Sinnlos-Action und Streaming Warum Hollywood-Filme immer länger werden

Lucas Ruettimann

5.1.2020

Mit einer Länge von 210 Minuten fordert Martin Scorseses «The Irishman» die Geduld der Netflix-User heraus.
Mit einer Länge von 210 Minuten fordert Martin Scorseses «The Irishman» die Geduld der Netflix-User heraus.
Bild: Netflix

Die gute Nachricht: In diesen Tagen hat man endlich Zeit für Filme. Die schlechte: Man wird sie auch brauchen.

Die kalten Januartage sind wie geschaffen, um in der warmen Stube die Filmhighlights der vergangenen Monate nachzuholen. Zum Beispiel das grandiose Mafia-Drama «The Irishman» von Regisseur Martin Scorsese. Zu diesem Film gibt es imposante Zahlen.

Etwa sein enormes Budget (159 Millionen Dollar), die Vielzahl an grossartigen Schauspielern (darunter die bewährte Mob-Gang um Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci) oder die 13 Millionen Kunden, die den Film bisher via Netflix gestreamt haben.

Noch beeindruckender sind indes andere Werte. Zum Beispiel jene, dass Scorseses Epos geschlagene 210 Minuten dauert. Das bedeutet eine Laufzeit von 3,5 Stunden.

Von den 13 Millionen amerikanischen Netflix-Kunden, die «The Irishman» schauten, schafften es jedoch nur 18 Prozent bis zum Abspann. Alle anderen verloren die Geduld oder schliefen ein. Was sich vielleicht auch damit erklären lässt, dass das Durchschnittsalter des «Irishman»-Zuschauers 49 Jahre betrug. Der Netflix-Kunde sonst ist 31 Jahre alt.

Lange, länger, langweilig

Tatsächlich ist Scorsese nicht der einzige, der die Ausdauer seines Publikums einer Prüfung unterzogen hat. Im abgelaufenen Jahr schienen sich die Blockbuster ein regelrechtes Wettrennen um eine möglichst lange Filmdauer zu liefern. Quentin Tarantinos «Once Upon a Time in Hollywood» dauert 160 Minuten.

Marvels Comicverfilmung «Avengers: Endgame» imposante 182 Minuten. Dazu schaffte es das Horror-Sequel «It: Chapter Two» nach 170 Minuten, «Star Wars: The Rise of Skywalker» nach 145 Minuten ins Ziel. Soll noch einer sagen, es komme nicht auf die Länge an.

Nun kann man argumentieren, dass diese Filme ihre Laufzeit durchaus Wert sind. Scorseses Mafiafilm mit seiner generationenübergreifenden Handlung wäre in 90 Minuten bestimmt nicht das gleiche Erlebnis.  Daran ändert auch der Fakt nichts, dass viele Zuschauer ob der langen Laufzeit kapitulierten.

Auch Tarantinos Hollywood-Märchen, das «Avengers»- und das «Star Wars»-Finale sowie – mit Abstrichen – das «It»-Sequel wirken trotz üppiger Laufzeit über weite Strecken stimmig. Freilich sind diese Filme nicht das Problem. Schliesslich hat es lange Filme schon immer gegeben, und diese waren sehr oft auch sehr gut.

Wenn weniger mehr wäre

Fragwürdig – nein: nervig! – sind dagegen jene Streifen, die sich eigentlich in 95 Minuten perfekt erzählen lassen würden, heutzutage aber scheinbar aus Prinzip 120, 130 oder 140 Minuten dauern müssen.

Warum sich etwa das diesjährige «Fast and Furious»-Spin-Off «Hobbs and Shaw» über geschlagene 136 Minuten ziehen muss, will einem partout nicht in den Kopf. Eine Prügelei wird nicht besser, wenn sie 20 Minuten dauert.

Oder der wunderbare Krimi «Knives Out» mit seinen zwei Stunden und 10 Minuten Laufzeit? 95 Minuten wären für das muntere Whodunnit perfekt. Auch das überzeugende Netflix-Scheidungsdrama «Marriage Story» mit seinen 137 Minuten zieht sich unnötig in die Länge. Eine halbe Stunde weniger – und Langweile wäre bei diesem Film ein Fremdwort.

Schuld ist auch VHS

Länger werden Filme allerdings seit Jahren. Einen Grund dafür liefert damals wie heute das Fernsehen. In den 50ern und 60ern wollte sich die Filmindustrie vom gerade aufkommenden TV abheben. Die Folge waren Monumentalfilme wie «Ben Hur» oder «Cleopatra» mit ihrer epischen Länge (über vier respektive fünf Stunden lang).

Heute steht Hollywood mehr denn je in Konkurrenz zum Fernsehen mit seinen erfolgreichen Serien. Die Ironie der Geschichte ist, dass die heutigen Blockbuster viele Zuschauer erst recht in die Arme von Netflix und Co. treiben. Denn für 55 Minuten «Game of Thrones» oder «House of Cards» hat man nach einem anstrengenden Arbeitstag noch genügend Energie. Aber für ein zweieinhalbstündiges Geballer, bei dem die Action-Sequenzen bis zum Exzess ausgekostet werden? Dann doch lieber eine knackige Serie.

Tatsächlich haben neue Techniken und die Globalisierung dazu beigetragen, dass Actionfilme zwar länger, aber nicht unbedingt besser werden. CGI-Effekte lassen sich heute per Computer beliebig lang inszenieren. Und das Schielen auf neue, lukrative Publikumsmärkte wie in China hat bewirkt, dass US-Studios ihre Regisseure dazu anhalten, mehr auf Action statt auf Inhalt zu setzen. Denn bei Explosionen gibt es in der Regel keine kulturell bedingten Verständnisschwierigkeiten.

Die Serien-Highlights im Januar

Schliesslich hat auch die gute alte VHS-Kassette Schuld am Längenwahn. Früher durften Filme für ihre Zweitverwertung per Video nicht länger als 120 Minuten lang sein, weil sonst das Format an Grenzen stiess. Heute werden Kinofilme nach ihrem Release für Video-on-Demand-Dienste gestreamt. Dafür dürfen sie so lang sein, wie sie wollen.

In der Kürze liegt die Würze

Ein falsches Hochkulturdenken beeinflusst die Filmlänge zusätzlich. In Hollywood verbreitet ist etwa die Ansicht, dass besonders lange Filme besonders gute Chancen auf einen Oscar haben. Frei nach dem Motto: lange Laufzeit gleich hohe Kunst. Zudem hat sich beim einen oder anderen das Denken etabliert, dass mehr Filmdauer auch mehr Gegenleistung für das Eintrittsgeld an der Kinokasse bedeutet.

Wie unsinnig das ist, zeigen drei Filme unter 100 Minuten, die nicht zuletzt dank ihrer Kompaktheit überzeugen – und die wir an dieser Stelle mit gutem Gewissen empfehlen können: Das von den beiden Coen-Brüdern grandios inszenierte Crime-Drama «Fargo» (1996, 98 Minuten), Stanley Kubricks Polit-Satire «Dr. Strangelove» (1964, 95 Minuten) sowie der Western-Klassiker «High Noon» (1952, 85 Minuten).

Warum nur diese drei? Nun, wir sind hier schliesslich nicht bei Scorsese, irgendwann muss ein Text ein Ende haben. Und nicht zuletzt bleibt so auch mehr Zeit, um sich einen Film anzuschauen. Es darf sogar «The Irishman» sein.

Auf diese Kino-Highlights können Sie sich im Januar freuen

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