern in dieser Folge ein Jubiläum feierten?

Worum ging es?

Ein Notruf erreichte Kommissarin Lena Odenthal. Die erfolgreiche Anwältin Patricia Prinz (Sandra Borgmann) kauerte in einem Versteck ihrer Kanzlei. Neben ihr lag schwer verletzt Jasper Ünel (Mohamed Achour), Ehemann der Anwältin. Hatte er einen Einbrecher überrascht, als er nachts sein vergessenes Handy holen wollte – oder war es doch anders? Neben der taffen Anwältin lernte man bald auch die junge Mutter Marie Polat (Emma Drogunova) kennen.

Sie hatte Angst, das Sorgerecht für ihren kleinen Sohn zu verlieren, das an ihren Ex gehen könnte. Um vor Gericht einen festen Job nachweisen zu können, bei schwieriger sozialer Vorgeschichte, arbeitete Marie in einem Callcenter. Die Firma wurde von Piet Sievert (Matthias Lier) geleitet, der gerne Druck auf seine Angestellten ausübte. Immerhin erhielt Marie Unterstützung von ihrer ebenfalls für Sievert arbeitenden Freundin Luisa Berger (Samia Chancrin).

Worum ging es wirklich?

Schon zum zweiten Mal im Herbst 2024 prüfte ein SWR-«Tatort» das Rechtssystem. Nach «Ad Acta» aus Freiburg, in dem August Zirner als skrupelloser Anwalt in Kooperation mit dem Gericht dem organisierten Verbrechen diente, ging es nun im Drehbuch von Martin Eigler um die Benachteiligung armer Menschen vor Gericht. Sie fängt schon allein damit an, dass sich Unterprivilegierte keine guten Anwälte leisten können.

Schaut man sich die letzten Filme des regelmässigen «Tatort»-Machers Martin Eigler an, stellt man fest, dass der 60-jährige Autor und Regisseur die Themen Gerechtigkeit und Wahrheit gern in den Mittelpunkt stellt. In der Stuttgarter Folge «Zerrissen» (2024) erzählte Eigler von einem strafunmündigen Jugendlichen, der von seiner Verbrecherfamilie ausgenutzt wurde. Und im grandios verstörenden «Der Mann, der lügt» (2018) wurde komplex über das Thema Wahrheit an sich nachgedacht. Ein Kritiker schrieb damals: «Es gilt, durch die Augen eines Lügners die Wahrheit zu erkennen.»

Was ist Klassismus – und gibt es ihn in der Schweiz?

Unter Klassismus versteht man Diskriminierung einer Person aufgrund ihres vermuteten oder wirklichen sozialen Status. Zum Beispiel aufgrund von Bildung, Einkommen, Wohnort, Wohnsituation und Erwerbstätigkeit. 

In der Schweiz wendet sich bereits die staatliche «Lebensform» als Eidgenossen gegen die Standesgesellschaft. Eidgenossenschaft bedeutet als abstrakter Rechtsbegriff die Verbindung gleichberechtigter Genossen durch einen auf bestimmte Zeit oder ewig bei Gott geschworenen Eid als höchste Form der Selbstverpflichtung des Menschen. Doch so weit die Theorie.

In der wohlhabenden Schweiz gibt es gewaltige Einkommensunterschiede – und natürlich auch Klassismus. Studien der Unis Zürich und Luzern versuchten in den letzten Jahren, die Ausprägungen des Schweizer Klassismus zu erforschen und teilen die Bevölkerung dafür in vier soziale Kategorien ein: Unterschicht, Arbeiter, Mittelschicht und Oberschicht.

In welche dieser Klassen man hineingeboren wird, kann darüber entscheiden, wie sich das Leben entwickelt und welche Möglichkeiten einem offenstehen. Durch systematisierte Interviews mit Klassenzugehörigen soll herausgefunden werden, welchen Formen von Klassismus sie in ihrem Leben begegnen.

Wer war die (böse) Hauptdarstellerin?

Anwältin Patricia Prinz wurde von Sandra Borgmann gespielt. Die 50-Jährige ist eine der regelmässigsten Fachkräfte des deutschen Fernsehens, wenn es um «schwierige» Frauenrollen geht. Borgmann stammt aus dem Ruhrpott, studierte auch in Essen Schauspiel, lebt aber schon lange in Hamburg. Die Mutter eines Sohnes wird gerne – wie in diesem «Tatort» – für Abgründiges gebucht.

So spielte Borgmann in der nach drei Folgen eingestellten SAT.1-Krimireihe «Julia Durant» die sperrige Kommissarin, sie geheimnisste im Netflix-Hit «Dark» als Elisabeth Doppler, sorgte für RAF-Terror in «Der Baader Meinhof Komplex» und gab in unzähligen Krimis die Mörderin oder zumindest eine obskure Verdächtige. Begonnen hat die blonde Schauspielerin allerdings mal als Sympathieträgerin: In der Kult-Dramedy «Berlin, Berlin», die Felicitas Woll Anfang des Jahrtausends zum Star machte, spielte sie in der ersten Staffel des ARD-Erfolgsformats Rosalie, beste Freundin der Hauptfigur Lolle.

Welches Jubiläum feierten die Kommissarinnen?

Für Deutschlands dienstälteste Ermittlerin, Lena Odenthal, war «Dein gutes Recht» die 80. Folge seit Schauspielerin Ulrike Folkerts (63) die Rolle für den Krimi «Die Neue» (Erstausstrahlung: 29.10.1989) übernahm. Seit immerhin zehn Jahren ist Lisa Bitter als ihre Kollegin Johanna Stern dabei. Der erste Fall der heute 40-Jährigen war am 26. Oktober 2014 die Folge «Blackout». Apropos Ludwigshafener Team: Nach den Renten-Abgängen von Frau Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer) suchen die beiden Kommissarinnen in der aktuellen Folge nach neuen Mitarbeitern.

Auch wenn es am Ende von «Dein gutes Recht» nur angedeutet wurde – die Suche könnte bald beendet sein. Die pfälzisch sprechende Afrodeutsche wird von der aus Kaiserslautern stammenden Davina Chanel Fox gespielt, die sich als Mara Herrmann wohl genauso um eine «feste Stelle» bewerben wird, wie Nico Langenkamp (Johannes Scheidweiler) aus der Poststelle. Wie der SWR auf Nachfrage bestätigt, wird die Konkurrenzsituation der beiden im nächsten Film wieder aufgegriffen.

Wie geht es in Ludwigshafen weiter?

Der nächste «Tatort» aus Ludwigshafen hört auf den interessanten Namen «Der Stelzenmann». Voraussichtlich im ersten Quartal 2025 kann man ihn sehen. Er stammt vom Duo Harald Göckeritz und Miguel Alexandre, die auch den «Tatort: Avatar» realisierten. Es geht um die Entführung eines Kindes, deren Umstände an einen Jahre zurückliegenden, unaufgeklärten Fall erinnern.

Die Kommissarinnen kontaktieren das damalige Opfer (Samuel Benito), das ganz offensichtlich auch neun Jahre danach noch unter einem Trauma leidet. Trotzdem müssen sie versuchen, seine Erinnerungen zu aktivieren, um das aktuelle Opfer zu retten.