Dank einer Wildcard kann Tim van Rijthoven überhaupt erst zu seinem Heimturnier antreten. Sensationell marschiert er in 's-Hertogenbosch dann zum Titel, ohne zuvor je ein Spiel auf höchster ATP-Stufe zu gewinnen.
Als Junior schafft es Tim van Rijthoven in Wimbledon 2014 bis in den Viertelfinal und in der Weltrangliste auf Position 13. Der Durchbruch bei den Aktiven will dem Niederländer dann aber nie so richtig gelingen. Seit dem verlorenen ATP-Debüt 2016 vergeht viel Zeit, bis van Rijthoven seinen ersten Sieg auf höchster Stufe einfahren kann. Zwischenzeitlich verschwindet er nach einer Schwächephase gar wieder komplett aus der Weltrangliste.
Knapp sechs Jahre nach seinem ersten Auftritt klappt es in der vergangenen Woche aber doch noch mit dem Premiere-Sieg auf ATP-Stufe. Und der löst offenbar so einiges aus. In 's-Hertogenbosch darf der Lokalmatador mit einer Wildcard im Hauptfeld starten – und schreibt daraufhin ein echtes Tennis-Märchen.
Der Reihe nach eliminiert er Matthew Ebden, Taylor Fritz, Hugo Gaston und Felix Auger-Aliassime und prescht völlig überraschend ins Endspiel vor. Vor allem die Siege über die beiden Top-Spieler Fritz (ATP 14) und Auger-Aliassime (ATP 9) lassen aufhorchen.
«Versuche immer noch, alles zu verstehen»
Im grossen Endspiel gegen Daniil Medvedev, der am Montag die Spitze der Weltrangliste übernimmt, setzt van Rijthoven aber noch einen drauf. In bloss einer Stunde nimmt er dem favorisierten Russen auf Rasen viermal den Aufschlag ab und überlässt ihm auf dem Weg zum Premiere-Titel nur fünf Games. Ungläubig sinkt der 25-Jährige nach dem verwandelten Matchball in die Knie und küsst den Rasen, bevor er am Mikrofon nach Worten ringt.
«Was für eine Traumwoche. Ich versuche immer noch, alles zu verstehen, was vor sich geht. Als Tennisspieler denke ich an mein nächstes Match. Aber als Tim – der Nicht-Tennisspieler – versuche ich, all das zu verarbeiten», sagt van Rijthoven. «Es ist immer noch unbeschreiblich und die Emotionen gehen durch meinen ganzen Körper.»
Durch den Exploit nimmt der Niederländer im Ranking einen riesigen Sprung, klettert fast 100 Positionen nach oben und ist neu die Weltnummer 106. Zudem darf er sich wohl berechtigte Hoffnungen auf eine Wildcard für das traditionsträchtige Turnier in Wimbledon.
Grosses Lob von Medvedev
So richtig erklären kann sich van Rijthoven den unverhofften Durchlauf nicht. Er habe in dieser Woche gut serviert und am Netz eine sehr gute Figur abgegeben. «Ich hoffe, darauf aufbauen zu können, aber es ist nichts garantiert. Es ist immer noch Spitzensport und an einem Tag fühlt man sich besser als an einem anderen», mahnt der Niederländer.
Weit weniger vorsichtig äussert sich Medvedev. «Das erste Mal in einem ATP-Turnier und du zerstörst die Weltnummer 2 in zwei Sätzen. Das muss ein gutes Gefühl sein», zeigt sich der Russe als fairer Verlierer. Seinem Bezwinger traut er enorm viel zu: «Wenn er dieses Niveau beibehält, hat er die Chance, ein grosser Spieler zu werden. Es ist schwierig, zu sagen, wie weit nach vorne er kommen kann. Aber wenn er so spielt wie heute, wird er bald in den Top Ten sein.»
«Das ist schön zu hören», bedankt sich van Rijthoven für Medvedevs Lobeshymne. Er fügt aber vielsagend an: «Jemand, der das Spiel ein wenig versteht, weiss, wie schwierig das ist. Ich denke, das ist eine ziemlich gewagte Aussage.»