Im dritten Pflichtspiel unter Nationalcoach Murat Yakin braucht die Schweiz den ersten Sieg. Am Samstag in Genf gegen Nordirland geht es nicht nur um drei Punkte in der WM-Qualifikation, sondern auch um das Bewahren von Gewissheiten und dem eigenen Selbstverständnis.
Eigentlich ist ein Sieg der Schweiz gar nicht unbedingt nötig. Zumindest nicht im direkten Zusammenhang mit der WM-Qualifikation. Ein Remis gegen Nordirland würde an der Ausgangslage im Duell mit Leader und Europameister Italien um den Gruppensieg wenig ändern: Die Schweiz kann zwar mit sechs Punkten in den zwei Spielen gegen Nordirland und nächsten Dienstag auswärts gegen Litauen punktemässig zu Italien aufschliessen, aber wegen der deutlich schlechteren Tordifferenz braucht sie im November in Rom so oder so einen Sieg. Ausserdem würde am Samstag in Genf im Kampf um Platz 2 und die Teilnahme an den Playoffs auch ein Unentschieden die um drei Punkte zurückliegenden Nordiren auf Distanz halten.
Und doch rückten in den letzten Tagen Trainer, Spieler und Öffentlichkeit nicht von der Forderung ab: Die Schweiz braucht gegen Nordirland einen Sieg. Das hat viel mit der Vorstellung vor einem Monat in Belfast gegen den gleichen Gegner zu tun. Mit diesem enttäuschenden 0:0 nach einem spielerisch ungenügenden Auftritt. Ein weiteres siegloses Spiel, womöglich sogar ohne Torerfolg, würde den Schweizern Sicherheiten rauben, welche sie sich unter Yakins Vorgänger Vladimir Petkovic erarbeitet haben.
Es sind dies die Gewissheit, Gegner vom Kaliber Nordirlands immer irgendwie schlagen zu können. Oder das Wissen um die Qualität, auch gegen defensive Widersacher irgendwann eine Lösung und einen Weg zum Tor zu finden. Lösungen und Wege, welche den Schweizern in Nordirland versperrt blieben. Damals konnten sie und ihr Trainer mildernde Umstände geltend machen. Neben Captain Granit Xhaka, dem Spiritus Rector auf und neben dem Platz, fehlten auch Xherdan Shaqiri und Breel Embolo, die beiden talentiertesten Offensivspieler sowie Mario Gavranovic, der Spieler mit der besten Torquote der aktuellen Generation.
Seit 268 Quali-Minuten ohne Tor
Shaqiri, Embolo und Gavranovic sind jetzt wieder dabei, und Yakin sagt: «Wir haben nun vorne wieder genügend Auswahl, um die nötigen Tore zu erzielen.» Seit dem letzten Treffer in der Qualifikation sind 268 Minuten vergangen: zweimal 90 Minuten gegen Italien und Nordirland sowie 88 Minuten unter Petkovic im März gegen Litauen. Vor 36 Jahren warteten die Schweizer letztmals länger auf ein Tor in einer Ausscheidungsphase (413 Minuten).
Dass die SFV-Auswahl gegen Nordirland nicht weiter an diesem Negativrekord arbeitet, ist auch für Yakin wichtig. Es darf nicht sein, dass er früh in seiner Amtszeit mit dem Vorwurf konfrontiert wird, der ihn während seiner an sich erfolgreichen Zeit in Basel stets verfolgte. Dass er nämlich ein Trainer ist, der gegen grosse Gegner taktische Meisterstücke vollbringt, sich aber gegen Aussenseiter schwertut.
Viel hängt an Shaqiri
Es ist noch viel zu früh nur schon für eine Zwischenbilanz, aber im September waren die Auftritte der Schweiz genau diese Blaupause: taktisch tadellos gegen Italien, spielerisch ohne Verve gegen Nordirland. Jetzt in Genf wird gegen die Briten viel von der Leistung von Rückkehrer Shaqiri abhängen. In Abwesenheit von Xhaka ist der fast 30 Jahre alte Stürmer nicht nur der Captain, der die Binde auf den Platz trägt. Von ihm erwartet Yakin die kreativen Ideen, welche zuletzt gefehlt haben.
Noch ist offen, ob Shaqiri auf dem rechten Flügel oder hinter der Sturmspitze spielt. Wahrscheinlich ist, dass Yakin, wie es zuletzt auch Petkovic tat, Shaqiri viele Freiheiten lässt. «Der Trainer will, dass ich vorne wirble, damit ich dem Team mit Toren und Pässen helfen kann», umschreibt Shaqiri seinen Auftrag.
Freuler und Zakaria müssen liefern
Ein zweiter gewichtiger Faktor werden die Auftritte von Remo Freuler und Denis Zakaria im Mittelfeldzentrum sein. Dem Duo kommt die Aufgabe zu, Xhaka zu ersetzen und das Spiel im Aufbau zu ordnen. Für die beiden ist die Zeit gekommen, sich aus dem Schatten von Xhaka zu lösen und im Nationalteam (endlich) die Leistungen im Klub zu bestätigen und sich als Leader zu präsentieren.
Das gilt vor allem für Zakaria, der in Mönchengladbach die physischen Probleme im Nachgang einer im Frühjahr 2020 erlittenen Knieverletzung endlich hinter sich gelassen zu haben scheint. Wer im Bundesliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund das Siegtor erzielt und von dem der Sportdirektor Max Eberl sagt, er sei «der Erling Haaland von Gladbach» darf erwartet werden, dass er im Nationalteam gegen die FIFA-Nummer 47 Akzente setzt. Zum Wohle von sich selbst, von Yakin – und der ganzen Fussball-Schweiz.