Als Hansi Flick vor rund sieben Monaten das Ruder bei den Bayern übernimmt, gilt er als Übergangstrainer, der spätestens in der Winterpause wieder abgelöst wird. Falsch gedacht!
Rückblende: Am 2. November 2019 geht der FC Bayern in Frankfurt mit 1:5 unter und weist nach zehn Bundesliga-Spieltagen bereits vier Punkte Rückstand auf Leader Gladbach auf. Für Cheftrainer Niko Kovac ist die Pleite gleichbedeutung mit seiner Entlassung, der von ihm nach München gelotste Assistent Hansi Flick übernimmt interimistisch. Kritiker geben dem unscheinbaren Deutschen nicht mehr als fünf Spiele als Chef an der Seitenlinie, als langfristige Lösung scheint ihn niemand zu sehen. Doch 228 Tage später ist Flick noch immer im Amt – und sitzt fester im Sattel denn je.
Dabei lässt er sich von einem schwierigen Start nicht aus dem Konzept bringen. In seinen ersten vier Spielen setzt es für Flick Niederlagen gegen Leverkusen und Gladbach ab, in der Tabelle rutscht der Titelverteidiger zwischenzeitlich auf den siebten Tabellenplatz ab. Für die Öffentlichkeit ist spätestens zu dem Zeitpunkt klar, dass Flick keine dauerhafte Lösung ist. Nicht aber für die Vereinsführung, die das Potential des 55-Jährigen bereits früh erkennt und ihm in der Anfangsphase den Rücken freihält. Aus guten Gründen.
Flick lässt einen Fussball spielen, der Führungsetage und Spieler sondergleichen verzückt. Der grösste Unterschied zu Vorgänger Kovac zeigt sich im aggressiven Pressing bei Ballverlust, Flick lässt die Mannschaft bei einem Ballverlust weit in die Hälfte des Gegners aufrücken.
Neuer, Alaba, Kimmich, Müller – die neugeformte Achse
Zudem findet er «seine» Stammformation mit einer neugeformten Achse: David Alaba agiert als Abwehrchef im Zentrum, Joshua Kimmich spielt stets als Sechser vor der Abwehr und Thomas Müller avanciert wieder zum Dreh- und Angelpunkt. Den Routiniers Manuel Neuer und Jerome Boateng, die zuletzt zu ihrer Bestform zurückfinden, schenkt er viel Vertrauen und selbst die Reservisten gewinnt er für sich. So verleiht Flick dem Serienmeister je länger je mehr einen wiedererkennbaren Spielstil und schafft Identität.
Auch neben dem Platz weiss Flick haargenau, was zu tun ist. Mit seiner besonnenen Art bringt er stets viel Ruhe ein – aber er kann auch anders. Und zwar dann, wenn es in seinem Fachgebiet Probleme gibt. Im Winter fordert er gegenüber Sportchef Hasan Salihamidzic vehement Verstärkung, die Diskussion um Torwart Manuel Neuer beendet er mit einem gesprochenen Machtwort.
Der nächste Jupp Heynckes?
Das entgeht auch der Vereinsführung nicht. Die Belohnung: Bereits Anfang April unterschreibt Flick einen langfristigen Vertrag – nicht wie für Trainer üblich über zwei, sondern gleich über drei Jahre. Das zeugt von grossem Vertrauen. Das Vertrauen hat sich zumindest bisher ausgezahlt.
In seinen ersten sieben Monaten unter Flick fahren die Bayern in 28 Partien 25 Siege ein. Am Dienstag tütet man in Bremen vorzeitig die achte deutsche Meisterschaft in Folge ein – zum ersten Mal mit Cheftrainer Hansi Flick. Als Spieler hatte er einst vier Titel mit dem FCB eingeheimst, sein Trainer in dieser Zeit: Jupp Heynckes.
Nun soll Flick der erste Bayern-Trainer seit dem Niederländer werden, der das Triple nach München bringt. Nach dem Gewinn der Meisterschaft steht am 4. Juli das DFB-Pokalfinale gegen Leverkusen an, im August folgt dann das Finalturnier der Champions League, wo die Bayern nach dem 3:0 im Achtelfinal-Hinspiel gegen Chelsea bereits mit einem Bein im Viertelfinal stehen.
Nach den beeindruckenden letzten Wochen ist Flick das Triple-Kunststück zuzutrauen. «Seine Qualitäten sind Fachkompetenz, Menschenführung in allen Bereichen, Seriosität, Solidität und eine ausgezeichnete Präsentation in der Öffentlichkeit», schwärmt auch Vorgänger Heynckes und fügt an: «Er ist für mich der ideale Trainer.»