Gastgeber Deutschland fängt sich gegen Österreich die nächste Pleite ein und verliert Ausnahmekönner Leroy Sané, der sich einen Ausraster leistet. Rund sieben Monate vor der Heim-EM herrscht in Fussball-Deutschland Unruhe.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Deutschland unterliegt Österreich am Dienstag in Wien verdient mit 0:2 und muss in der EM-Vorbereitung den nächsten Rückschlag verarbeiten.
- Sinnbildlich steht der Platzverweis von Leroy Sané, der seinen Gegenspieler niederstreckt. Nach dem Spiel entschuldigt sich der Bayer-Star für seinen Ausraster.
- Sieben Monate vor der Heim-EM gibt es in der DFB-Mannschaft aber mehrere Baustellen, sodass Trainer Julian Nagelsmann zugibt: «Ich verstehe die Sorgen der Fans.»
«Nein! Nein! Nagelsmann! Peinliche Pleite gegen Rangnick-Team – die Nationalmannschaft schon wieder in der Krise», titel die «Bild» am Mittwoch. Der «Spiegel» schreibt vielsagend: «Es war einmal eine stolze Fussballnation.» Und die «Süddeutsche» fasst den Auftritt der deutschen Nationalmannschaft in Wien in einem Wort zusammen: «Abbruchstimmung».
Nach einem schwachen Auftritt und der 0:2-Niederlage gegen Österreich steigt in Deutschland sieben Monate vor der Heim-Europameisterschaft die Nervosität. Selbst Neo-Trainer Julian Nagelsmann, der bereits seine zweite Pleite als Nationalcoach einstecken muss, gibt nach nur vier Spielen an Deutschlands Seitenlinie zu: «Ich verstehe die Sorgen der Fans, das kann ich absolut nachvollziehen.»
Traurig, aber nicht «in der Opferrolle»
Der 36-Jährige sieht «unfassbar viel Arbeit» auf sich und seine Schützlinge warten. «Das muss man so akzeptieren. Es wird uns nichts leicht von der Hand gehen», macht Nagelsmann klar. «Die Mannschaft ist nicht befreit. Wir sind nicht diese Einheit, die wir ausserhalb des Platzes sind. Wir strotzen nicht vor Selbstvertrauen, das ist einfach Fakt. Das liegt auf der Hand, wenn man die letzten Jahre sieht.»
Offensiv verlangt Nagelsmann mehr Dynamik, statt «alles aus dem Stand zu spielen». Defensiv hingegen stellt er fest: «Wir sind keine Verteidigungsmonster.» Und ganz grundsätzlich erklärt der Bundestrainer: «Ich habe schon das Gefühl, dass wir noch zu viele Einzelkämpfer sind. Jeder ist mit sich beschäftigt, was natürlich auch aufgrund der jüngeren und mittleren Historie ein Stück weit normal ist.»
Die eine «Paradelösung» habe er nicht, räumt Nagelsmann ein. Er will sich aber keinesfalls entmutigen lassen. «Ich bin traurig, dass wir nicht gewonnen haben, aber nicht in der Opferrolle», unterstreicht der ehemalige Bayern-Coach und sagt mit Blick auf die verbleibenden Monate bis zum EM-Auftakt: «Das ist die Aufgabe, die der Trainer und die Mannschaft haben bis zum Sommer. Dass wir die Gemeinschaft auf den Platz bringen, die dann auch in schwierigen Momenten eine Mannschaft bleibt.»
Sané entschuldigt sich nach Ausraster
Ob Nagelsmann damit auch Leroy Sané anspricht? Der Bayern-Star leistet sich am Dienstag einen folgenschweren Aussetzer, streckt Gegenspieler Phillipp Mwene nach einem giftigen Zweikampf mit einem Schlag nieder und fliegt folgerichtig vom Platz. «Das Spiel geht heute auf mich, das geht auf meine Kappe. Da muss ich mich beherrschen, das kann nicht passieren, da habe ich die Mannschaft im Stich gelassen», sieht der 27-Jährige anschliessend ein. «Das war nichts Persönliches gegen Philipp, das war meine eigene Leistung, wie gesagt, das darf mir nicht passieren.»
Der Übeltäter, den eine Sperre von mindestens drei Spielen erwartet, entschuldigt sich in der Kabine auch bei seinen Teamkollegen, was ihm Nagelsmann hoch anrechnet. Dennoch macht der Bundestrainer klar: «Am Ende muss Leroy so clever sein, dass er es nicht macht und eine Rote Karte in die andere Richtung provoziert.»
Sané dürfte Nagelsmann erst im letzten Testspiel vor der Heim-EM im Juni wieder zur Verfügung stehen. «Ich bin motiviert, ich will, dass wir in die richtige Richtung gehen», verdeutlicht Sané. «Kleinmachen müssen wir uns generell nicht. Wir haben eine super Qualität im Kader. Deswegen ist es von draussen so schwer zu verstehen, warum es nicht funktioniert.»
«Uns fehlen die deutschen Tugenden»
Deutliche Worte wählt auch Rudi Völler. «Es geht vordergründig gar nicht um das nackte Ergebnis, aber die Art und Weise, das ist nicht schön, das können wir uns nicht gefallen lassen, und das muss auch besser werden», sagt der DFB-Sportdirektor. «Ich weiss, das ist immer ein Begriff, ein Wort, das strapaziert wird, aber uns fehlen ein bisschen die deutschen Tugenden.»
Dem neuen Trainer und dessen Taktik macht Völler nach den Pleiten gegen die Türkei und Österreich keine Vorwürfe. «Es geht nicht darum, ob man mit einer Dreier- oder Viererkette spielt, oder ob Kai Havertz linker Verteidiger spielt, das ist nicht der Punkt. Der Punkt sind diese fünf oder zehn Prozent, die haben uns in beiden Spielen gefehlt. Daran müssen wir arbeiten», unterstreicht der Weltmeister von 1990.
Die Zahlen der DFB-Mannschaft sprechen Bände. Sie hat in diesem Jahr so viele Niederlagen einstecken müssen wie im Jahr des WM-Debakels 2018. Zudem weist man mit 54,5 Prozent die höchste Niederlagen-Quote der letzten zehn Jahre auf, auch die 22 Gegentore bedeuten in dieser Periode Negativrekord. «Es ist viel vorgefallen in den letzten Jahren, das braucht man nicht wegzudiskutieren», weiss Völler und fordert: «Wir müssen unseren Mann stehen, Brust rausnehmen und den Kopf hochnehmen und marschieren, marschieren, marschieren.»