Würdigung einer aktiven Legende Simon Ammanns Weg vom Bruchpiloten zum vierfachen Olympiasieger

Patrick Lämmle

21.11.2024

Unvergessen: Simon Ammann rennt volle Kanne in die Kamera

Unvergessen: Simon Ammann rennt volle Kanne in die Kamera

Superzehnkampf 2005: Doppelolympia-Sieger Simon Ammann zieht sich sein T-Shirt über den Kopf und rennt unter dem Applaus der Zuschauer*innen in die Halle. Dann passierts … Kurz darauf lächelt Ammann mit blutverschmierten Zähnen in die Kameras.

21.11.2024

Mit Simon Ammann hebt am Wochenende in Lillehammer einer der erfolgreichsten Schweizer Sportler ab. Der 43-Jährige kann schon seit Jahren auf eine grossartige Karriere zurückblicken, verfolgt aber auch in seiner 28. Saison als Profi ambitionierte Ziele. blue Sport blickt zurück.

Wie verrückt es ist, dass Skisprung-Legende Simon Ammann noch immer im Zirkus der Grossen mitmischt, zeigt sich schon beim Blick auf die Kaderzusammensetzung. Die Schweizer Skisprung-Szene erstreckt sich derzeit über drei Generationen: Simon Ammann hat bereits zehn und mehr Jahre auf dem Buckel als die Routiniers Gregor Deschwanden (33) und Killian Peier (29). Dieses Duo wiederum ist in einer anderen Zeit zum Weltcup-Team gestossen als eine rund fünfköpfige U20-Gruppe, die sich nun ebenfalls auf höchstem Level etablieren will und die mit dem 18-jährigen Felix Trunz für den Saisonbeginn einen der vier Weltcup-Startplätze der Schweiz erobert hat. Ammann steigt in die 28. Saison!

Unvergessliche Ammann-Momente

Ammanns Stern geht an den Olympischen Spielen in Salt Lake City (2002) auf. Der damals 20-jährige Toggenburger überrascht die ganze Welt: Als erster Schweizer überhaupt gewinnt er eine Goldmedaille im Skispringen. Dank seiner sympathischen, für einen Spitzensportler fast schon einmalig-authentischen Art – und dem «Harry-Potter-Silbermantel» – fliegen ihm die Herzen nur so zu. Er ist weltweit ein gern gesehener Gast, sorgt in der Talk-Show von David Lettermann oder bei «Wetten, dass..?» für Lacher.

Ein Bild für die Ewigkeit: Simon Ammann nach dem Gewinn seiner ersten Olympischen Goldmedaille.
Ein Bild für die Ewigkeit: Simon Ammann nach dem Gewinn seiner ersten Olympischen Goldmedaille.
Bild: Keystone

Zwar fliegt Ammann zu Beginn der Saison vier Mal aufs Podest, gewonnen hat er in seiner Karriere zu diesem Zeitpunkt aber noch nie. Zudem zeigt die Formkurve damals nach unten und spätestens nach einem Trainingssturz, der Ammann vor den Olympischen Spielen zu einer einmonatigen Wettkampfpause zwingt, hat ihn eigentlich niemand auf der Rechnung.

Eine Anekdote, die Bernard «Beni» Thurnheer Jahre später erzählt, untermauert das: Das Siegerinterview führt Thurnheer mit einem Mikrofon des finnischen TV-Senders YLE. «Alle Schweizer Sportreporter waren bei der Männerabfahrt und beim Frauensnowboard und ich bin sozusagen als Notnagel mit einem fremden Team an die Schanze geschickt worden. Dass Simon Ammann gewinnt, damit hat nun wirklich überhaupt niemand gerechnet.» Drei Tage später fliegt Ammann auch auf der Grossschanze zu Gold. Das Märchen ist perfekt – doch das letzte Kapitel noch lange nicht geschrieben.

Der in der Schule gehänselte Ammann wird Ehrenbürger

Zuhause in Unterwasser steigt nach seiner Rückkehr eine gigantische Party, die Schwingerkönige Jörg Abderhalden und Nöldi Forrer tragen Gold-Simi in eine Tennishalle, die aus allen Nähten platzt. Alle jubeln ihm zu, auch die Klassenkameraden, die ihn früher noch gehänselt haben, weil aus ihm ja sowieso nie etwas werden würde. Der unscheinbare Ammann hat es ihnen auf die eindrücklichste Art und Weise heimgezahlt.

Die beiden Schwingerkönige Nöldi Forrer und Jörg Abderhalden tragen Simon Ammann (rechts) in die Festhalle anlässlich des Empfangs für den Doppel-Olympiasieger. Auch Trainer Martin Künzle wird auf Händen getragen.
Die beiden Schwingerkönige Nöldi Forrer und Jörg Abderhalden tragen Simon Ammann (rechts) in die Festhalle anlässlich des Empfangs für den Doppel-Olympiasieger. Auch Trainer Martin Künzle wird auf Händen getragen.
Keystone

Salt Lake City war erst der Anfang. Acht Jahre später wiederholt Ammann in Vancouver das Kunststück und gewinnt sein drittes und viertes Olympia-Gold. Hinzu kommen fünf WM-Medaillen, darunter zwei goldene, sowie 23 Weltcupsiege im Einzelspringen. In der Saison 2009/10 wird er Gesamtweltcupsieger und schliesslich auch zum Schweizer Sportler des Jahres gekürt. Gehänselt wird Ammann in Unterwasser da schon lange nicht mehr, seit 2010 ist er seinem Heimatdorf Ehrenbürger.

Ammann lässt seine Kritiker immer wieder verstummen

2011, also vor 13 Jahren, gewinnt Ammann in Oslo seine letzte WM-Medaille. Er fliegt auf der Grosschanze zu Bronze. In den folgenden Jahren werden Erfolge seltener, doch immer wieder schafft es Ammann uns zu überraschen. Zum Beispiel als er im Januar 2018 – vier Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele in Pyeongchang – am Kulm aufs Podest springt. Dies, nachdem er zuvor fast zwei Jahre lang nie mehr in die Top 10 gesprungen ist, der letzte Podestplatz liegt da rund drei Jahre zurück. Oder als er im März 2019 mit einem 243-Meter-Sprung seinen eigenen Schweizer Rekord pulverisiert.

Schon vor über zehn Jahren raten ihm Experten zurückzutreten. Viele glauben nicht mehr daran, dass er mit den Besten mithalten kann. Das mag zwar tatsächlich so sein, doch Ammann lässt sich nicht beirren und tut, was er am liebsten tut: Skispringen. Noch immer lodert das Feuer in ihm. Auch zahlreiche andere Engagements bringen dieses nicht zum Erlöschen. Insbesondere die Arbeitslast durch das Studium der Betriebswirtschaft an der HSG St. Gallen ist sehr hoch. Ammann sagt dazu: «Ich geniesse es deshalb umso mehr, wenn ich meinen Fokus aufs Skispringen legen kann und ich koordinativ vielfältig gefordert werde.»

Die Schweiz sollte stolz sein auf Ammann

Zu weit nach vorne blicken will Ammann heute aber nicht mehr. Ob er an den Olympischen Spielen 2026 noch antreten will, das weiss er selbst noch nicht. Die Sommervorbereitung sei aber besser verlaufen als im Vorjahr, auch hat er noch einmal die Skimarke gewechselt. Das zeigt, dass er auch mit 43 Jahren noch alles tut, um das Maximum aus sich herauszukitzeln.

Er sei nicht mehr derselbe wie 2010: «Aber wenn ich am Start stehe, dann bin ich der Wettkämpfer wie eh und je.» Sein Ziel sei es denn auch, regelmässig in die Punkte zu springen «oder sogar in den Top 10 landen». Im vergangenen Winter ist er fünf Mal in die Top 30 gesprungen und hat somit einige Punkte gesammelt.

Die Schweiz sollte einfach nur stolz sein auf Ammann, der mehrere Kapitel Schweizer Sportgeschichte geschrieben hat. Auch ist er ein Musterbeispiel dafür, dass man sich immer neue Ziele setzen sollte, ganz egal, was andere davon halten. Ammann ist ein wahrer Champion. Daran ändert sich auch nichts, sollte er in diesem Winter keine Resultate liefern.

Ein typischer Ammann zum Schluss

Es passt zum stets gut gelaunten Ammann, dass vielen Sportfans nicht nur seine Gold-Sprünge in Erinnerung geblieben sind, sondern auch eine Aktion, bei der er gar nicht gut aussieht (siehe Video am Anfang des Artikels).

Simon Ammann: Manchmal braucht es einen Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen.
Simon Ammann: Manchmal braucht es einen Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen.
Bild: Keystone
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