«Tatort»-Check Das steckt hinter dem gefährlichen Trend Cybergrooming

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7.1.2024

Der «Tatort: Avatar» mit Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) erwies sich als kühler Psychokrimi mit klugen Twists. Nicht nur das Mädchen am Bildschirm erwies sich als Illusion, sondern auch der «nette» Patchworkvater als fieser Cybergroomer. Wie verbreitet ist diese Straftat?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Sexuelle Belästigung in der Online-Sphäre: Auf die Ludwigshafener Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) wartete beim ersten Fall 2024 harte Kost.
  • Zwar steigen die Fälle von Cybergrooming konstant an, ein explizites Gesetz, um dagegen vorzugehen, wurde in der Schweiz allerdings abgelehnt.
  • Neben dem eigentlichen Fall standen auch zwei «Tatort»-Rollen im Mittelpunkt, die ein letztes Mal zum Ludwigshafener Team gehörten.

Im Ludwigshafener «Tatort: Avatar» musste man ein bisschen durchhalten, bis verschiedene Handlungsfäden zusammenliefen. Was hatte es mit dem toten Mann am Rhein auf sich, von dem die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) nicht mal wussten, ob er überhaupt ermordet wurde? Hatte die derangierte Programmiererin Julia da Borg (Bernadette Heerwagen) etwas damit zu tun, die mit einem traurigen Mädchen am Bildschirm chattete? Und warum lernte man dann auch noch eine weitere Patchworkfamilie kennen?

Am Ende war der ARD-Sonntagskrimi ein starker Thriller über Trauer am Bildschirm und Cybergrooming, die sexuelle Belästigung von Kindern und Jugendlichen über Chaträume und soziale Medien. Dazu wurden zwei Darsteller verabschiedet, die 25 Jahren beim ältesten «Tatort» der ARD Dienst schoben.

Worum ging es?

Die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) wurden zu einer männlichen Leiche am Rhein gerufen. Gestorben war der aus Köln ohne sichtliches Motiv angereiste Familienvater an einem Herzinfarkt. Zuvor hatte man ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Von einer Überwachungskamera festgehalten wurde in der Nähe Julia da Borg (Bernadette Heerwagen).

Die Programmiererin chattete daheim über die Bildschirme ihrer Atelierwohnung mit einem traurigen Mädchen – schien aber selbst psychisch ziemlich angegriffen. Dann gab es da noch eine scheinbar harmlose Patchworkfamilie, in der Mutter Manon (Sabine Timoteo) mit Teenagersohn Bastian (Luis Vorbach) und ihrem Partner Pit (Felix von Bredow) zusammenlebte. Wie die drei Handlungsstränge zusammenpassten, wurde erst im letzten Drittel des Krimis aufgeklärt.

Worum ging es wirklich?

Der scheinbar harmlose Patchwork-Daddy erwies sich als Cybergroomer. Im Netz nutzte er die Identität seines Stiefsohns, um mit minderjährigen Mädchen anzubandeln. Eine solche Erfahrung nicht überlebt hatte die Ziehtochter der von Bernadette Heerwagen («München Mord») ziemlich toll gespielten Programmiererin. Ihr geliebtes Kind hielt sie als Bildschirmavatar für Trauergespräche am Leben.

Dazu mutierte sie zum Racheengel und tötete Männer, die im Netz nach intimen Kontakten mit sehr jungen Mädchen forschten. All diese Themen offenbarten sich im klugen Drehbuch von Harald Göckeritz und unter der effektvollen Regie Miguel Alexandres scheibchenweise – und ziemlich clever. Einer der besten Ludwigshafen-Fälle seit Langem – aber auch einer, bei dem man ein bisschen dranbleiben musste.

Was genau ist Cybergrooming?

Das deutsche Bundeskriminalamt bringt es so auf den Punkt: «Gezielte Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen über das Internet. Die Täter geben sich in Chats oder Online-Communitys gegenüber Kindern oder Jugendlichen als ungefähr gleichaltrig aus oder stellen sich als verständnisvolle Erwachsene mit ähnlichen Erfahrungen und Interessen dar.»

Natürlich gibt es Grooming auch ohne Cyberspace, indem die Täter Kinder und Jugendliche im realen Leben ansprechen. Die Anonymität des Internets, in dem man seine wahre Identität verschleiern kann, hilft Tätern jedoch bei ihrer perfiden Neigung auf gefährliche Weise.

Cybergrooming boomt. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) gab es im Jahr 2020 in Deutschland 17,6 Prozent mehr Fälle als 2019. Insgesamt wurden 3'839 Fälle vom BKA erfasst. Die Dunkelziffer dürfte gewaltig sein, die wahre Zahl der Delikte also deutlich höher liegen. 

Wie ist die rechtliche Lage in der Schweiz?

In der Schweiz soll es kein explizites Gesetz gegen Cybergrooming geben. Das Anbahnen von Kontakten mit unter 16-jährigen Kindern mit der Absicht, eine Sexualstraftat zu begehen, das sogenannte Cybergrooming, wird nicht unter Strafe gestellt.

Der Nationalrat, der dies zunächst vorhatte, schloss sich im Juni 2023 stillschweigend dem Ständerat an, der auf diesen Passus verzichten wollte. Man ist der Meinung, dass das aktuelle Strafrecht Möglichkeiten genug bietet, um gegen Täter vorzugehen.

Wie kann man sich vor Cybergrooming schützen?

Eltern sollten mit ihren Kindern über die Gefahr sprechen und sie dafür sensibilisieren. Niemals dürfen private Daten wie Adresse und Telefonnummer im Netz mitgeteilt oder intime Fotos verschickt werden, die Täter danach zur Erpressung der Opfer nutzen können («Sexting»).

Alarmglocken sollten zudem läuten, wenn der Kontakt Kinder in private Chats locken will, darauf drängt, dass alles geheim bleiben soll, wenn Nachrichten mit sexuellem Inhalt versendet und Geld oder Geschenke angeboten werden. Oft ist es so, dass die Täter das «Nein» nicht akzeptieren und hartnäckig bleiben.

Suchst du Hilfe bei Cybergrooming? Die erhältst du bei der Dargebotenen Hand unter Tel. 143 oder auf www.143.ch.

Welche «Tatort»-Rollen scheiden aus?

Nach 25 Jahren im Dienst sagten die Ludwigshafener «Tatort»-Urgesteine Edith Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer) im «Tatort: Avatar» tschüss. Die beiden Figuren der dialektsprechenden Schauspieler werden im Film pensioniert, planen ihren Abschied und werden am Ende vom Rest des Teams gefeiert.

Ganz freiwillig dürfte der Abschied von zwei lieb gewonnenen Nebenfiguren nicht gewesen sein. Nach 66 Folgen fallen die beiden einer «Formatänderung» zum Opfer, wie der SWR vor einigen Wochen mitteilte. Schauspielerin Edith Keller befindet sich mit 72 Jahren mittlerweile tatsächlich im Rentenalter. Der 63-jährige Peter Espeloer hätte hingegen im wahren Leben noch ein paar Jahre Dienst geschoben.

Wie geht es beim Ludwigshafener «Tatort» weiter?

Der nächste Fall für Odenthal und Stern dürfte die im Sommer 2023 abgedrehte Folge «Tatort: Recht muss Recht bleiben» (Drehbuch und Regie: Martin Eigler) werden. Sandra Borgmann spielt eine Anwältin, die darauf spezialisiert ist, die Schwächen der Gegenseite zu identifizieren und auszunutzen. Der Mann jener Anwältin, die viel Hass auf sich zog, wurde erschossen. Sollte eigentlich sie zum Opfer werden?

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