Tadej Pogacar fährt die Konkurrenz an der Tour de France in Grund und Boden und weckt mit seiner Dominanz im vorbelasteten Radsport auch Zweifel. Nicht nur deshalb kommt das Thema Doping wieder auf.
Tadej Pogacar fährt an der Tour de France in einer eigenen Liga. Gegen den Slowenen ist kein Kraut gewachsen, bereits nach den Alpen-Etappen ist eigentlich klar, dass er sich nur selber schlagen kann. «Seit ich bei der Tour gestartet bin, ist es ein Spiel für mich. Ich geniesse es, zu spielen», sagt der erst 22-Jährige nach der neuerlichen Machtdemonstration in Luz Adiden am Donnerstag mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit. Mittlerweile liegt der erste Verfolger über fünfeinhalb Minuten zurück, der Tour-Sieg scheint nur noch Formsache.
Pogacars Dominanz ist so auffällig, sie erinnert Experten der Szene gar an die Ära Lance Armstrong – und damit an ein ganz dunkles Kapitel des Radsports. Auf die Zweifel angesprochen, sagt der Slowene bereits nach der 10. Etappe: «Ich weiss nicht, was ich sonst noch tun kann, um meine Unschuld zu beweisen.» Dreimal sei er alleine am ersten Ruhetag getestet worden. Und trotzdem werden seine Kritiker nach den überragenden drei Etappensiegen und dem unglaublich grossen Vorsprung auf die Konkurrenz im Gesamtklassement lauter – aus verschiedenen Gründen.
Die Vorbereitung
Zum einen rätseln die Radsport-Experten stets über die Vorbereitung in Slowenien, wo sich Pogacar gemeinsam mit Primoz Roglic den letzten Schliff für die französische Rundfahrt holt. «Roglic gegen Pogacar wäre wieder das Duell der Tour gewesen. Beide hatten in der Vorbereitung den gleichen Aufbau, das gleiche Training, das gleiche Konzept. Nur wurde Roglic der schwere Sturz zum Verhängnis», sagt auch Henri Gammenthaler im Gespräch mit «blue Sport». Während Roglic die Tour nach seinem heftigen Sturz vorzeitig aufgeben muss, scheint das heimische Trainingslager bei Pogacar die Wirkung nicht zu verfehlen – genau wie im letzen Jahr. «Die Fragezeichen bleiben», sagt Gammenthaler.
Die riesigen Abstände
Für Stirnrunzeln sorgen auch die grossen zeitlichen Unterschiede, die der Dominator der Szene kontinuierlich rausfährt. «Es ist derart krass, da geht es nicht um Minuten. Und da gibt es verständlicherweise Fragen, das ist klar. Das sind Welten. Das ist für mich gar nicht mehr möglich, nicht mehr menschlich – insbesondere an der diesjährigen Tour», findet Gammenthaler deutliche Worte und geht noch einen Schritt weiter: «Automatisch kommt einem Lance Armstrong wieder in den Sinn. Denn es sind ähnliche Zeitabstände wie damals. Hirschi hat jetzt rund 3 Stunden und 20 Minuten Rückstand, das kann es ja nicht sein. Solche Abstände gab es nicht mal zu Ferdy Küblers Zeiten.»
Ins gleiche Rohr bläst auch der Doping-Analytiker und ehemalige Festina-Coach Antoine Vayer, der dem aktuellen Tour-Leader kurzerhand den neuen Spitznamen «Pogastrong» gibt – in Anlehnung an Armstrong. Optimistischer formuliert es David Brailsford, Teamchef von Ineos: «Man muss weit in die Vergangenheit des Radsports zurückgehen, um ähnliche Leistungen zu finden.» Pogacar verbessert unter anderem den seit 2009 geltenden Allzeit-Rekord am Col de Romme um ganze 19 Sekunden. Die Meinungen sind allerdings geteilt. Der Radsport-Journalist David Walsh allerdings, der damals bereits Armstrong auf den Zahn fühlte, verfügt gemäss eigener Aussage über Leistungsdaten von Pogacar – und hält diese für nachvollziehbar.
Henri Gammenthaler
Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für «blue Sport». Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.
Auf die grossen Zeitabstände angesprochen, hat auch Pogacar selbst ein stichhaltiges Argument. «Man muss bei den Abständen in den Bergen auch sehen, dass es so viele Stürze gab und viele Fahrer nicht auf ihrem Niveau sind.» In der Tat ist unklar, welchen Verlauf die populäre Rundfahrt genommen hätte, wären Primoz Roglic, Geraint Thomas oder Miguel Angel Lopez im Vollbesitz ihrer Kräfte zur entscheidenden Phase angetreten.
Das Umfeld
Teammanager Mauro Gianetti streitet ein Fehlverhalten bis heute ab, gilt aber als Fahrer und Manager als umstritten. Das von ihm gemanagte Team Saunier Duval-Prodir war in verschiedene Doping-Skandale verwickelt. Emirates-Sportdirektor Andrej Hauptmann wurde 2000 noch als Profi wegen verdächtiger Blutwerten von der Tour ausgeschlossen und Teamchef Neil Stephens gab 1998 ebenfalls noch als Fahrer zu, mit Epo gedopt zu haben – allerdings ohne sein Wissen. Er habe gedacht, es handle sich um Vitaminpräparate. Dennoch leidet der Ruf von Pogacars Teamführung unter deren Vergangenheit.
Unabhängig davon wird die Tour am Mittwoch von einer Doping-Razzia der Polizei im Teamhotel des jüngst erfolgreichen Bahrain-Victorious-Teams erschüttert. Gemäss der Staatsanwaltschaft Marseille gehe es dabei um den Verdacht auf «Erwerb, Transport, Besitz, Einfuhr einer verbotenen Substanz oder Methode». Verhaftungen allerdings gab es keine.
Einen Schritt zu spät?
Für Gammenthaler kommt das allerdings nicht überraschend. Er macht auf den neuen Sensor des US-Start-ups Supersapiens aufmerksam, der vor rund einem Jahr auf den Markt kam und eine 24-stündige Überwachung des Blutzuckerspiegels des Athleten misst. «Der misst durchgehend den Blutzucker – mit diesem System wird man nie müde. Der vermessene Athlet, heisst es», erklärt Gammenthaler.
Allerdings wird die Technologie vom Dachverband der nationalen Radsport-Verbände UCI ab dem 10. Juni dieses Jahres verboten. «Das gewährt den Fahrern einen Wissensvorsprung, der möglicherweise auch missbraucht werden kann», sieht Gammenthaler einen möglichen Grund dahinter und befürchtet, die Doping-Sünder seien so einmal mehr einen Schritt voraus.