Testzentrum-Mitarbeiter am Anschlag «Ich bekam am Mittag eine Panikattacke»

Von Lia Pescatore

12.10.2021

Testen ohne Pause: diese Erfahrung machten zwei Mitarbeitende eines Corona-Testzentrums. (Symbolbild)
Testen ohne Pause: diese Erfahrung machten zwei Mitarbeitende eines Corona-Testzentrums. (Symbolbild)
Bild: Keystone/Gaetan Bally 

Immenser Druck, vernachlässigtes Schutzkonzept und unzureichende Schulung: Zwei ehemalige Mitarbeitende eines Zürcher Testzentrums erzählen von chaotischen Situationen. Nun reagiert auch der Kanton.

Von Lia Pescatore

Etwas Gutes tun, in der Pandemie einen Beitrag leisten und dabei ein wenig Geld verdienen –  das war die Motivation von Jonas*, als er sich als medizinischer Assistent in einem Testzentrum in Zürich bewarb. Er hatte er zwar keine Erfahrung im Gesundheitsbereich, diese wurde im Stellenbeschrieb jedoch auch nicht gefordert.

«Die Arbeit tönte vielfältig», sagt Jonas, der Anbieter seriös: eine Apotheke. Er sei trotzdem überrascht gewesen, wie schnell er den Job bekam. Er reichte Lebenslauf und Motivationsschreiben ein, dann folgte ein kurzes Telefon und er war eingestellt. «Ich musste kaum etwas zu mir selbst erzählen», sagt er im Nachhinein.

Er wurde zu einer Einschulung eingeladen. Mithilfe einer Präsentation sei vor allem theoretisch erklärt worden, was die Teilnehmenden im Job erwarte. Vom Empfang der Kunden übers Testen bis zur Ausstellung des Zertifikats wurde alles Wichtige in zwei Stunden abgehandelt.

Den Nasenabstrich habe er zum Schluss einmal ausprobieren können. Auch das strenge Schutzkonzept war Thema. Jonas wurde angehalten, für das Testen zwei Handschuhe übereinander anzuziehen und diese regelmässig zu desinfizieren.

Keine fachliche Unterstützung vor Ort

Jonas realisierte bei seiner Schicht jedoch schnell, dass das nicht umsetzbar war. «Es standen konstant Menschen an, der Druck war immens», sagt er. Wegen des regelmässigen Desinfizierens rissen die Handschuhe schnell. Als Jonas neue anziehen wollte, wurde er von anderen Mitarbeitern wurde er angeschnauzt, er solle keine Zeit dafür verschwenden.

Dies war vor drei Wochen. Eine Woche später hatte auch Mariam* ihre erste Schicht in einem Testzentrum, das von derselben Apotheke betrieben wird. Schon von Anfang war die Stimmung gereizt, «ein Vorbote für das, was danach noch kommen sollte», sagt Mariam.

Unterstützung von medizinischem Personal vor Ort war nicht ersichtlich. «Ich habe erwartet, dass mir jemand über die Schulter schaut, während ich die ersten Tests an den Patienten mache», sagt Mariam. Auch sie berichtet, dass sie in der Einschulung den Test gerade einmal an einem anderen Schulungsteilnehmer ausprobieren konnte. Sie habe sicher ein, zwei Tests nicht korrekt ausgeführt, das habe sie im Nachhinein festgestellt.

Kündigung über Whatsapp

Während der Schicht blieb ihr keine Zeit, um darüber nachzudenken. «Die Leute standen Schlange, obwohl die meisten angaben, einen Termin vereinbart zu haben», wie Mariam sagt. «Irgendwann wurde mir schwindlig und ich habe gemerkt, dass ich in den letzten vier Stunden keinen Schluck Wasser zu mir genommen habe», sagt Mariam.

Schon nach der ersten Schicht sei ihr klar gewesen – diesen Job sei nichts für sie. Sie kündigte über Whatsapp – dem Kanal, über den die ganze Koordination des Testbetriebs stattfand.

Arbeitsvertrag nur auf Wunsch des Mitarbeitenden

Auch Jonas merkte schnell, dass ihm das Ganze zu viel wird. Schon von Beginn an sei er mit Schicht-Anfragen überhäuft worden – der Personalmangel sei akut gewesen. Für seine erste Schicht habe er bis nach Mitternacht gearbeitet, war am nächsten Morgen aber bereits wieder um 8 Uhr eingeteilt.

«In diesen beiden Wochen ist es schwierig gewesen, der Nachfrage nachzukommen.»

Apotheke-Betreiberin

Auch in dieser Schicht sei der Umgangston rau gewesen, die Schlange vor dem Testzentrum lange. Am Nachmittag wäre schon der nächste Einsatz angestanden. «Ich bekam am Mittag eine Panikattacke, ich konnte nicht mehr», sagte er. Er habe direkt gekündigt, sogar die vertraglich festgehaltene Kündigungsfrist von einer Woche ignoriert – anders als Mariam hat Jonas auf einen Arbeitsvertrag beharrt bei seiner Einstellung.

Apotheke-Betreiberin: Nachfrage ist explodiert

Auf die eingebrachten Anschuldigungen angesprochen, sagt die Betreiberin der Apotheke, dass jederzeit telefonisch Kontakt mit einer medizinisch geschulten Fachperson aufgenommen hätte werden können. Laut den Richtlinien des BAG sei es nicht vorgeschrieben, dass medizinisches Personal vor Ort sei.

Sie beruft sich auf die Selbstverantwortung der Mitarbeitenden. Die Teilnehmenden der Einschulung seien nach dem Kurs gefragt worden, ob sie sich sicher fühlten für die Arbeit. Zudem hätten die Verantwortlichen am Standort sichergestellt, dass das Schutzkonzept eingehalten werde.

«In diesen beiden Wochen ist es schwierig gewesen, der Nachfrage nachzukommen», sagt die Betreiberin. Die Kundenzahl sei explodiert mit der Einführung der Zertifikatspflicht.

Man habe Zeit gebraucht, um Anpassungen vorzunehmen. Neu würde neuen Mitarbeitern ermöglicht, dass sie zuerst einen Tag mitlaufen könnten, um den Betrieb zu sehen, bevor sie selbst zum Einsatz kommen. Nun sei die Lage wieder entspannter. Dies wohl auch wegen der neuen Regelung, dass Tests für die Mehrheit kostenpflichtig sind. Ob alle drei Standorte weiterhin betrieben würden, sei noch offen.

Fachpersonen dürfen in Zürich nur noch zehn Teststellen betreuen

Es sind nicht die einzigen Testzentren, die in die Kritik geraten. In den vergangenen Wochen wurden die Verhältnisse gerade auch bei gewissen privaten Betrieben kritisiert, auch bei der zuständigen Gesundheitsdirektion. 

«Wir erhalten sehr viele Hinweise von Leuten, die im Nachhinein feststellen, dass etwas falsch gelaufen ist. Das Testzentrum sagt aber, sie hätten alles klar kommuniziert», sagte so Christiane Meier von der Zürcher Gesundheitsdirektion dem SRF letzte Woche. Sie erwartete zu diesem Zeitpunkt jedoch, dass mit Einführung der Kostenpflicht viele Testzentren bald wieder verschwinden würden. 

Zur Qualitätssicherung nimmt der Kanton nun jedoch gewisse Schritte vor. Das Merkblatt, das die Gesundheitsdirektion heute veröffentlicht hat, hält zwar fest, dass für die Durchführung der Corona-Tests eine Einarbeitung in die spezifischen Arbeitsschritte ausreiche und kein medizinisches Diplom nötig sei.

Gleichzeitig müsse aber eine Ärztin oder ein Arzt, eine Leitperson eines  Labors oder ein Apotheker oder eine Apothekerin mit kantonaler Berufsausübungsbewilligung die Verantwortung für den Test übernehmen. Diese Person darf nicht mehr als zehn Teststellen gleichzeitig betreuen. Die verantwortliche medizinische Fachperson muss zudem namentlich am Teststandort ersichtlich sein.

*Namen von der Redaktion geändert