Bruno Diethelm ist zehn Jahre lang Nationaltrainer der Mountainbiker und von Quersport und verfolgt die Laufbahn von Mathias Flückiger hautnah. Im Interview mit blue Sport spricht er Klartext zum Verfahren gegen seinen Ex-Schützling.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Bruno Diethelm ist zwischen 2012 und 2022 Nationaltrainer der Schweizer Mountainbiker und feiert mit Nino Schurter, Mathias Flückiger und Co. viele Erfolge.
- Kurz vor seiner Entlassung Ende 2022 erlebt Diethelm den Doping-Schock um Flückiger hautnah mit. Mit blue Sport spricht der 65-Jährige über den Fall.
- Diethelm erklärt, wo Fehler passiert sind und hofft, dass diese in Zukunft nicht wiederholt werden. Zudem macht er klar: «Schön wäre nun, wenn Swiss Cycling, SSI und Swiss Olympic zusammensitzen, sich dann hinstellen und ihre Fehler zugeben.»
Über zehn Jahre ist Bruno Diethelm Nationaltrainer der Mountainbiker und von Quersport und reiht mit seinen Schützlingen in dieser Zeit Erfolg an Erfolg. Unter Diethelm gewinnt die Schweiz EM-, WM- und Olympiamedaillen, bevor die Ära Ende 2022 ein überraschendes Ende nimmt.
Rund ein halbes Jahr vor seinem Abgang erlebt Diethelm den Fall von Mathias Flückiger, der im Sommer 2022 nach einer angeblich positiven Dopingprobe gesperrt wird, hautnah mit. Im ausführlichen Interview mit blue Sport spricht Diethelm nun über den damaligen Schock, die gemachten Fehler und mögliche Lehren für die Zukunft.
Bruno Diethelm über …
… die Momente nach der Hiobsbotschaft
«Es war ein unglaublicher Schock. Ich hoffe, es müssen nicht viele erleben, wenn es einen Menschen fast zerreisst vor Schmerz. Es gab gar keine Zeit, Abklärungen zu machen. Mathias ging es sehr schlecht, mein Hauptaugenmerk lag bei ihm.
Ich konnte nicht viel machen. Ich habe mich einfach erkundigt und probiert, mein Wissen aufzuaddieren. Mir war wichtig, wie es Mathias geht, um ihn so gut wie möglich zu unterstützen. Ich habe ihn immer wieder besucht, helfen war aber schwierig. Zuerst musste er wieder auf die Beine kommen und das Vertrauen in diese Welt wieder finden. Die Hilfe seiner Freundin und seines Bruders waren extrem wichtig.»
… das Einschreiten von Aussenstehenden
«Zum einen hat der Austausch zwischen Swiss Cycling und Swiss Sport Integrity (SSI) von aussen betrachtet gefehlt. Die Kommunikation zwischen diesen beiden Parteien gestaltete sich schwierig. Erst dank der Initiative von Matthias Kamber (ehemaliger Chef Antidoping Schweiz) wurde der Fall richtig aufgerollt und von A bis Z analysiert. Es war gut, dass sich erfahrene Leute dem annahmen. Es kamen gar Wissenschaftler aus dem Ausland, die vom Fall Wind bekamen und ihre Erkenntnisse und Erfahrungen teilten. Es war schön, dass sich aussenstehende Leute gemeldet haben und früh erkannt haben, dass da etwas falsch läuft – obwohl sie nicht involviert waren.»
… die Fehler der SSI
«Es gibt ein Protokoll bei atypischen Proben. Der Athlet müsste demnach informiert werden, das ist nicht passiert. Stattdessen kam es mir so vor, dass die SSI den Prozess ausgelöst hat, ohne sich richtig dahinterzusetzen. Fehler dürfen passieren, aber es gab so viele – schon bevor Mathias oder Swiss Cycling überhaupt informiert wurden. Aber was passiert ist, kann man nicht mehr rückgängig machen. Mein Wunsch ist, dass man daraus lernt.
Die Menge in Flückigers Probe ist viel zu tief für eine positive Probe. Es gibt sogar nur drei Labore auf dieser Welt, die solch geringe Mengen überhaupt messen können: Lausanne, Köln und eines in Amerika. Wäre die Probe nicht in Lausanne gelandet, hätte niemand etwas gemerkt. So etwas dann als positive Dopingprobe gross zu kommunizieren, finde ich gefährlich für den Schweizer und allgemein für den Sport.»
… die Zusammenarbeit von Swiss Cycling, SSI und der Disziplinarkommission
«Es sind drei Parteien, die eigentlich das Gleiche wollen, aber nicht miteinander reden. Es darf nicht solche Fehlerketten geben und muss sicher laufen. Durch das, dass man stets noch geringere Mengen feststellen kann, steigt das Risiko solcher Streitfälle – eigentlich bei jeder Sportart.»
… zukünftige Verbesserungen
«Klare Abläufe und Zuständigkeiten würden helfen. Das gäbe Sicherheit, zudem muss nicht eine Einzelperson in einer schwierigen Situation über die nächsten Schritte entscheiden. Deshalb wäre es hilfreich, wenn es eine Wegleitung gäbe oder die Möglichkeit, sich mit Leuten auszutauschen, die mehr mit diesem Thema zu tun haben. Es kann nicht sein, dass sich dem einfach die höchste anwesende Person eines Verbandes annehmen und innerhalb kürzester Zeit entscheiden muss, was richtig sein soll.»
… Hoffnungen für die Zukunft
«Ich hätte mir gewünscht, dass man viel früher gemeinsam an einen Tisch gesessen wäre. Und zwar nicht mit dem Ziel, etwas zu vertuschen, sondern mit dem Ziel, Klarheit zu schaffen. Dann wäre der Fall für alle viel schneller und besser abgewickelt worden.
Schön wäre nun, wenn Swiss Cycling, SSI und Swiss Olympic zusammensitzen, den Fall genau analysieren und Massnahmen für die Zukunft ergreifen, damit solches nicht mehr passiert und das Vertrauen in die Abläufe wiederhergestellt wird. Das ist bisher noch nicht geschehen.
Ich finde es schade, wenn ich lese, dass SSI in den Medien nach wie vor überzeugt ist, dass sie Recht haben. Man erwartet von den Athleten sehr viel, sie müssen alle Regeln einhalten, sonst drohen Sanktionen. Die Athleten bemühen sich sehr, während hintenrum solche Fehler passieren. Es wäre schön für den Sport, wäre man bereit, Fehler einzugestehen.
… den Kontakt zu Flückiger
Wir haben ab und zu Kontakt. Es ist eine Riesen-Last abgefallen, aber noch nicht die ganze. Er kriegt teilweise zu hören, er habe Glück gehabt und sei dank Verfahrensfehler davongekommen. Das stimmt nicht. Es sind vorher schon Fehler passiert, so, dass es gar nie hätte so weit kommen sollen.»
Das sagt Rad-Experte Henri Gammenthaler zum Fall Flückiger
Henri Gammenthaler
Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für blue Sport. Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.
«Swiss Cycling hatte nicht die Grösse, zu ihren Fehlern zu stehen und sich bei Flückiger zu entschuldigen. Auch die Swiss Sports Integrity behauptet, alles sei definitiv korrekt und ohne Fehler abgelaufen. Warum konnten sich die beteiligten Verbände nicht mit Flückiger an einen Tisch setzen, um die Probleme zu lösen? Unwahrheiten, Vermutungen, Falschmeldungen hätte man so aufklären und viel Geld sparen können. Der Imageschaden wäre weniger gross.»