Gion Mathias CaveltyIn Schwamendingen sitzt das Böse
Von Carlotta Henggeler
3.6.2020
«Innozenz. Eine Legende», so heisst Mathias Gion Caveltys neues Buch. Der «Bluewin»-TV-Experte über dunkle Mächte – und warum er die Hässlichkeit Schwamendingens liebt.
Er liebt okkulte, schwarzmagische Rituale, Trashformate wie «Bachelorette» oder «Love Island» und seziert als «Bluewin»-TV-Experte die Fernsehlandschaft.
‹Innozenz. Eine Legende›, so heisst Ihr neuester Roman. Worum geht's?
Ich wollte das schrecklichste und düsterste Buch aller Zeiten schreiben. Das letzte Buch der Welt, sozusagen.
Kompliment, ‹Innozenz› ist ein Destillat an Düsterem.
Dankeschön. Die Grundidee stammt aus Umberto Ecos Krimi ‹Der Name der Rose›. Dort ist ja eigentlich das Buch der Mörder.
‹Der Name der Rose› habe ich vor Urzeiten im TV gesehen. Wie war das noch einmal mit dem mordenden Buch?
Um umblättern zu können, muss sich der Leser die Fingerspitzen ablecken – und diese sind in Ecos Krimi vom Mönch Jorge vergiftet worden. Genial! Diese Idee des bösen Buches wollte ich steigern.
Ein grosses Unterfangen.
Zumindest habe ich es probiert. In ‹Innozenz› ist das Buch ein Monster, das die Rolle umkehrt und den Leser liest. Das Buch ist ein Lügner – es behauptet, es sei weiss wie Schnee und in ihm stehe nichts drin. Der Schluss besteht aber aus 22 pechschwarzen Seiten, auf denen nicht nichts steht, sondern alles. Die ganze schreckliche Wahrheit. Vorgestern hat mir übrigens ein Freund gesagt, es gäbe nichts Schlimmeres als ein Schriftsteller, der sein eigenes Werk erklärt. Ich sollte es also besser lassen.
In ‹Innozenz› wimmelt es von apokalyptischen Weltuntergangsthesen und schwarzer Magie.
Dafür habe ich mich mit den absurdesten und dunkelsten Philosophien beschäftigt. Da bin ich auf alte gnostische, schwarzmagische Quellen und Teufelstheorien gestossen. Darauf habe ich aufgebaut und allem noch einen ironischen Twist verpasst.
Beim Lesen hatte ich das Gefühl, H.R. Giger hätte an Ihrem Buch seine helle Freude gehabt.
Ich bin ein grosser Giger-Fan, habe ihn drei Mal getroffen, einmal sogar in Oerlikon, wo er gewohnt hat, in seinem Garten mit der Eisenbahn, die glaubs gar nie gelaufen ist. In seiner Wohnung war alles schwarz. Er war wie ein total unschuldiges Riesenbaby, der liebste und harmloseste Mensch auf der Welt.
Ein Riesenbaby, das aber extreme, schwarze Fantasien hatte.
Er konnte seine Fühler in Sphären ausstrecken, zu denen ein normaler Mensch – darunter zähle ich mich leider auch – keinen Zugang hat. Für das neue Buch habe ich versucht, diese Dunkelheit anzuzapfen. Diese Dunkelheit, in denen Kräfte am Werk sind, die wir uns nicht vorstellen können.
Sie sind für die Recherchen viele Stunden in diese düstere Welt eingetaucht.
Ja – die Welt der Gnosis ist zuerst einmal wirklich nicht sehr erfreulich. Im Kern steht die Erkenntnis, dass unsere Welt eine falsche Welt ist.
Das müssen Sie bitte erklären.
Der Gnostiker sagt, dass wir uns im gigantischen Labyrinth der Materie befinden, in dem wir jeden Tag herumrennen wie ein Hamster in einem Hamsterrad. Wir akzeptieren dieses Gefängnis, stehen jeden Morgen auf, arbeiten, gehen wieder schlafen, und am nächsten Tag wiederholt sich das Ganze. Doch: Wer hat dieses Labyrinth überhaupt erschaffen? Die Gesetze, denen wir gehorchen müssen? Die Schwerkraft? Den Raum, die Zeit? Den Tod?
Tiefgreifende Fragen. Haben Sie die Antworten gefunden?
Lassen Sie es mich so sagen: Als Bub hatte ich eine weisse Tanzmaus. Die tanzte den ganzen Tag auf ihren Hinterbeinen, weil die armen Tiere einen Hirndefekt haben. Die darf man übrigens mittlerweile gar nicht mehr kaufen. Eines Morgens fand ich sie tot in ihrem Käfig. Und das war nun die Belohnung für ihr Tanzen? Mir wurde klar: Irgendetwas stimmt hier nicht. Und ich habe mir vorgenommen, dass ich den Tod nicht akzeptieren werde, also mich weigere, zu sterben. Um dem Schöpfer des Labyrinths zu trotzen.
Und wie?
Durch meine Fantasie. In der vierten Primarschule habe ich angefangen Comics zu zeichnen und für 20 Rappen zu verkaufen. Ich wollte dieser Welt etwas gegenüberstellen – eine eigene Welt, die stärker ist als die sogenannte richtige Welt.
«In Schwamendingen bist du dem Nichts so nahe, wie sonst nirgends auf der Welt»
Lange her. Seit 22 Jahren leben Sie als Exil-Churer in Zürich, genauer gesagt in Schwamendingen. In Ihrem Buch beschreiben Sie den Ort als Zentrum des Bösen.
Das Böse ist im Buch eigentlich gar nicht das Böse. Es will die Regeln nicht akzeptieren, denen es unterworfen ist. Es will in den Zustand zurück, wo noch nichts geschaffen wurde. Eben keine Zeit, kein Raum, nichts Einengendes. Nichts Vorgeschriebenes. Wo alles möglich ist. Das grosse Nichts. Und diesem Nichts ist man in Schwamendingen so nah wie sonst nirgends auf der Welt.
Schwamendingen ist nicht gerade als schönes Zürcher Quartier bekannt. Eher für hässliche Gebäude. Ich als Ur-Schwamendingerin darf das schreiben. Einverstanden?
Ich finde gerade das Hässliche in Schwamendingen das Anziehende.
Und in Ihrem Buch sitzt das Böse mitten in Schwamendingen, im Restaurant Hirschen.
Wenn der Wirt Georgio mein Buch liest, lässt er mich garantiert nicht mehr rein. Ich habe ihn noch extra vor dem Lockdown gewarnt. In ‹Innozenz› kommt zwar der Hirschen vor, aber in einem fiktiven Mittelalter und mit einem fiktiven Wirt. Es ist ein Fantasie-Hirschen. Deshalb soll er mich bitte weiterhin reinlassen. Denn ich liebe den Hirschen mitten in Schwamendingen. Und ich möchte hier nie wieder weg! Schwamendingen ist ein einziges Geheimnis.
Der zweite Teil des Interviews erscheint Samstag auf «Bluewin».
Am Samstag wird wieder der Preis verliehen, den niemand haben will: die Goldene Himbeere. «Ausgezeichnet» werden die schlechtesten filmischen Leistungen des Jahres. Als Vorgeschmack zeigen wir Ihnen die miesesten Filme aller Zeiten.
Bild: Getty / Fox / Kai Westensee / Columbia TriStar / Sony / Unversum / WKM Productions
Platz 15: «Sharknado» (2013). Ein echtes Trash-Hai-Light! Billig produziert, miserable Schauspieler, Logikfehler am Fliessband – kurz: filmischer Sondermüll. Mit «Sharknado» nahm der Hype um absurde Haifisch-Trash-Filme erst richtig Fahrt auf, fünf weitere herrlich miese Fortsetzungen folgten.
Bild: Delta Music
Platz 14: «Angriff der Killertomaten» (1978). Vorsicht am Gemüsestand: In «Angriff der Killertomaten» sind die fiesen roten Kuller zu einer Bedrohung für die Menschheit geworden. Die Idee von randalierendem Gemüse ist so Banane, dass sie schon wieder gut ist. Der Film diente sogar als Vorlage für eine Zeichentrickserie und zwei Computerspiele!
Bild: Universum
Platz 13: «Alone in the Dark» (2005). Uwe Boll gibt mit seinen Streifen immer wieder Anlass zu kontroversen Diskussionen. Man hält seine Werke trotzdem irgendwie in Erinnerung, etwa die Videospiel-Verfilmung «Alone in the Dark», die hier stellvertretend für einen Haufen anderer katastrophaler Games-Umsetzungen steht – darunter «Far Cry», «Postal» und «House of the Dead».
Bild: Concorde Home Entertainment
Platz 12: «Meine Frau, die Spartaner und ich» (2008). Was kommt heraus, wenn man «Meine Braut, ihr Vater und ich» und «300» zusammenführt? Eine weitere überflüssige Filmparodie aus der Feder von Jason Friedberg und Aaron Seltzer, die auch die überaus mauen Kalauer-Paraden «Die Pute von Panem» und «Beilight – Bis(s) zum Abendbrot» zu verantworten haben.
Bild: 2008 Twentieth Century Fox
Platz 11: «Showgirls» (1995). Man erwartete einen Skandalfilm mit viel nackter Haut und wilden Liebesszenen, man bekam stattdessen ein Hochglanzporträt der Glitzerwelt von Las Vegas: Paul Verhoevens «Showgirls» enttäuschten auf allen Ebenen. Auf der Leinwand floppte der Streifen noch, im Heimkino wurde er schliesslich zum Erfolg.
Bild: Metro-Goldwyn-Mayer
Platz 10: «Kartoffelsalat – Nicht fragen!» (2015). Warum der Film «Kartoffelsalat» heisst? Am besten an den Titelzusatz halten: «Nicht fragen!» Dass kaum etwas in dem Schul-Zombie-Klamauk von und mit YouTube-Star Freshtorge Sinn ergibt, war so womöglich gewollt. Das Problem: Lustig ist der Streifen auch nicht, und zwar kein bisschen.
Bild: Fox / Kai Westensee
Platz 9: «Stürmische Liebe – Swept Away» (2002). Popstar Madonna spielte unter der Regie ihres damaligen Mannes Guy Ritchie die schöne, reiche und überaus zickige Amber. Der Streifen erntete Hohn und Spott, dazu manchen Schmähpreis: 2003 wurde «Swept Away» fünfmal mit der Goldenen Himbeere ausgezeichnet, zwei Jahre später folgte sogar noch eine Nominierung als «schlechtestes Drama der letzten 25 Jahre».
Bild: Columbia TriStar
Platz 8: «Justin und Kelly: Beachparty der Liebe» (2003). «Beachparty der Liebe»? Der Titel an sich ist schon eine Sensation. Ansonsten kam die teenageraffine Musical-Romanze leider nicht gut an, vor allem nicht bei der Kritik: 2005 gab es eine Goldene Himbeere für das schlechteste Musical der letzten 25 Jahre.
Bild: 20th Century Fox
Platz 7: «Glitter – Der Glanz eines Stars» (2001). Für ihren Glitzer-Ausflug ins Filmbusiness wurde Mariah Carey 2002 als schlechteste Schauspielerin ausgezeichnet. Die pappsüsse Geschichte vom Aufstieg eines Stars wurde sagenhaft mies umgesetzt, und die von der Pop-Diva selbst beigesteuerten Songs reihen sich in das glitzernde Schreckensbild nahtlos ein.
Bild: Columbia TriStar
Platz 6: «Liebe mit Risiko – Gigli» (2003). Jennifer Lopez und Ben Affleck (rechts), die vor dem Drehstart auch im echten Leben liiert waren, sollten in «Gigli» ein romantisches Gangsterpärchen spielen. Kurz vor dem Kinostart trennte sich «Bennifer». Bei Produktionskosten von etwa 54 Millionen US-Dollar spielte die RomCom weltweit nur sechs Millionen ein.
Bild: Columbia TriStar
Platz 5: «Jack und Jill» (2011). Adam Sandler hat schon viele schlechte Filme gedreht, dieser ist womöglich der schlechteste. Zumal man hier einen doppelten Sandler ertragen muss: In einer vorhersehbaren Komödie gibt der ewig verschlafene Dödel die ungleichen Zwillinge «Jack und Jill». Der Film gewann 2012 alle zu vergebenden Goldenen Himbeeren (zehn!).
Bild: Sony
Platz 4: «The Hottie & The Nottie – Liebe auf den zweiten Blick» (2008). Cristabel (Paris Hilton, links), das heisseste Mädchen weit und breit, sucht mit fragwürdigen Methoden einen Lover für ihre hässliche Freundin (Christine Lakin). Die grosse Erkenntnis, die der Film mit sich bringt: Paris Hilton ist womöglich ganz gut darin, Hotels zu erben, als Schauspielerin ist sie jedoch unbrauchbar.
Bild: Universum
Platz 3: «The Room». «The Room» ist so schlecht, dass es sogar einen Film über seine Entstehungsgeschichte gibt: In «The Disaster Artist» erzählt James Franco, wie Hauptdarsteller, Produzent und Regisseur Tommy Wiseau sich mit sechs Millionen Dollar sein absurdes Drama über eine Dreiecksbeziehung zusammenbastelte.
Bild: Wiseau Films
Platz 2: «Ich weiss, wer mich getötet hat» (2007). Der Filmtitel lässt schon erahnen, dass man hier ziemlichen Stuss zu erwarten hat. Skandalnudel Lindsay Lohan tut mit ihrem grausigen Spiel ihr Übriges. Dass sie eine Doppelrolle übernahm «zahlte» sich doppelt aus: Sie erhielt eine Goldene Himbeere als schlechteste Schauspielerin, ausserdem eine für das schlechteste Leinwandpaar.
Bild: Sony / WKM Productions
Platz 1: «Battlefield Earth – Kampf um die Erde». Ja, das ist John Travolta als Alien-Schurke. Und ja, da kommen Schläuche aus seiner Nase. Die Vorlage zu dem 100-Millionen-Dollar-Sci-Fi-Desaster lieferte Scientology-Gründer L. Ron Hubbard. «Battlefield Earth» wurde mit insgesamt neun Goldenen Himbeeren ausgezeichnet, darunter für den schlechtesten Film des Jahrzehnts.
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