Das Coronavirus ist für die globale Tennisszene eine immense Herausforderung. Die Schweizer Tennisexperten Severin Lüthi und Heinz Günthardt sprechen in Biel über Herausforderungen und Chancen.
Für Heinz Günthardt, den Pionier des Schweizer Profitennis und heutigen TV-Experten, ist klar: «Wenn die Situation mit dem Coronavirus noch länger anhält, wird das einen grossen Einfluss haben. Die Tenniswelt wird eine andere sein.» Der 61-jährige Zürcher rechnet vor: «Bei Spielerinnen und Spielern um Platz 100 der Weltrangliste ohne grosse Werbeverträge kommen rund 80 Prozent der Einnahmen von den vier Grand-Slam-Turnieren. Wenn diese wegfallen, müssen sie sich fragen: Kann ich vom Tennis noch leben?» Das sei gerade auch für Jungprofis eine Herausforderung.
Nicht zu den Jungprofis, aber zu den Spielern, denen fast das ganze Einkommen wegbrach, gehört Henri Laaksonen (ATP 137). Die Schweizer Nummer 3 ist dem Turnier in Wimbledon enorm dankbar, dass es ihm trotz der Absage 12'000 Pfund überwies. Eine willkommene Geste, die sich das Traditionsturnier in London leisten konnte, weil es eine Pandemie-Versicherung abgeschlossen hatte. «Das können aber die meisten Turniere nicht, die bei einer Absage selber Verluste schreiben», gibt Günthardt zu bedenken.
Während Severin Lüthi, der Coach von Roger Federer und Captain des Davis-Cup-Teams, die gesamte Corona-Pause in der Schweiz verbrachte, hat Günthardt eine eigentliche Europa-Odyssee hinter sich. Er weilte in Biel, als die Pandemie so richtig begann, und schaffte es kurz vor der Schliessung an seinen Wohnsitz in Südfrankreich. Dort erlebte er «sieben Wochen Hausarrest», während dem er sich «intensiv mit mir selber und meiner Frau beschäftigen» musste. Den Sommer verbrachten sie wie üblich in Schweden. Erst die Streichung Schwedens von der Liste der Risikoländer am Mittwoch ermöglichte ihm die Reise für den Pro Cup nach Biel. Der entsprechende Anruf erreichte ihn beim Surfen am Strand.
«Etwas über sich selber lernen»
Lüthi genoss den langen Aufenthalt in der Schweiz. «Es hat mich nicht gestört, mal längere Zeit am gleichen Ort zu sein», sagt er. Er war auch deshalb nicht unter Druck, weil Roger Federer wegen einer Knieoperation sowieso pausierte und nach einer notwendig gewordenen zweiten Knieoperation schliesslich frühzeitig für den Rest des Jahres Forfait gab. «Es geht Roger sehr gut», versichert Lüthi. «Das erstaunt mich auch nicht, ich weiss, dass er immer alles positiv sieht.» Er habe nach der Rehabilitation wieder mit dem Konditionstraining angefangen, in ein paar Wochen wolle er auch wieder auf dem Tennisplatz stehen. «Der Plan ist nach wie vor, Anfang 2021 in Australien auf die Tour zurückzukehren. Ob wir im Januar vor dem Australian Open noch ein Turnier planen, werden wir sehen.» Im Moment sei ja auch noch sehr viel unklar beim Kalender.
Lüthi, der sich immer auch wieder um den Schweizer Nachwuchs kümmert, sieht in der aktuellen Situation noch nicht ein sehr grosses Problem. «Die Jungen, die in ihrem letzten Juniorenjahr sind, trifft am meisten, dass die Grand-Slam-Turniere (vorerst Wimbledon und der Juniorenevent des US Open) gestrichen wurden.» Finanziell, so Lüthi, sollte sich die Wettkampfpause für sie nicht allzu schlimm auswirken, da sie auch deutlich weniger Auslagen hätten. Und es könne sogar eine Chance sein. «Du musst das Beste aus der Situation machen», betont der Berner. «Du bist vielleicht eine Zeit lang ohne Trainer. Das ist auch eine Möglichkeit, dir Gedanken über dich selber zu machen und dich besser kennenzulernen.»