Greenpeace-Experte «Ein Privatjet-Verbot hat in der Schweiz grossen Rückhalt»

Von Marjorie Kublun

16.8.2023

Anna Ermakova stehe in der Öffentlichkeit und habe somit eine Vorbildfunktion, so Greenpeace.
Anna Ermakova stehe in der Öffentlichkeit und habe somit eine Vorbildfunktion, so Greenpeace.
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Anna Ermakova hat vor Kurzem einen Post mit mehreren Fotos von sich in einem Privatjet gepostet und viel Kritik dafür geerntet. Zu Recht, findet Greenpeace.

Von Marjorie Kublun

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Anna Ermakova hat Fotos von sich im Privatjet gepostet und als Rückmeldung einen Shitstorm bekommen. Zu Recht, findet Greenpeace.
  • Ein Verzicht auf Privatjets wäre zumindest ein Beitrag, die Pariser Klimaziele zu erreichen.
  • Es fehlt der politische Wille, Privatjets in der EU und in der Schweiz zu regulieren.

Strahlend zeigt sich Anna Ermakova, die Tochter von Angela Ermakova und Boris Becker an Bord eines leeren Privatjets mit ihrer Mutter. Ein Beitrag, der einen Shitstorm ausgelöst hat. «Tut mir leid, aber ein verwöhntes reiches Kind in einem Privatjet während des Klimawandels ist ein absolutes No-Go. Grosser Sympathieverlust», schrieb eine Userin. «Nice, aber warum Privatjet? Linie tut es doch auch und macht weniger Dreck», kommentierte eine andere.

Doch es gab auch Sympathisanten: «Wenn Sie doch eingeladen wird. Gönnt Ihr doch das schöne Leben. Kein Neid» sowie 14'400 Likes für den Post.

Roland Gysin von Greenpeace Schweiz steht blue News Red und Antwort.

Manche Leute können es sich finanziell leisten, mit dem Privatjet zu reisen. Zuletzt erntete Anna Ermakova einen Shitstorm, nachdem sie Fotos von sich in einem Privatjet gepostet hat. Zu Recht?

Kurzantwort: Ja. Zu den Fakten: In Europa hoben 2022 im Vergleich zum Vorjahr 64 Prozent mehr Privatjets ab, total 572'806 Starts. Die CO2-Emissionen haben sich mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr waren 55 Prozent aller Privatjet-Flüge in Europa Kurz- oder Ultrakurzflüge. Das heisst, sie waren kürzer als 750 Kilometer. Solche Strecken lassen sich meist gut mit dem Zug oder mit Fähren zurücklegen.

Ein Privatjet kann in einer Stunde bis zu zwei Tonnen CO2 ausstossen. Das ist das Doppelte der durchschnittlichen, jährlichen CO2-Emissionen einer in Afrika lebenden Person.

Es gab seitens Followern auch jene, die sie in Schutz genommen haben und Kritiker beschuldigten, ihr nichts zu gönnen. Kann beim Thema Privatjet von «Jemandem etwas nicht gönnen» die Rede sein?

Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, haben eine Vorbildfunktion. Das gilt besonders auch für wohlhabende Menschen. Laut dem Climate Inequality Report 2023 ist das Top-ein-Prozent der wohlhabenden Menschen für 21 Prozent des Pro-Kopf-Wachstums des Ausstosses an schädlichen Klimagasen verantwortlich. Dazu kommt: 80 Prozent der Menschen sind überhaupt noch nie geflogen, auch nicht mit einem Linienflug. Sie sind aber genau gleich, wenn nicht noch mehr, von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen.

Würden Sie sagen, im Privatbereich gibt es nichts Schlechteres für die Umwelt, als mit einem Privatjet zu fliegen?

Ein Verzicht wäre zumindest ein Beitrag. Doch das reicht nicht. Um die Pariser Klimaziele von einer maximalen Erderwärmung von 1,5 Grad noch zu erreichen, braucht es grundlegende und rasche Verhaltens- und Konsumänderungen.

Es sieht so aus, als wäre Anna Ermakova allein mit ihrer Mutter geflogen. Kann man sagen, ab wie vielen Personen im Privatjet ein Flug einigermassen tolerierbar wäre?

Business- und Freizeitflüge mit Privatjets gehören verboten, unabhängig davon, wie viele Menschen im Jet sitzen. Als Info: Im vergangenen Jahr waren 4,4 Prozent aller Privatjet-Flüge in Europa Regierungsflüge. 9,2 Prozent waren medizinische Flüge. Der Grossteil der Privatjet-Flüge in Europa sind kommerzielle und nicht-kommerzielle Flüge, von denen viele mit dem Zug oder dem Auto vermieden oder ersetzt werden können.


Wie schlimm ist ein Kurzflug im Privatjet innerhalb von Europa für die Umwelt?

Privatjets sind pro Passagierkilometer das umweltschädlichste Verkehrsmittel der Welt. Sie sind pro Passagier*in 5- bis 14-mal umweltschädlicher als normale Linienflugzeuge und 50-mal schädlicher als Züge.

Wie viele Schweizer*innen reisen regelmässig mit einem Privatjet?

2022 starteten in der Schweiz 35'269 Privatjets – mit wie vielen Passagier*innen an Bord, ist nicht bekannt. Klar ist: Die Anzahl Starts entsprechen einem Plus von 62,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Privatjets verursachten 166'000 Tonnen CO2. Das entspricht den CO2-Emissionen von fast 38'000 Schweizer*innen pro Jahr, ungefähr die Anzahl Einwohner*innen von Schaffhausen.

Gibt es genauso viele Privatjet-Reisen wie vor Corona?

Die von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie bestätigt einen allgemeinen Aufwärtstrend bei der Nutzung von Privatjets: Nach einem Rückgang des gesamten Flugverkehrs im Jahr 2020 und einem rasanten Anstieg im Jahr 2021 hat sich der Markt im Jahr 2021 auf einem Wachstumsniveau von rund sechs Prozent gegenüber dem Vorkrisenzeitraum im Jahr 2019 eingependelt.

Privatjets sind in der EU und in der Schweiz nicht reguliert, warum nicht?

Es fehlt der politische Wille.

Wie könnte eine Regulierung für die Schweiz oder europaweit aussehen?

Der Flughafen Schiphol in Amsterdam macht es vor. Schiphol will Privatjets ab 2025 verbieten. Zudem: Österreich, Frankreich, Irland und die Niederlande fordern von der EU «eine Verschärfung der Gesetze zur Eindämmung der Auswirkungen von Privatjet-Reisen auf das Klima».

Wer sind die Hauptgegner eines Privatjet-Verbots?

Vielflieger*innen, die Privatjet-Industrie, Flughäfen. In der Schweizer Bevölkerung geniesst ein Verbot grossen Rückhalt.

Mittlerweile stehen Umweltaktivisten selbst in der Kritik. Haben Sie Angst um den Ruf von Umweltaktivisten? 

Greenpeace ist von der Bedeutung des zivilen Ungehorsams tief überzeugt. Es ist wichtig, sich zu empören, aufzubegehren und die Stimme zu erheben, wo Unrecht an Menschen und an der Natur geschieht. Es gibt viele Formen, die eigene Empörung auszudrücken, jede und jeder findet eine Möglichkeit. Gemeinsam können wir den Lauf der Dinge ändern.

Ziviler Ungehorsam bezieht sich auf höherstehende Werte. Diese sind in der Verfassung festgeschrieben oder vorausgesetzt – etwa die Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen. Entscheidend ist, dass ziviler Ungehorsam nicht auf privaten Motiven basiert und keine persönlichen Vorteile bringt. Er muss uneigennützig sein.

Wie kann das Image wieder verbessert werden?

Transparent, hartnäckig und glaubwürdig sein und bleiben. 


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