Genderdebatte Frau Demirovic, darf ich überhaupt noch «Frauenfussball» sagen?

Von Patrick Lämmle

17.8.2022

Arijana Demirovic setzt sich unermüdlich für den Frauenfussball ein.
Arijana Demirovic setzt sich unermüdlich für den Frauenfussball ein.
Bild: FIFA

Seit dem Ende der Fussball-EM ist es rund um die Fussballerinnen dieser Welt wieder still geworden. Ein Rückschritt auf Feld eins? blue News hat mit Arijana Demirovic, Leiterin Entwicklung Frauenfussball bei der FIFA, darüber gesprochen.

Von Patrick Lämmle

17.8.2022

Bei manchen löst bereits das Wort Frauenfussball Kopfschütteln aus. Man spricht ja auch nicht von Frauen-Tennis, Frauen-Skifahren oder Frauen-Mountainbike. Arijana Demirovic trägt allerdings den Titel «Leiterin Entwicklung Frauenfussball». Darauf angesprochen, ob der Begriff kein Problem darstellt, meint sie: «Wir verstehen, dass es das gleiche Spiel ist. Aber manchmal hat es grosse Vorteile, das Wort Frauenfussball zu nutzen.»

Denn Fakt ist, dass der Männerfussball an einem ganz anderen Punkt steht. Für die gezielte Förderung der Frauen und Mädchen ist die begriffliche Abgrenzung deshalb von Vorteil. So investiert die FIFA viel Geld in Entwicklungsprojekte rund um den Frauenfussball.

Ein zentrales Ziel ist es, Frauen rund um den Globus den Zugang zum Fussball überhaupt zu ermöglichen. Bis 2026 soll die Zahl der aktiven Fussballerinnen auf 60 Millionen weltweit gesteigert werden. «Unsere Aufgabe ist, weltweit die Grundlagen zu schaffen, damit der Frauenfussball sich weiterentwickeln und durchsetzen kann. Dafür müssen die Strukturen in den Ländern zunächst geschaffen werden. Ein Nationalteam muss aufgebaut werden, ebenso wie ein Ligasystem.» Das sei ein langwieriger Prozess und grosse Turniere helfen durch ihre Visibilität, den Prozess zu beschleunigen.

Wo steht die Schweiz?

Nach der EM ist der Frauenfussball hierzulande wieder komplett von der Bildfläche verschwunden. Wie steht es denn um die Entwicklung des Frauenfussballs in der Schweiz? Demirovic sagt darauf angesprochen: «Es ist wichtig, die Fortschritte, die erreicht wurden, zu feiern. Die Schweiz war an der EM dabei, die Klubs spielen in der Champions League und es gibt eine Liga mit Sponsor.»

Auch dass gewisse Spiele im TV, auf Online-Plattformen oder in den sozialen Medien übertragen würden, sei erfreulich. «Die Strukturen sind gut. Die Frage, die sich nun stellt: Was können wir als Nächstes tun, um die Professionalisierung weiter voranzutreiben?»

Die WM als nächster Booster

Um nicht ausgebremst zu werden, wäre es für den Schweizer Frauenfussball wichtig, dass sich die Nationalmannschaft für die WM 2023 in Australien und Neuseeland qualifiziert. Erstmals werden 32 Teams an der Endrunde teilnehmen und während eines Monats im Fokus stehen. «Wir sind überzeugt, dass es der beste und kompetitivste Frauenfussball-Wettbewerb wird. Denn Mannschaften aus vier verschiedenen Kontinenten haben gute Chancen, dieses Turnier zu gewinnen.»

Es sei wichtig, das grosse Bild zu sehen. Frauenfussball ist auf dem Vormarsch und viel sichtbarer als noch vor ein paar Jahren. «Bei grossen Turnieren werden Vorbilder geschaffen, an denen sich Nachwuchsspielerinnen orientieren können.»

Nati-Kapitänin Lia Wälti klatscht mit einem kleinen Mädchen ab.
Nati-Kapitänin Lia Wälti klatscht mit einem kleinen Mädchen ab.
Getty

Die Zukunft des Frauenfussballs kann rosig sein. Denn auch wenn es das gleiche Spiel ist, sind Unterschiede zu beobachten. An der EM gab es nicht eine einzige Rudelbildung, die Spielerinnen reklamieren deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen und auch das Publikum war auffällig friedlich, in den Stadien herrschte eine ganz besondere Atmosphäre.

Sind das Werte, die sich auch gezielt vermarkten lassen? «Absolut. Fussball transportiert generell viele grossartige Werte, aber es stimmt, dass wir gewisse Unterschiede sehen», bestätigt Demirovic. «Unter den Matchbesuchern hat es viele Familien und es herrscht sehr viel Enthusiasmus in den Stadien. Das ist ein Verkaufsargument, denn Werte sind heutzutage extrem wichtig. Wir müssen auch alles daransetzen, dass die zunehmende Professionalisierung diese nicht negativ beeinflusst. Wir sollten uns dieser Werte bewusst sein, so können sie Teil der Kultur werden. Dann hat der Frauenfussball eine vielversprechende Zukunft.»

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