«Crimes of the Future» Sie operiert ihn, und alle finden's geil

Von Gianluca Izzo, Cannes

30.5.2022

Regisseur David Cronenberg meldet sich zurück und stellt am Cannes Film Festival seinen neuen dystopischen Thriller vor. In dem futuristischen, atmosphärisch dichten Film operiert und tätowiert Léa Seydoux Viggo Mortensens Organe in aussergewöhnlichen Kunst-Performances.

Von Gianluca Izzo, Cannes

Es ist ein zugleich verstörender und faszinierender Anblick: Saul (Viggo Mortensen) liegt in einer dunklen Höhle in einer speziellen Operationskapsel und wird von Caprice (Léa Seydoux) auf höchst ungewöhnliche Art und Weise befriedigt.

Mit ferngesteuerten Geräten operiert sie im offenen Bauch an seinen sogenannten Neo-Organen, entfernt und tätowiert diese. Der Vorgang bereitet ihnen beiden sexuelles Vergnügen. Sie praktizieren diese Form von Kunst-Performance auch in Underground-Lokalen vor Publikum und haben damit Weltruhm erlangt. Die Neo-Organe, welche Sauls Körper produziert, sind eine Art Tumore, mit welchen er dank den befriedigenden Performances zu leben und umzugehen gelernt hat.

Diese Entwicklung repräsentiert eine menschliche Evolution und darauf sind auch die Behörden und die Medizin aufmerksam geworden. Saul erhält deswegen Besuch von Timlin (Kristen Stewart) und Wippit (Don McKellar), die seine Neo-Organe in einem staatlichen Register dokumentieren wollen. Diverse Organisationen und Institutionen zeigen Interesse für die Geschehnisse und Saul muss aufpassen, wem er vertraut, um sein Leben und jenes von Caprice zu schützen.

Abstossend, aber tief schürfend

Der kanadische Kultregisseur David Cronenberg ist ein Genie, wenn es darum geht, Faszination mit Abscheulichem zu erzeugen. Mit Werken wie «The Fly», «Crash» und «eXistenZ» hat er für viel Aufsehen erregt. Für viele Menschen mögen seine Ideen und Darstellungen abstossend wirken, aber hinter den verstörenden Bildern steckt mehr. Der visionäre Filmemacher greift in seinen Erzählungen immer auch gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Phänomene sowie aktuelle Fortschritte in der Technik auf.

Seine blühende Fantasie demonstriert er in «Crimes of the Future» aufs Neue. In der dystopischen, futuristischen Welt, die er kreiert, herrscht eine düstere, mysteriöse Atmosphäre. Viele Szenen spielen sich im Untergrund ab. Auch die Hauptfigur Saul wirkt geheimnisvoll. Viggo Mortensen ist in einen langen dunklen Mönchsmantel gehüllt und sein Gesicht versteckt er vor der Öffentlichkeit. Aufgrund der körperlichen Strapazen, denen er unterzogen wird, wirkt er mitgenommen und spricht mit kratziger Stimme. Mortensen spielt seinen Part grandios und ist die ideale Besetzung für diese eigenartige Gestalt.

Die Szenen, in denen die Kunst-Performances dargeboten werden, haben es in sich. Sie sind zwar auf den ersten Blick völlig verstörend und obszön, haben aber trotzdem Erotisches und Faszinierendes an sich – nicht zuletzt dank Seydoux und Mortensens leidenschaftlicher Darstellungen. Viel nackte Haut gehört selbstverständlich zum Programm.

Bei aller Obszönität vermittelt Cronenberg aber auch in «Crimes of the Future» wieder spannende, visionäre Ideen, die zum Denken anregen. Er thematisiert Fortschritte der Medizin und übt gleichzeitig Kritik an deren Experimentierfreudigkeit. Zudem zieht er die Rolle von einflussreichen Institutionen und Organisationen mit in Betracht. Seine Erzählung lässt viel Spielraum für Interpretationen offen und wird auf alle Fälle noch eine Menge Gesprächsstoff liefern.

«Crimes of the Future» hat bisher keinen Kinostart in der Schweiz.