Rücktritt vor Nadal und Djokovic Federer: «Ich bin froh, dass ich als Erster gegangen bin» 

Syl Battistuzzi

15.3.2024

Im September 2022 sagt Roger Federer Tschüss zum Tennis – auch Rafael Nadal muss Tränen verdrücken.
Im September 2022 sagt Roger Federer Tschüss zum Tennis – auch Rafael Nadal muss Tränen verdrücken.
IMAGO/Xinhua

Roger Federer ist froh darüber, vor seinen einstigen Rivalen von der Tennis-Bühne abgetreten zu sein. Der Schweizer spricht in einem Interview über seine neue Doku, das Leiden bei seinem Rücktritt und seine Spielweise.

S. Battistuzzi

Roger Federer beendete 2022 seine aktive Karriere. Seine Zeit danach vergleicht er in einem ausführlichen Interview mit dem Männer-Magazin «GQ» mit einer Reha, wo man Schritt für Schritt nehmen müsse: Es entstehe ein neuer Raum, bei dem man durch dieses neue Leben navigiere, mit neuen Projekten, vor allem mit den Kindern, so der 42-Jährige, der mit seiner Frau Mirka zwei Mädchen und zwei Buben hat. 



Spielweise als Zuschauer-Magnet 

Rund um den Globus genoss der Schweizer eine grosse Popularität, die in der Tennis-Szene wohl einmalig war: «Ich glaube, dass mein Spiel bei den Leuten eine gewisse Resonanz hervorruft. Sie haben das Gefühl, dass vielleicht etwas Besonderes passiert, wenn sie mir beim Spielen zusehen. Ich spiele auf eine andere Art und Weise. Vielleicht war ich auch die Brücke von der älteren Generation – mit einhändiger Rückhand –, wo weniger kraftvoll gespielt wurde, wie es damals Ende der 90er Jahre üblich war, zu dem neuen, kraftvollen, superschnellen, kernigem Spiel, das aufkam – und ich war immer noch der Typ der alten Schule», so sein Fazit.

Aktuell ist kein Spieler mehr in den Top 10 vertreten, der die Rückhand einhändig schlägt. Die Statistik hat ihm wehgetan, wie er zugibt. Gleichzeitig mache es die Einhänder – wie es er, Sampras, oder Rod Laver waren – zu etwas Besonderem, da sie die Fackel so lange getragen hätten, erläutert Federer. «Ich sehe also gerne Spielern wie Stan (Wawrinka) und (Richard) Gasquet und (Stefanos) Tsitsipas zu. Dominic Thiem hat eine wunderbare Rückhand. Auch Grigor (Dimitrov), der ein guter Freund ist.» 

Dann sehe er gerne Charaktere auf dem Platz, explosive und athletische Spieler. Manchmal wünsche er sich aber «ein bisschen mehr Abwechslung, ein bisschen mehr Hin- und Herlaufen am Netz, nicht nur von Seite zu Seite», meint Federer. Gegenwärtig würden auf der Tour viele Punkte auf ähnliche Art und Weise gemacht werden, findet er.

20 Grand-Slam-Siege hat der Baselbieter abräumen können. Ob er einen jungen Spieler sehe, der diese Marke knacken könne? «Ich setze diese Spieler nicht gerne unter Druck, denn ehrlich gesagt war es weder mein Ziel noch das von Rafa oder Novak, 20 (Major-Siege) zu erreichen.» (...) 

In den nächsten zwei, drei Jahren werde man einen wirklich guten Eindruck davon bekommen, wer bei den Majors überzeugen könne. «Im Moment gibt es gute Spieler, aber ich denke, dass sie ihr Spiel noch neu kalibrieren, um zu verstehen: ‹Wie kann ich die Besten der Szene auf ihrem besten Belag schlagen?›»

Federer über seine Doku: «Ich habe etwa sechsmal geweint»

Jahrelang gegen die Besten spielte auch Federer. Er hat nach seinem Rücktritt aber keine Probleme damit, seinen früheren Rivalen nun im TV zuzuschauen. «Als ich in London auf der Pressekonferenz neben Andy (Murray), Novak, Rafa und (Björn) Borg und allen, die da waren, zurücktrat, sagte ich: «Es passt, dass ich der Erste bin, der geht. Ich hatte die Zeit ohne sie auf der Tour, als ich auf die Tour kam, und jetzt ist es ihre Zeit, einen Moment auf der Tour ohne mich zu haben», betont er.

Es hätte sich für ihn also falsch angefühlt, wenn Murray oder Nadal (langwierige Hüft- beziehungsweise Knieprobleme) hätten zurücktreten müssen. «Deshalb bin ich froh, dass ich der Erste bin, der geht. Ich wünsche mir, dass sie so lange weitermachen können wie ich.»

Bald wird auch ein Dokumentarfilm über Federer erscheinen, der die letzten Tage seiner Spielerkarriere thematisiert. Das eineinhalbstündige Werk anzusehen war für ihn «super emotional», wie er erzählt. «Das war knallhart. Ich habe etwa sechsmal geweint.»

Federer weiter: «Es gibt so viele Momente, in denen man das Leiden spürt (...). Man sieht das Ende kommen und es gibt diesen Endpunkt, aber es ist wunderschön. Aber für mich ist es wahrscheinlich auch emotional sehr schwer, das durchzustehen. Ich frage mich, wie der Zuschauer das sehen wird». Federer hofft, dass sein Abgang positiv war: «Es wird für viele Athleten gut sein zu sehen, wie ich gegangen bin.»

Sein letztes Match – er verlor im Wimbledon-Viertelfinal 2021 gegen Hubert Hurkacz glatt in drei Sätzen, der letzte davon mit 0:6 –, sei diesem Gefühl des Leidens nahegekommen. «Ich kam buchstäblich vom Platz und mein Knie war so schlimm, dass ich nicht einmal mehr richtig spielen konnte. Ich wusste, dass dies vielleicht mein letztes Wimbledon-Turnier war.» Er habe sich danach schon innerlich auf die Fragen bei der Pressekonferenz vorbereitet.

«In meinem Kopf drehte sich alles, ich hatte ein Feuerwerk im Kopf und es war buchstäblich wie: ‹Oh, mein Gott, ich habe gerade in Wimbledon verloren. Ich habe alles versucht. Das ist das Maximum, was ich hätte tun können. Eigentlich habe ich wirklich gut gespielt, wenn man bedenkt, dass ich es wirklich weit geschafft habe›», beschreibt Federer seine Gedanken.

«Das ganze Erlebnis war eine völlig ausserkörperliche Erfahrung, weil alles auf eine Art und Weise passierte, von der ich nicht dachte, dass sie passieren würde oder nicht passieren sollte. Zum Beispiel das Match im dritten Satz, die Pressekonferenz, die Gefühle, die ich hatte, die Angst, die Beklemmung, einfach die ganze Sache. Ich meine, das war knallhart», hält Federer fest.