Vor acht Jahren verlor Davide Nicola seinen Sohn auf tragische Weise. Der harte Schicksalsschlag warf den Trainer aber nicht aus der Bahn. Im Gegenteil. Heute ist er an mehreren Orten ein gefeierter Held.
Wäre Davide Nicola kein Fussballtrainer geworden, er wäre heute bestimmt Feuerwehrmann. Der Italiener wird nämlich immer dann gerufen, wenn der Baum brennt – sprich, wenn ein Klub stark abstiegsgefährdet ist. So wie letztes Jahr US Salernitana. Der Serie-A-Aufsteiger stand Mitte Februar auf einem Abstiegsplatz, als Nicola das Zepter übernahm. Dank einer überragenden zweiten Saisonhälfte machten die Süditaliener das schier Unmögliche möglich und konnten sich tatsächlich noch retten.
Dieses Kunststück brachte Davide Nicola zum wiederholten Mal fertig. In den beiden Jahren zuvor rettete er zunächst Genua und dann den FC Torino vor dem Abstieg. Auch diese Teams standen auf einem Abstiegsplatz, als Nicola angeheuert wurde.
Das grösste Wunder vollbrachte der frühere Aussenverteidiger indes 2017 bei Crotone. Neun Spieltage vor Schluss hatte das Team acht Punkte Rückstand auf das rettende Ufer, aus den vergangenen acht Spielen holte Crotone nur einen Punkt. Nicola stand vor dem Aus, doch er durfte bleiben – und versprach, dass er 1300 Kilometer mit dem Fahrrad von Crotone zu seinem Heimatort Vigone bei Turin fahren werde, sollte der Klub die Klasse halten.
Crotone verlor in den letzten neun Spielen nur gegen Juventus Turin, holte im Saisonendspurt sogar mehr Punkte als Doublesieger Juve und rettete sich am letzten Spieltag mit einem 3:1-Sieg gegen Lazio Rom tatsächlich noch. Das Wunder war geschehen – und Nicola radelte los.
«Mein Junge, du hast mir die Kraft gegeben»
Über Bari, Pescara, Livorno und Genua – alles frühere Karrierestationen – fuhr er nach Vigone, sein Wohnort nahe Turin. Das ist auch der Ort, wo im Sommer 2014 für Nicola «die Zeit stehen blieb», wie der Coach später in einem Interview sagte. Es war der 14. Juli 2014, als sein 14-jähriger Sohn Alessandro in Vigone von einem Bus erfasst wurde und auf tragische Weise ums Leben kam.
Bevor Davide Nicola seine Fahrradtour nach Vigone antrat, schrieb er seinem Sohn noch einen Brief: «Hallo, mein Junge. Ich weiss nicht, wo du bist oder was du gerade tust. Du hast mir die Kraft gegeben, weiterzumachen und für das Unmögliche zu kämpfen. Dies ist nicht mein Sieg, sondern unser Sieg.»
Der Fussballtrainer gründete eine Stiftung und sammelt Geld, damit Fahrradfahrer in Italien mehr Sicherheit auf den Strassen bekommen. Am harten Schicksalsschlag zerbrechen, das kam für den 49-Jährigen nie infrage. Er sieht den Tatsachen ins Auge und stellt sich seinem Schmerz. Nicola erkannte, wie unwichtig alltägliche Sorgen sein können. Man kann Spiele verlieren, man kann absteigen, aber es geht weiter.
Mit seiner Art hat er die Herzen der italienischen Fussballfans längst erobert. Und auch die Spieler mögen Nicolas Bodenständigkeit. «Er war vielleicht der Trainer, mit dem ich mich am besten verstanden habe», sagte Lasse Schöne einst über Davide Nicola, auch wenn der ehemalige Ajax-Profi und 51-fache dänische Nationalspieler nur ein halbes Jahr bei Genua unter Nicola spielte.
Der Italiener spricht kaum Englisch. «Ich hatte Trainer, die viel zu stolz waren, um es zu versuchen. Davide war nicht so», erzählte Schöne. Nicola würde immer wieder Spieler fragen, wie man Dinge auf Englisch sagt, um sie den Nicht-Italienern erklären zu können. «Ich mochte ihn als Person sehr», so Schöne.
Neue Saison, neuer Kampf
Hohes Ansehen geniesst Davide Nicola natürlich auch bei Salernitana. «Er könnte Real Madrid trainieren», sagte Klubboss Danilo Iervolino jüngst über seinen Coach, der in seiner Karriere noch keinen Titel gewinnen konnte. Doch das braucht Nicola auch nicht, um glücklich zu sein. Er weiss, dass er auch bei einem kleineren Klub wie Salernitana ein gefeierter Held sein kann.
Salernitana geht auch in dieser Saison als grosser Underdog ins Rennen. Zum Auftakt empfängt der Abstiegskandidat die AS Roma – das Spiel ist am Sonntagabend um 20:45 Uhr live im Free-TV auf blue Zoom zu sehen.
So 14.08. 20:30 - 22:50 ∙ blue Sport Live ∙ Live Fussball: US Salernitana 1919 - AS Roma
Event ist beendet
Vielleicht lässt sich Davide Nicola ja wieder zu einer verrückten Wette hinreissen. Bei seinem Amtsantritt im Februar hatte er schon ein Versprechen abgegeben: «Wenn wir uns retten, werde ich zu Fuss zum Papst gehen.» Von Salerno nach Vatikanstadt – ein 270 Kilometer langer Fussmarsch wäre das gewesen, der ohne Pause rund 57 Stunden dauert. Salernitana schaffte den Ligaerhalt, doch Nicola verzichtete auf den Marsch. Er sagte: «Ich will den Heiligen Vater nicht belästigen.»