Kolumne am Mittag Wer über diese Frau urteilen will, sollte stets offline gewesen sein

Von Dirk Jacquemien

2.6.2021

Der Rollkragen war das Markenzeichen von Steve Jobs – und ist es von Elizabeth Holmes.
Der Rollkragen war das Markenzeichen von Steve Jobs – und ist es von Elizabeth Holmes.
Keystone

In wenigen Wochen beginnt ein Prozess zum wohl spektakulärsten mutmasslichen Betrug in der jüngeren Tech-Geschichte. Die Hauptfigur Elizabeth Holmes ist längst Stoff für Hollywood. Ihre Anwält*innen wollen, dass die Juroren davon möglichst nichts mitbekommen haben.

Von Dirk Jacquemien

2.6.2021

Die Saga der Elizabeth Holmes hätte wohl die besten Dramatiker*innen nicht besser schreiben können. Von der reichsten Self-Made-Frau Amerikas zur mittellosen Angeklagten. Vom «weiblichen Steve Jobs» zur mutmasslich grössten Betrügerin der Silicon-Valley-Geschichte.

Elizabeth Holmes versprach mit ihrer Firma Theranos ein revolutionäres Produkt, den «Edison». Ein medizinisches Gerät, das mittels weniger Tropfen Blut aus der Fingerkuppe an Ort und Stelle Untersuchungen auf eine Vielzahl von Erkrankungen vornehmen kann – Untersuchungen, die bisher mehrere mit Blut gefüllte Röhrchen und ein hochgerüstetes Labor erforderten. 

Holmes soll allerdings schnell klar gewesen sein, dass der «Edison» nicht funktioniert, nie funktionierte und nie funktioniert hätte. Investor*innen und Kund*innen seien über Jahre hinweg systematisch getäuscht worden. 2018 wurde sie deswegen angeklagt, nach durch Corona und einer Schwangerschaft Holmes’ bedingten Verzögerungen soll der Prozess nun im August beginnen.

Zu perfekt, um wahr zu sein

Elizabeth Holmes' Werdegang schien zu perfekt, um wahr zu sein – und war es dann eben auch. Als 20-jährige Stanford-Abbrecherin gründete sie Theranos, ihr Image als junges Tech-Genie pflegte sie zur Perfektion.

Bei öffentlichen Auftritten trug sie häufig einen schnöden Rollkragenpullover und wollte damit eine Assoziation zu Apple-Gründer Steve Jobs herstellen, der denselben Kleidungsstil pflegte. Sie schaffte es auf die Titelseiten von Hochglanzmagazinen.

Dieses Charisma half ihr in der männlich dominierten Tech-Welt über Jahre hinweg Millionen von prominenten Investor*innen einzusammeln. Mehr als 100 Millionen Dollar in den kalifornischen Sand setzten durch ihre Theranos-Investition etwa Medien-Mogul Rupert Murdoch, Donald Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos und die Eigentümerfamilie der Supermarkt-Kette Walmart.



Trotz im Nachhinein vieler Ungereimtheiten begann der Niedergang erst Ende 2015, mit einer Reihe von Enthüllungsartikeln im «Wall Street Journal». Nach und nach begann das Kartenhaus Theranos zu kollabieren, 2018 ging das Unternehmen pleite.

Ein Fall für die Popkultur

Die Geschichte ist längst in die Popkultur eingegangen. Neben einem Bestseller-Sachbuch gibt es bereits eine Podcast-Serie und eine HBO-Dokumentation. Wem das nicht genug Drama ist, der kann sich bald auf einen Film mit Jennifer Lawrence sowie eine TV-Serie mit Amanda Seyfried jeweils in der Hauptrolle freuen, die beide gerade in Entwicklung sind.

Holmes Anwält*innen wollen allerdings offenbar, dass die Juror*innen von all dem nichts mitbekommen haben. In ihrem Vorschlag für einen 45-seitigen Fragenkatalog wollen sie von potenziellen Jury-Mitgliedern wissen, ob sie je eines von 65 Medien konsumiert oder Social-Media-Dienste nutzen. Falls ja, soll doch bitte detailliert aufgelistet werden, worüber man alles in seinem Leben gepostet hat.

Die Staatsanwaltschaft hat schon Einspruch gegen den Fragenkatalog eingereicht und der Richter wird ihn wohl kaum akzeptieren. In San Francisco, wo der Prozess stattfinden wird, dürfte es einfach ein Ding der Unmöglichkeit werden, Juror*innen zu finden, die nicht schon sehr viel von Theranos oder Holmes gehört haben.

Im Rest der Welt könnte das bald genauso sein.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.