In einem ausführlichen Interview spricht Rafael Nadal über die Verletzung, die ihm fast die Karriere kostete, über Rücktrittsgedanken und über Roger Federer – und geizt nicht mit Lob für seinen grössten Rivalen.
Mit seinem 13. Triumph an den French Open hat Rafael Nadal im Oktober zu Roger Federer aufgeschlossen, was die Grand-Slam-Siege betrifft. Je 20 Major-Turniere konnten der Spanier und der Schweizer bislang gewinnen. Die Frage nach dem Tennis-GOAT steht seither wieder im Raum. Dennoch sind viele der Meinung, dass Federer einfach der talentiertere Spieler ist als der «Stier aus Manacor» mit seinem grossen Kämpferherz.
Nun, Nadal kann mit dieser These nicht viel anfangen. «Was bedeutet Talent?», fragt er sich in einem Interview mit dem «Corriere della Sera». «Jeder von uns hat sein eigenes Talent. Dem einen fällt alles enorm leicht, der andere weiss, wie er sich lange auf dem Platz halten kann.» So kann Nadal auch die Frage nach dem besten Spieler aller Zeiten, dem Tennis-GOAT (Greatest of All Time) nicht beantworten. Da jeder Spieler einen anderen Stil hat.
Nichtsdestotrotz gebe es auch Sachen, in welchen er und Roger Federer ähnlich ticken. «In einigen Dingen sind wir uns ähnlich. Wir sorgen für Ruhe, für Familie», sagt Nadal, der den Schweizer als «einer der grössten Männer in der Geschichte des Sports» beschreibt. Federer sei für ihn ein «Compañero», ein Kumpel. «Und er war mein grosser Rivale, das hat uns beiden und auch dem Tennis gut getan.»
Es gebe aber auch Dinge, bei denen Federer und Nadal komplett anders wären. «Er ist Schweizer, ich bin Latino. Wir haben verschiedene Charaktere, Kulturen, Lebensweisen», sagt der Spanier.
«Sie sagten, ich könnte nie mehr spielen»
Nadal ist dankbar für alles, was er bisher erreicht hat. Denn er weiss, dass seine Karriere nach seinem ersten French-Open-Titel beinahe ein frühes Ende genommen hätte. «Ich war 19 Jahre alt, als ich zum ersten Mal in Roland Garros gewann. Danach sagten sie mir, dass ich wegen einer Fehlbildung im linken Fuss nie wieder spielen kann», erzählt der 34-Jährige.
«Ich hatte so grosse Schmerzen, dass ich trainierte, einen Ball sitzend aus der Mitte des Courts zu schlagen.» Dank einer speziellen Innensohle erholte sich der Fuss dann glücklicherweise. Weil sich dadurch aber die Position des Fusses veränderte, waren seine Knie entzündet. Immer wieder musste er wegen körperlicher Probleme Rückschläge verkraften, immer wieder kämpfte sich Nadal aber zurück und gewann so auch mehr und mehr Sympathien bei den Fans.
Nadal verrät, dass er nach einigen bitteren Niederlagen auch von seinen Gefühlen übermannt wurde. So etwa nach dem verlorenen Wimbledon-Final 2007 gegen Federer. «Ja, ich war verzweifelt und habe in der Kabine anderthalb Stunden geweint. Auch wenn es nur ein Tennismatch ist, ist die Ernüchterung manchmal schrecklich.»
Auch 2014, als Stan Wawrinka den verletzten Nadal im Endspiel der Australian Open besiegte, brach es aus dem Spanier heraus: «Ich weinte vor Schmerz, als ich mich nach dem Gewinn des ersten Satzes am Rücken verletzte. Ich habe zwar verloren, aber ich habe nicht aufgegeben. Das macht man in einem Grand-Slam-Final einfach nicht.»
«Ich denke gegen jeden Gegner, dass ich verlieren kann»
Trotz dieser Niederlagen tütete Nadal in der Folge Major-Sieg um Major-Sieg ein. Allein die French Open konnte der Sandkönig schon 13 Mal gewinnen – eine solche Matchdemonstration ist in der Welt des Sports, geschweige denn im Tennis, beispiellos.
Wo liegt das Geheimnis hinter Nadals Erfolg? «Man muss im Leben immer ein Ziel vor Augen haben. Eine Hoffnung. Eine Illusion, wenn nötig», sagt er. Warum gerade er dieser «auserwählte» Rekordchampion ist, kann er sich auch nicht erklären. «Ich bin ein normaler Mensch. Mit meinen Unsicherheiten, meinen Ängsten.» Angst vor der Niederlage habe er aber nicht. «Niemals! Aber ich denke immer, dass ich verlieren kann. Das denke ich gegen jeden Gegner. Und das hilft mir sehr», so Nadal.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg ist auch die grosse Disziplin, die der Spanier an den Tag legt. Tatsächlich hat er in seiner langen Karriere noch nie einen Schläger zerschmettert. Warum? «Weil mir als Kind beigebracht wurde, dass das nicht gemacht wird. Ich bin es, der den Fehler gemacht hat, nicht der Schläger.»
Bleibt die Frage nach dem Rücktritt. Wie lange werden wir Nadal noch geniessen können? «Ich weiss es nicht. Tennis ist ein Spiel des Geistes, es ist keine Mathematik. Wenn es so weit ist, werde ich es wissen.»