Vier Etappen, zwei Schweizer Siege. Die eidgenössische Bilanz an der diesjährigen Tour de Suisse ist sensationell. Höchste Zeit, bei unserem «blue Sport»-Rad-Experten Henri Gammenthaler nachzufragen.
Mit Stefan Küng und Stefan Bissegger haben an der diesjährigen Tour de Suisse schon zwei Schweizer eine Etappe gewinnen können. Und auch die Chancen auf den Gesamtsieg sind weiterhin intakt. Rad-Juwel Marc Hirschi liegt mit 52 Sekunden aktuell auf Rang 15 in der Gesamtwertung (Stand Donnerstagmittag). Ist ein Schweizer Triumph dieses Jahr zum Greifen nah? Wir haben bei Rad-Legende Henri Gammenthaler nachgefragt.
Henri Gammenthaler über ...
... den fehlenden Respekt der Jungen
Henri Gammenthaler
Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für «blue Sport». Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.
Endlich, endlich haben diese jungen Schweizer Fahrer es geschafft, dass sie an einer grossen Rundfahrt nicht mehr von den älteren Routiniers runtergedrückt werden. Sie hatten immer viel zu viel Respekt. Jetzt haben sie nicht mehr so viel und sie spüren die Freiheit. Wir haben jetzt ein paar ganz gesunde Junge, frei nach dem Motto: «Ich kann Velo fahren und fahre, bis es mich "vertätscht"».
... einen Schweizer Gesamtsieger
Hirschi ist «ober-süttig» heiss! Bei den anderen ist es völlig offen, aber die Tour de Suisse wird auf der letzten Etappe entschieden. Da geht es durch die Berge – vielleicht kommt dann auch plötzlich noch ein Spanier hervor. Aber Hirschi kommt auch über diesen Berg. Er kann das, hat einen Instinkt dafür und fährt wie ein Tier.
Im Moment fährt Rui Costa (34) für Hirschi. Der hat schon dreimal die Tour de Suisse gewonnen (2012, 2013 & 2014) und hat richtig viel Erfahrung. Zudem wartet Hirschi schon lange auf einen Erfolg. Er hatte während den letzten sechs Monaten viel Pech. Als er endlich in Form war, wurden Rennen abgesagt, an der Tour de Romandie kam der Schnee und bei Lüttich-Bastogne-Lüttich musste er teamintern für Tadej Pogacar fahren.
Aber ich kenne Hirschi sehr gut. Der wird jetzt alles geben! Ich sage: Marc Hirschi explodiert noch an dieser Tour de Suisse und gewinnt.
die Hirschi/Pogacar-Situation beim Team UAE
Aktuell bereitet sich Tadej Pogacar in Slowenien für die Tour de France vor. Deshalb ist er nicht an der Tour de Suisse dabei. Er wird beim Team UAE am besten bezahlt und erhielt sogar einen neuen Fünfjahresvertrag. Das geschah hinter Marc Hirschis Rücken, als dieser mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Natürlich war das nicht gerade förderlich für seine Motivation, und dann sollte er auch noch den Buckel krumm machen und für Pogacar fahren ...
Aber Hirschi ist bereit. Er weiss, dass er jetzt alles geben muss, bis er halb tot vom Velo fällt. Er muss zeigen, dass er gleich stark wie Pogacar fahren kann. Diese Tour de Suisse könnte seine letzte Chance sein, die Weichen für eine ganz grosse Karriere zu stellen.
Zurzeit ist Pogacar beim Team UAE die klare Nummer eins. Aber das kann sich ändern. Teamchef Mauro Gianetti wird aufwachen, sollte Hirschi die Tour de Suisse gewinnen. Und er ist wirklich nahe dran, diesen gelben Sack zu holen!