Dominic Stricker marschiert bei seinem erst zweiten Challenger-Turnier sogleich zum Triumph und ergattert mit 18 Jahren seinen ersten Profititel. Trotz einiger gewichtiger Unterschiede – der Vergleich mit Roger Federer drängt sich auf.
Auf dem Weg zum Triumph wehrt der Schweizer mehrere Matchbälle ab und bezwingt im Halbfinal mit dem topgesetzten Yuichi Sugita einen Mann mit der Erfahrung von 15 gespielten Grand-Slam-Turnieren. Mit 18 Jahren und 7 Monaten ist Stricker nur fünf Monate älter als Roger Federer bei dessen erstem Challenger-Titel. Doch nicht nur deshalb drängt sich ein Vergleich mit dem Maestro auf.
Auffällige Parallelen
Die Spielweise
Stricker sucht sein Glück in der Offensive. Im letzten Herbst liegt der Fokus im Training darauf, noch offensiver zu agieren. «Wenn du reüssieren willst, musst du deine Stärken ausspielen. Und ihn zeichnet aus, dass er ein exzellentes Händchen hat und variabler spielt als die meisten», sagt Heinz Günthardt im Gespräch mit dem «Tagesanzeiger» und fügt an: «Auf eine gewisse Weise wie Federer, aber nicht so elegant.»
Der Aufschlag
In Lugano schlägt der Schweizer in fünf Partien 65 Asse und serviert über die ganze Woche hervorragend. Im Endspiel gewährt er dem Ukrainer Witali Satschko nicht einen Breakball zu, am Ende verliert er bei eigenem Aufschlag gar nur einen Punkt. Auch das erinnert an Federer, der ihm einst übrigens ans Herz gelegt haben soll, an seinem Aufschlag zu feilen.
Die frühen Erfolge
Im vergangenen Jahr kürt sich Stricker mit dem Sieg im Schweizer French-Open-Final gegen Leandro Riedi zum Grand-Slam-Sieger bei den Junioren – wie Federer 1998 in Wimbledon. Womöglich noch höher einzustufen ist allerdings, dass Stricker bereits bei seinem zweiten Turnier auf der Challenger-Tour zum Durchmarsch ansetzt. Ein wichtiger Schritt in der noch jungen Karriere, glaubt auch Heinz Günthardt: «Der Schritt von den Junioren zu den Profis ist gross. Teilweise spielerisch, teilweise psychologisch. (…) Für Stricker sind die Auftritte in Lugano die Bestätigung, dass er alle Voraussetzungen hat, um da vorne durchzustarten.»
Gewichtige Unterschiede
Die Weltrangliste
Stricker ist beim ersten Profi-Titelgewinn zwar nur ein knappes halbes Jahr jünger als Federer, in der Weltrangliste bewegte sich der Maestro zu diesem Zeitpunkt als amtierende Nummer 66 aber in anderen Regionen. Immerhin macht Stricker dank seines Coups innert Wochenfrist über 400 Plätze gut – und dürfte im aktualisierten Ranking etwa auf Platz 420 zu finden sein. Das eröffnet der Schweizer Zukunftshoffnung natürlich neue Möglichkeiten, womöglich schafft er es ab und an in die Qualifikation eines Challenger-Turnieres – und ist nicht mehr auf eine Wildcard angewiesen wie in Lugano.
Der Linkshänder-Vorteil
Im Grundlinien-Spiel sieht Stricker selbst noch Potenzial nach oben, auch wenn ihm die Erfahrungen mit Federer in Dubai (im Januar) und als Trainingspartner bei den ATP-Finals in London (November 2020) weiterhelfen: «Es zeigte mir, dass ich nicht so weit weg bin von den Besten, dass ich von der Grundlinie mit ihnen mitspielen kann.» Dennoch schätzt Tennis-Experte Günthardt etwa Landsmann Riedi von der Grundlinie aus aktuell noch etwas stärker ein. Aber: «Stricker ist Linkshänder, was ein Vorteil ist.»
Ein baldiges Debüt auf der ATP-Tour?
Der Weg an die Weltspitze ist nach wie vor weit. Doch bleibt Stricker in dieser beneidenswerten Form, dürfte sein steiler Aufstieg in der Weltrangliste an dieser Stelle noch nicht beendet sein. Für Günthardt sind sogar die Top 100 bereits in Reichweite: «Wenn er gut spielt, hat er dieses Niveau.» Mit den starken Auftritten im Tessin empfiehlt sich Stricker jedenfalls für höhere Aufgaben – und bewirbt sich gewissermassen auch für eine Wildcard beim ATP-Turnier in Genf (im Mai). Es wäre in Strickers junger Karriere der nächste Meilenstein – und der nächste Schritt auf Roger Federers Spuren.