Vor knapp einem Jahr verunglückt der Bob-Anschieber Sandro Michel schwer. In St. Moritz spricht er nun über seine Genesungsfortschritte und die Hoffnung, noch einmal ins Renngeschehen zurückzukehren.
Auf der Terrasse vor der Gunter Sachs Lodge herrscht emsiges Treiben. Gleich davor machen sich die Frauen für den zweiten Durchgang ihres Weltcuprennens im Monobob bereit. Mittendrin: Sandro Michel. Und alleine das ist schon ein Erfolg.
Vor 350 Tagen hing seine Zukunft an einem seidenen Faden. Bei einem Trainingssturz des von Michael Vogt pilotierten Viererbobs in Altenberg blieb Michel bewusstlos in der Bahn liegen und wurde vom rückwärts rutschenden, 500 Kilo schweren Schlitten überfahren. Nur dank des schnellen Einsatzes der medizinischen Helfer und mehrerer Notoperationen in der Universitätsklinik von Dresden konnte erst sein Leben und dann auch sein Bein gerettet werden.
Den Umständen entsprechend sehr gut
Nun sitzt Sandro Michel an einem Tisch, in der Teamkleidung des Bobteams Vogt. Zuvor hat er in einem Fitnesscenter in St. Moritz trainiert. Optisch sieht alles wieder gut aus, Michel ist auch ohne ersichtliche Beschwerden die Treppe zur Terrasse hinaufgestiegen. «Es geht eigentlich sehr gut», versichert er mit ruhiger Stimme. «Den Umständen entsprechend darf ich mich sicher nicht beklagen.»
Im Alltag gibt es für den Projektingenieur nicht mehr viele Einschränkungen. Vor ein paar Wochen konnte er den Gehstock weglegen, aktuell ist er noch zu 30 Prozent arbeitsunfähig geschrieben, ist also bei seinem 70-Prozent-Pensum wieder zu etwa 50 Prozent arbeitstätig. Zudem kann er als Sportsoldat Trainings und die Zeit wie jetzt in St. Moritz als WK-Tage abrechnen. Daneben ist er noch zweimal pro Woche in der Rehabilitation in Bellikon und trainiert viel. «Die grösste Einschränkung ist noch immer das Schuhe binden», sagt Michel mit einem leicht gequälten Lächeln. «Das ist schon etwas mühsam.»
«Ich kann leichte, lockere Läufe machen», erzählt der 28-jährige Aargauer. «Das Problem ist einfach, dass ich in der Beweglichkeit des Hüftgelenks noch recht anstehe. Ich bringe das Bein noch nicht wirklich hoch.» Aber: «Es fühlt sich langsam wieder wie in richtiges Training an.» Noch immer hofft Michel darauf, einmal aktiv in den Bobsport zurückkehren zu können. Er weiss aber auch, dass dies ein schwieriger Weg wird. «Es war mega schwierig, um einzuschätzen, wie es voran geht und was möglich ist», sagt der vor seinem Unfall mit Abstand beste Anschieber der Schweiz. «Ich hoffe wirklich, dass ich in der Beweglichkeit noch Fortschritte machen kann. Aber ich muss wirklich zufrieden sein, so wie es momentan läuft.» Einen Zeithorizont zu benennen, sei «sehr, sehr schwierig».
Wichtiger Kontakt zum Team
Der Kontakt zu seinem Sport und seinem Team ist Michel jedenfalls wichtig. In St. Moritz ist er ein bisschen «Mann für alles». «Ich helfe überall, wo ich kann», erklärt er. «Sei es Kufen schleifen oder am Schlitten gewisse Sachen einstellen. Wenn sie ein Rennen haben oder im Training, dann helfe ich ihnen dabei, den Schlitten herumzuziehen, Schuhe zu putzen, Kleider zu sammeln und alles was dazugehört.» Michel glaubt, dass es ihm gut tut, beim Team zu sein, aber auch für die anderen wichtig ist, dass sie sehen, wie es ihm geht.
Er hat bis jetzt jedes Rennen am Fernseher verfolgt und interessiert sich natürlich speziell auch für die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen. Seinem Piloten macht er keinen Vorwurf («Stürze gehören in unserem Sport dazu»), die Folgen wären aber vermeidbar gewesen, zumal die Gefahr der zurückrutschenden Bobs in Altenberg hinlänglich bekannt war. «Das war zu hundert Prozent menschliches Versagen der Bahnbetreiber», insistiert Michel auch mit etwas Abstand. Diese haben ihm nach einiger Zeit auch einen Brief geschrieben, auf den der Aargauer aber nicht reagiert hat. Eine Entschuldigung sei es nicht gewesen. Ansonsten will er nicht mehr allzu gross auf die Sache eingehen.
Hoffen auf Cortina
Er verfolgt aber die Bemühungen für mehr Sicherheit mit grossem Interesse. In dieser Saison waren viel mehr Helfer an der Bahn in Altenberg, der Unfall wäre so nicht mehr passiert. Es sei natürlich schade, dass dafür erst etwas Schlimmes passieren musste.
«Sehr, sehr gespannt» ist Sandro Michel auch auf den Fortschritt der Olympiabahn vom nächsten Jahr in Cortina d'Ampezzo. «Der Ort hat ja eine grosse Bob-Tradition», betont er. «Die Älteren erinnern sich da sicher noch daran.» Er hoffe natürlich, dass er dort nicht nur zuschaue, sondern selber dabei sei. «Aber das steht noch in den Sternen.»
ck, sda