Serienmörder-Serie «Dahmer» bricht Rekorde Angehörige der Opfer kritisieren Netflix – Autor kontert 

Von Marlène von Arx, Los Angeles

9.11.2022

Weisses Privileg, Homophobie und systematischer Rassismus: Ryan Murphy hat mit «Monster: The Jeffrey Dahmer Story» die Geschichte um den Serienkiller modernisiert, doch das freut nicht alle.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

Ryan Murphy ist mächtig stolz. Seine beiden Mini-Serien «Monster: The Jeffrey Dahmer Story» und «The Watcher» gehören derzeit zu den erfolgreichsten Shows auf Netflix. «‹Monster› wird bis Anfang November eine Milliarde Stunden gestreamt worden sein – das ist der grösste Hit meiner 25-jährigen Karriere», sagt der Serienschöpfer, bekannt für «American Horror Story», «Glee» und den Julia-Roberts-Film «Eat, Pray, Love» beim Presse-Event Ende Oktober im Netflix-Hauptsitz in Hollywood.

Die Geschichte des Serienmörders Jeffrey Dahmer, der von 1978 bis 1991 siebzehn junge Männer ermordete und 1994 im Gefängnis von einem anderen Insassen getötet wurde, wurde schon mehrmals abgehandelt – in Spielfilmen wie «Dahmer» (2002) mit Jeremy Renner oder «My Friend Dahmer» (2017) sowie diversen Dok-Filmen.

«Seit Covid interessiert man sich mehr für die Psyche»

Ryan Murphy hat seine Theorien, wieso das Streaming-Publikum ausgerechnet jetzt mehr über den Killer-Kannibalen erfahren will: «Wir leben in einer düsteren Welt und die Leute suchen einen Ort, wo sie ihr Unbehagen platzieren können. Dazu interessiert man sich seit Covid viel mehr für die Psyche. Jede Figur in der Serie hat dazu etwas zu sagen.»

Die neuerliche Aufarbeitung passt zudem in die aktuelle kulturelle Debatte: «Es ist meine bislang grösste Produktion, in der ich das weisse Privileg thematisiere», so Murphy. «Dieser Typ wurde mehrmals gefasst und kam jedes Mal davon. Das wollte ich erzählen. Es ist die Geschichte von Homophobie, systematischem Rassismus und Profiling durch die Polizei. Es ist nicht die Geschichte eines Monsters, sondern wie das Monster gemacht wurde.»

Die Polizei glaubte dem Weissen, nicht der Schwarzen

Der Nachbarin Glenda Cleveland, die 2011 starb und in Wahrheit im Wohnblock nebenan und nicht auf demselben Stock wie Dahmer wohnte, bekommt hier eine eigene Episode. Sie ruft die Polizei, als der halb ohnmächtige 14-jährige Konerak Sinthasomphone aus Dahmers Wohnung flieht. Die Polizei glaubt aber Dahmers Erklärung, dass der Junge sein volljähriger, 19-jähriger Freund sei und nur zu viel getrunken habe.

Mehrmals ruft sie die Polizei an, aber ihre Vermutungen werden nicht untersucht. Sie ist schwarz, Dahmer weiss. Hätte man ihr geglaubt, hätten fünf Morde verhindert werden können. «Ich verliess das Set an manchen Drehtagen in Tränen», so Schauspielerin Niecy Nash. «Das Wissen, dass alles nicht hätte passieren müssen, lastete schwer auf mir.»

Auch Jeffreys Vater Lionel Dahmer, der einen Richter bat, seinen Sohn in Verwahrung zu behalten, wurde nicht gehört. Er hörte aber seinen Sohn ebenfalls nicht. «Er schrieb ein Buch, wie er die Warnsignale verpasste und wie wichtig es ist, seinen Kindern zuzuhören, wenn sie einem etwas zu sagen versuchen», so Lionel-Darsteller Richard Jenkins. «Ich hätte nicht gedacht, dass ein Dahmer-Film so menschlich sein könnte.»

Serienmörder als kontroverser Trend

Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wird die Serie auch heftig kritisiert: Während die Familien der Opfer die schlimmsten Momente ihres Lebens nicht erneut durchleben möchten, sind Serienmörder inzwischen die heimlichen Stars von Netflix: In der Dok-Serie «Conversations with a Killer» gibt es nach John Wayne Gacy, Ted Bundy nun auch die Audio-Tapes von Jeffrey Dahmer zu hören.

In «Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile» mordete sich Zac Efron als Ted Bundy unlängst durch einen Spielfilm und mit «The Good Nurse» schickt Netflix den Oscar-Preisträger Eddie Redmayne als Killer-Krankenpfleger Charlie Cullen ins Rennen um die diesjährigen Top-Schauspielpreise.

Der Kultstatus dieser Mörder stösst vielen Kritiker*innen, die hinter dem Neuaufrollen dieser Fälle mehr Profitdenken als Aufklärung vermuten, sauer auf. Auch Rita Isabell, die Schwester von Dahmer-Opfer Errol Lindsay, die in der Serie in einer Gerichtsszene erscheint: «Ich finde, Netflix hätte uns fragen sollen, was wir von diesem ganzen Ding halten, aber ich habe nie etwas von ihnen gehört», liess sie in einem Interview mit dem Online-Magazin «The Insider» verlauten.

«Wir haben 20 Freunde und Familienmitglieder von Opfern kontaktiert», hält Murphy dem entgegen, ohne ins Detail zu gehen, wer kontaktiert wurde. «Wir hätten ihren Input sehr gern gehabt, aber niemand hat uns geantwortet. Aber letztlich hatte ich auch als Künstler etwas zu sagen: In jeder Episode gibt es einen Moment, in dem jemand bittet, ihm oder ihr zu glauben. Wenn wir systematischer Ungerechtigkeit entgegenwirken wollen, sollte man das auch tun.»

«Monster: The Jeffrey Dahmer Story» läuft derzeit auf Netflix. Wie jüngst bestätigt wurde, erhält die Serie eine zweite und dritte Staffel.