KolumneIch gehöre nicht mehr zu den Jungen – zum Glück!
Von Michelle de Oliveira
29.5.2023
Die Kolumnistin merkt immer wieder, dass sie längst nicht mehr zu den Jungen gehört, auch wenn sie sich unbewusst meist noch zu ihnen zählt. Tauschen möchte sie aber nicht – ausser unter einer Bedingung.
De Oliveira hat kein Problem mit dem Älterwerden. Sie findet sogar, es gehe ihr viel besser als vor zehn Jahren.
Spannend findet sie, wie man jeden Tag älter wird, aber in seiner Einstellung dem eigentlichen Alter oft hinterherhinkt oder phasenweise gar stehen bleibt.
Letzten Monat feierte ich meinen Geburtstag, den 38.
Es war ein unspektakulärer, aber wunderbarer Tag, mit allem, was ich sehr gerne mag: viel Zeit am und im Meer, Zusammensein mit meiner Familie, gutem Essen und eisgekühltem Rosé. Ich witzelte, der 28. sei ein wirklich toller Geburtstag.
Dabei hadere ich nicht mit meinem Alter. Würde eine Fee auftauchen, die mich auf einen Schlag zehn Jahre jünger werden liesse, müsste ich die Bedingungen sehr genau kennen.
Klar, nochmals so jung zu sein, klingt durchaus verlockend. Aber vor allem aus meiner jetzigen Perspektive, mit meinen Erfahrungen und Erkenntnissen.
Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg
Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.
Denn gerade mit Ende 20 fand ich das Leben nicht besonders prickelnd, ganz im Gegenteil, wahnsinnig herausfordernd und anstrengend. Tauschen möchte ich also nicht.
Die Kolumnistin denkt oft an ihren Grossvater
Was ich aber bemerkenswert finde: In meinem Kopf bin ich den 20ern noch viel näher als den 40ern. Geburtstag, der ja nicht mehr in allzu weiter Ferne liegt.
Doch ich erwische mich immer wieder dabei, dass ich mich dazuzähle, wenn irgendwo von «jungen Müttern» die Rede ist. Oder mich mitbetroffen fühle, wenn von «jungen Journalistinnen» gesprochen wird. Dann denke ich: «Jaja, so wie ich.» Nur bin ich halt schlicht nicht mehr jung, weder als Mutter noch als Journalistin noch überhaupt als Mensch.
Das soll nicht verbittert klingen, denn wie gesagt, mir geht es viel besser als noch vor zehn Jahren. Ich finde nur lustig, wie man jeden Tag älter wird, aber in der Einstellung dem stets etwas hinterherhinkt oder phasenweise gar stehen bleibt.
Ich denke dann oft an meinen Grossvater, der nicht zur Altersfasnacht gehen wollte, weil es da «sowieso nur Alte hat». Dabei hätte er mit seinen fast 90 Jahren beim Wettbewerb um die den tiefsten Jahrgang ganz vorne mitgemischt.
«Ach du, du hast das Leben noch vor dir»
Überhaupt ist das mit dem Jahrgang lustig: Höre ich von jemanden, dass er oder sie im Jahr 2000 auf die Welt gekommen ist, denke ich an ein Kind und erschrecke dann, dass sie bereits 23 sind.
Und für diese Menschen gehöre ich mit Sicherheit schon zu den «älteren» Menschen. Und für andere bin ich genau das Gegenteil: Erst kürzlich meinte eine 85-Jährige Frau zu mir: «Ach du, du bist ja noch so jung und hast das Leben noch vor dir.»
Obwohl ich im Herzen tatsächlich meist noch jung und wild fühle, merke ich doch häufig, dass ich es nicht mehr bin – zumindest nicht mehr jung. Nicht zuletzt an meinem Wortschatz erkenne ich, dass ich nicht mehr ganz dazu gehöre.
Das Wort «cute», also herzig, verstehe ich natürlich und kann es sogar anwenden, aber es geht mir nicht ganz leicht über die Lippen. Ich fühle mich dann schnell etwas «cringe», ein Wort, dass ich übrigens noch nie verwendet habe. Aber wahrscheinlich wäre ich ziemlich «cringe», würde ich das regelmässig sagen.
Ich will mich überhaupt nicht über die Sprache lustig machen, ich finde es spannend, wie sie sich verändert, ständig anreichert und gesellschaftliche Veränderungen, Strömungen und auch Herausforderungen widerspiegelt. Vielmehr schmunzle ich über mich, weil ich merke, dass ich in diesen Momenten doch denke: «Ich gehöre einfach nicht mehr zu den Jungen.»
Ich weiss besser, was mir guttut
Und ich bin froh darum. Ich muss nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen (die sind in diesem Alter sowieso schon etwas vorbei) und meine FOMO (Fear of missing out – die Angst, etwas zu verpassen) sorgt sich einzig darum, ob ich auf meine dringend benötigten acht Stunden Schlaf komme.
Ich weiss besser, was mir guttut und wovon ich lieber Abstand nehme, und nehme gleichzeitig vieles nicht mehr ganz so ernst. Vielleicht eine Vorahnung auf die viel gepriesene Altersweisheit?
Sollte die Altersfee wider Erwarten doch noch auftauchen, würde ich mir folgenden Deal aushandeln:
Für eine Woche noch einmal 28 sein, mich unsterblich und leicht fühlen, Party machen, den Kater leichter wegstecken als heute und dabei auch noch frischer aussehen – yeah! Und dann aber schnell wieder zurück in mein Leben als mittelalterliche Frau und acht Stunden Schlaf pro Nacht – hell yeah!
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