Krypto-Crash Seit dem Herbst haben sich 1,75 Billionen Dollar in Luft aufgelöst

Dirk Jacquemien

12.5.2022

Nicht nur Bitcoin ist gerade im freien Fall.
Nicht nur Bitcoin ist gerade im freien Fall.
Getty Images

Krypto-Währungen erleben gerade schwarze Wochen. Nun droht dem gesamten System auch noch Ungemach durch eine Vertrauenskrise in sogenannten Stablecoins.

Dirk Jacquemien

Der Kursverfall der Krypto-Währungen setzt sich auch in diesen Tagen fort. Mit 24'000 Dollar erreichte Bitcoin heute den niedrigsten Stand seit rund 16 Monaten. Alleine in den vergangenen 24 Stunden hat der Krypto-Markt knapp 15 Prozent seines Gesamtwertes verloren.

1,25 Billionen Dollar sind somit noch in Kryptowährungen investiert, im November waren es noch 3 Billionen Dollar, ein Minus von 1,75 Billionen oder 1'750 Milliarden Dollar.

Allerdings droht neben den fallenden Kursen noch weiteres Ungemach. Denn eine weitere tragende Säule des Krypto-Handels wackelt. Die sogenannten Stablecoins scheinen ihrem Namen keine Ehre mehr zu machen und drohen, das Vertrauen in das gesamte Krypto-System nachhaltig zu beschädigen.

Stablecoins erleichtern Krypto-Handel

Stablecoins, also «stabile Münzen», sollen 1:1 an eine Währung gekoppelt sein, meistens den US-Dollar. Eine Einheit eines Stablecoins ist also immer einen Dollar wert, unabhängig von den Schwankungen im Krypto-Markt als Ganzes, so das Konzept.

Stablecoins sind vor allem bei häufigem Handeln und Spekulieren mit mehreren Kryptowährungen praktisch. Gewinne können hier zwischenparkiert werden und müssen nicht in Fiatwährungen wie Dollar oder Franken konvertiert werden — was meist mit Gebühren verbunden wäre und häufig die Steuerbehörden auf den Plan ruft.

Drittgrösster Stablecoin kollabiert

Drittgrösster Stablecoin war bisher TerraUSD, knapp 18 Milliarden Dollar waren hier deponiert. Doch am Wochenende zogen im Zuge des generellen Niedergangs an den Kryptomärkten viele Investoren ihre TerraUSD ab. Da TerraUSD an den US-Dollar gekoppelt sein soll, hätte dies aber eigentlich keine Auswirkungen auf den Kurs haben dürfen, ein TerraUSD hätte weiterhin einen US-Dollar wert sein sollen.

Am Montag begannen allerdings bei TerraUSD wilde Kursschwankungen, wie sie eigentlich nur von ordinären Kryptowährungen zu erwarten sind. Teilweise war ein TerraUSD nur noch 30 US-Cent wert, derzeit hat sich der instabile Stablecoin auf immerhin rund 45 US-Cent retten können. Wer jedoch sein Geld in einer Kryptowährung anlegte, von der er glaubte, sie sei äquivalent zu einem auf US-Dollar laufenden Bankkonto, erlebte eine böse Überraschung.

TerraUSD setzte auf Arbitrage

TerraUSD funktioniert ein wenig anders als die anderen beiden grossen Stablecoins am Markt, Tether und USDC – zu diesen später mehr. Es setzte auf einen Algorithmus und auf Marktteilnehmer*innen, um die Koppelung an den Dollar zu bewahren. Im Prinzip wurde dabei auf Arbitrage gesetzt, eine jahrhundertealte Finanzmarktpraxis, die dafür sorgt, dass ein identisches Wertpapier an verschiedenen Börsenplätzen immer ungefähr gleich viel kostet.

Dank Arbitrage kann man beispielsweise eine Apple-Aktie an der Börse in Zürich und an der Börse in New York zum fast exakt selben Preis kaufen, weil bei grösseren Preisunterschieden Arbitrage-Händler*innen sofort im grossen Stil Apple-Aktien an der einen Börse kaufen würden, um sie an der anderen zu verkaufen.

Bei TerraUSD nun funktioniert der Arbitrage mit einer verwandten und von derselben Betreibergesellschaft, der Luna Foundation Guard, herausgegebenen Kryptowährung namens Luna. Als Besitzer*in eines TerraUSD hat man das Recht, diesen in Luna im Gegenwert von einem US-Dollar umzutauschen. Würde TerraUSD also weniger als einen Dollar wert sein, würden Arbitrage-Händler*innen diesen massenhaft aufkaufen, gegen Luna und dann gegen US-Dollar umtauschen und somit wieder den TerraUSD-Kurs stützen. Soweit die Theorie.

Hyperinflation gibt es auch bei Krypto

Nun ist Luna allerdings eine reguläre Kryptowährung. Und diese sind nur etwas wert, weil Menschen glauben, dass sie etwas wert sind. Vor einem Monat war Luna 119 US-Dollar wert. Heute sind es 4 Cent, oder 0,04 Dollar, ein Minus von 99,9 Prozent. Währenddessen wurden massenhaft neue Luna erzeugt, also quasi Hyperinflation wie in Deutschland während der Weimarer Republik oder Simbabwe und Venezuela in der Neuzeit herbeigeführt.

Auf Dauer ist das natürlich keine gangbare Lösung. Die Luna Foundation Guard und die treibende Kraft hinter beiden Währungen, der südkoreanische Krypto-Investor Do Kwon, wollen nun mit ihren Bitcoin-Reserven TerraUSD stützen sowie externe Investoren heranziehen, doch es ist zweifelhaft, ob diese Pläne glücken.

Sorgen um andere Stablecoins

Der Zusammenbruch von TerraUSD erzeugt auch Sorgen in Bezug auf andere Stablecoins. Tether und USDC setzten nicht auf Algorithmen und den Markt, um die Kopplung an den US-Dollar zu sichern, sondern behaupten, dass ihre Stablecoins durch Werte aus der Nicht-Krypto-Welt wie echte US-Dollar oder Unternehmens- und Staatsanleihen gedeckt sind.

Berichte in Mainstream-Medien wie «Bloomberg» weckten immer wieder erhebliche Zweifel, ob die Stablecoin-Betreiber wirklich genug Reserven besitzen, um all ihre zirkulierenden Coins zu decken. Die Krypto-Gemeinde schien das nicht gross zu stören, das Vertrauen war da.

Auch Tether verliert Dollar-Koppelung

Doch nun scheint man sich auch dort nicht mehr ganz sicher zu sein. Tether war heute Morgen zeitweise nur rund 95 Cent wert, inzwischen hat es sich bei 98 Cent eingependelt. Kein so dramatischer Absturz wie bei TerraUSD, aber auch keine wirkliche Kopplung mit dem US-Dollar mehr: So weit entfernt von einem Dollar war der Tether-Kurs noch nie.

Anderes als bei früheren Crashs des Krypto-Marktes, von denen es ja zahlreiche gab und auf die dann aber oft rasante Kursrallys folgten, kommt nun Sorge um die Stabilität des gesamten Systems hinzu – wohl ähnlich wie bei der Finanzkrise 2007/08. Bei einem fast ausschliesslich auf Glauben aufgebauten System, wie es Kryptowährungen nun mal sind, könnte das fatal sein.