Mit einem Fonds will die Tennis-Elite der Männer-Tour während der Corona-Pandemie ein Zeichen der Solidarität setzen. Eine Signalwirkung bleibt aber aus – im Gegenteil. Ein Kommentar.
In seiner Funktion als Präsident des ATP-Spielerrats veröffentlicht Novak Djokovic im April einen Brief, in dem er schlechter klassierten Spielern Hoffnung macht. Zusammen mit anderen Top-Spielern will die Weltnummer 1 einen Hilfsfonds einrichten, um den betroffenen Spielern in ihrem Kampf ums finanzielle Überleben unter die Arme zu greifen – als Zeichen der Solidarität.
Doch bereits der Vorschlag sorgt für Unstimmigkeiten. Zwar erhält Djokovic von Roger Federer und Rafael Nadal Unterstützung, Dominic Thiem (ATP 3) dagegen stellt sich gegen die Idee. Seine Begründung: «Ich habe etwa auf der ITF-Future-Tour Spieler gesehen, die sich nicht zu 100 Prozent für den Sport engagieren. Viele von ihnen sind ziemlich unprofessionell. Ich verstehe nicht, warum ich ihnen Geld geben sollte.» Es sind Vorwürfe, die sich der Österreicher mittlerweile wohl selbst anhören muss.
Fehlende Solidarität – in verschiedenen Bereichen
Denn abgesehen von der geplanten finanziellen Hilfe hält sich die Solidarität einiger Aushängeschilder im Tennis zuletzt in Grenzen. Das zeigt sich etwa während der Adria Tour, wo Sicherheitsmassnahmen ignoriert wurden. Es zeigt sich aber auch davor und danach. Wie sich Novak Djokovic gegen eine mögliche Austragung der US Open von Anfang an querstellt, wie sich Dominic Thiem trotz engem Kontakt mit positiv getesteten Personen auf direktem Weg zur nächsten Exhibition macht oder wie es Alexander Zverev keine sechs Tage in Selbst-Isolation aushält – mit ihrem Verhalten gefährden die drei Top-Ten-Spieler zweifelsfrei die planmässige Wiederaufnahme des Spielbetriebs der ATP im August.
Und damit gefährden sie auch die Existenz zahlreicher Berufskollegen. Bereits mehrfach betonen schlechter klassierte Spieler, wie sehr sie auf das Preisgeld von Grand-Slam-Turnieren angewiesen sind. Doch als rund 400 Spieler eine Telefonkonferenz abhalten, um nach der scharfen Kritik – unter anderem von Novak Djokovic – neue Lösungen für das Turnier in Flushing Meadows zu finden, fehlt Spielerrats-Präsident Djokovic.
Stattdessen spielt der 17-fache Major-Sieger ein Basketball-Showmatch, zusammen mit anderen Tennis-Cracks der Adria Tour. Es ist ein falsches Signal, das keineswegs dem Solidaritäts-Gedanken entspricht. Schliesslich können es die besten Spieler der Welt verkraften, in diesem Jahr komplett ohne Preisgelder auszukommen. Im Unterschied zur schwächeren Konkurrenz.
Die Tennis-Elite hält sich zurück
Die Vorwürfe an den Weltranglisten-Ersten sind happig, auch Zverev und Thiem müssen von allen Seiten Kritik einstecken. Selbst Tennisspieler melden sich zu Wort, die bekanntesten Namen allerdings bleiben stumm. Nadal, Federer, Medvedev, Tsitsipas oder Monfils – sie alle halten sich bisher vornehm zurück. Natürlich ist es fraglich, ob ein zusätzlicher Rüffel von Federer für Djokovic nicht kontraproduktiv gewirkt hätte. Und gewiss ist es verständlich, dass man die eigenen Berufskollegen nicht an den Pranger stellen will.
Aber wäre in diesem Fall die Solidarität gegenüber allen professionellen Spielern nicht stärker zu gewichten? Fakt ist, dass Federers oder Nadals Meinung Gehör finden würde – unabhängig davon, ob die Stellungnahme Zverevs Verhalten in Selbst-Isolation oder die Durchführung der US Open adressiert. Es geht dabei auch darum, Farbe zu bekennen und dem Image des Sports zu dienen. Andererseits haben die beiden beliebtesten Spieler auf der Tour in den letzten Jahren genug für den Sport getan. Auch neben dem Platz wäre die Zeit reif für einen oder mehrere Nachfolger.
Kyrgios als Vorbild?
Einer, der nicht mit Kritik spart, ist Nick Kyrgios. Der Australier ist bekannt dafür, ohne Rücksicht auf Verluste zu sagen, was er denkt – egal um wen oder was es geht. So kriegen auch die Teilnehmer der Adria Tour ihr Fett weg, zuletzt attackiert Kyrgios Partygänger Zverev.
Das wiederum kommt in der Tennis-Szene allerdings nicht bei allen gut an. Boris Becker kontert den Australier und bezeichnet den Australier als «Ratte». Die seltsame Begründung: «Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz zwischen Sportlern! Was auch immer auf dem Platz passiert, bleibt dort, inklusive Garderobe! Niemand sollte darüber sprechen ...»
In Zeiten von Corona, in welcher der Fokus auch für die Tennis-Profis ohnehin meist neben dem Platz liegt, scheint dieses Gesetz überholt. Vor allem in Anbetracht der jüngsten Vorkommnisse um Alexander Zverev ist es wichtiger denn je, die Dinge direkt anzusprechen. Und so gehört der einstige Badboy Nick Kyrgios nicht zu den «Ratten», sondern avanciert mehr und mehr zum Vorbild.