«Vom Helden zum Staatsfeind Nr. 1» Diese Züngel-Szene veränderte Marco Strellers Leben

Von Patrick Lämmle

18.11.2023

Wie Marco Streller «vom Helden zum Staatsfeind Nr. 1» wurde

Wie Marco Streller «vom Helden zum Staatsfeind Nr. 1» wurde

Im November 2005 hat Marco Streller grossen Anteil daran, dass sich die Schweiz in der Türkei das WM-Ticket sichert. Ein Held ist geboren. Ein paar Monate später verschiesst er an ebendieser WM im Achtelfinal einen Penalty und wird zum Buhmann.

17.11.2023

Marco Streller hat als Spieler der Schweizer Nati als gefeierter Held einerseits grosse Glücksgefühle erlebt, andererseits wurde er später auch durch den Dreck gezogen. Im Fussball-Talk Heimspiel blickt er zurück.

Von Patrick Lämmle

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  • Im November 2005 sichert Marco Streller der Schweiz mit seinem Treffer in der Türkei das erste WM-Ticket seit zwölf Jahren. Streller ist der grosse Held.
  • Im Sommer 2006 wird er dann zum grossen Buhmann, weil er im WM-Achtelfinal gegen die Ukraine einen Penalty verschiesst und vor seinem Elfer mit der Zunge spielt.
  • Dass ihm die ganze Schuld in die Schuhe geschoben wurde, das habe ihn sehr geschmerzt. Zumal man ja sehe, dass er einfach «unglaublich nervös» gewesen sei.

Seit Oktober 2003 gehörte Marco Streller zum Kreis der Schweizer Nationalmannschaft. «Als ich das erste Mal dieses Trikot trug, da ging ein Lebenstraum in Erfüllung», schwelgt der Stürmer in Erinnerungen. Im Jahr 2005 geht dann sein Stern endgültig auf. Die Schweiz muss auf dem Weg an die WM 2006 in die Barrage gegen die Türkei. Das Hinspiel gewinnt die Schweiz zuhause 2:0. Doch das ist erst die halbe Miete, denn das Spiel in der Türkei wird zur Monsteraufgabe.

Die Schweizer werden schon am Flughafen schikaniert, selbst das Flughafenpersonal teilt heftig aus. Im Stadion wird alles noch verrückter. Die Schweiz geht zwar früh in Führung, gerät dann aber mit 1:3 in Rückstand und die WM-Teilnahme droht den Schweizern zu entgleiten. Doch dann kommt der grosse Auftritt des eingewechselten Marco Strellers, der zuvor einen Penalty verschuldet hatte.

In der 84. Minute umkurvt der Stürmer den gegnerischen Torhüter und schiebt zum 2:3 ein. Streller avanciert zum grossen Helden, denn dieser Treffer ist Gold wert. Zwar gelingt den Türken noch das 4:2, doch dabei bleibt es und somit qualifiziert sich die Schweiz erstmals seit 12 Jahren wieder für eine WM, was trotz der Ausschreitungen nach Spielschluss für Schweizer Glücksgefühle sorgt.

Vom Helden zum Staatsfeind Nummer 1

An der WM 2006 scheidet die Nati dann im Achtelfinale gegen die Ukraine aus. Im Elfmeterschiessen verschiessen alle Schweizer. Erst Marco Streller, dann Tranquillo Barnetta und zuletzt auch noch Ricardo Cabanas. Doch die ganze Kritik prasselt auf Streller ein, was vor allem mit seinem Zungenspiel vor dem Elfer zu tun hatte.

Etwas, das Streller sehr schmerzte. Wenn er sich heute daran erinnert und die Bilder sieht, dann tönt das so: «Man sieht ja, das war überhaupt keine bewusste Reaktion mit der Zunge, sondern ein Mensch, der unglaublich nervös ist, massiv unter Druck steht und sich in seiner Haut in diesem Moment nicht wohlfühlt. Wir haben drei Penaltys geschossen, dreimal verschossen – und es war meine Schuld, aufgrund von dem (Zungenspiel; A.d.Red.). Es ist etwas, was mir sehr weh getan hat nachher.»

Nach dem Tor in der Türkei sei er wie «ein Volksheld» gefeiert worden und dann, nicht einmal ein Jahr später, «war ich Staatsfeind Nummer 1». «Ein 24-jähriger Mensch, der gefühlt den ganzen Druck der Nation auf den Schultern hat, das macht etwas mit einem.» Als er dann zwei Jahre später im Vorfeld der Heim-EM von den eigenen Fans ausgepfiffen wurde, in einem Spiel das die Schweiz 3:0 gegen Liechtenstein gewann.

Das hat ihn damals dermassen verletzt, dass er tags darauf im TV, mit Restalkohol im Blut, seinen Rücktritt ankündigte für nach der EM. Im Fussball-Talk Heimspiel spricht Marco Streller noch ausführlicher über den grossen Unterschied zwischen Pfiffen der gegnerischen und der eigenen Fans und was das mit einem Spieler macht.

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