CountdownRuhe vor dem Sturm? Servette hat Europa im Blick, aber …
Von Patrick Lämmle
9.6.2020
Aufsteiger Servette spielte eine starke Vorrunde und startete noch besser in die Rückrunde – dann kam Corona. Sportlich lief es bislang also wie geschmiert – und doch steht der Verein vor einer ungewissen Zukunft.
Servette benötigte keine Anlaufzeit, um in der Super League anzukommen. Lange ist es her, dass ein Aufsteiger ähnlich erfrischenden und durchaus erfolgreichen Fussball zelebrierte. Vor allem die defensive Stabilität – kein Team hat weniger Gegentore kassiert – ist beeindruckend.
Die Vorrunde schlossen die Genfer im 5. Rang ab, die Abstiegsplätze bereits in weiter Ferne. Wer einen Einbruch in der zweiten Saisonhälfte erwartete, der sah sich eines Besseren belehrt. In den fünf Runden bis zum Corona-Unterbruch hat nur Luzern mehr Punkte eingeheimst als Servette.
Das reichte, um am FCZ vorbeizuziehen. Aus drei Punkten Rückstand wurde ein Fünf-Punkte-Vorsprung. Der Rückstand auf den drittklassierten FC Basel (bei Saisonhälfte noch im zweiten Rang klassiert) schmolz von neun Punkten auf drei. Die Europacup-Plätze sind in Sichtweite. Noch acht Punkte Rückstand hat der Aufsteiger auf YB und Spitzenreiter St. Gallen. Der Meistertitel kann kein Ziel sein, davon zu träumen ist aber erlaubt. Wer weiss schon, wie sich die Dinge nach der ungewohnten Pause entwickeln werden.
Alles Friede, Freude, Eierkuchen? Nicht ganz. Planmässig wäre die Super-League-Saison an Auffahrt zu Ende gegangen. Nun stehen aber noch 13 Runden aus, elf Spielerverträge werden am 30. Juni auslaufen – keine zwei Wochen nach dem Re-Start. Man wird deshalb viele Einzelgespräche führen müssen, um die Mannschaft zusammenzuhalten.
Bei einem Spieler ist allerdings schon jetzt klar, dass er die Saison nicht bei Servette beenden wird: Jung-Bin Park liess am Wochenende auf Instagram verlauten, dass er sich nicht mit dem Klub einigen konnte und sich «die Wege in wenigen Tagen trennen» werden. Wahrscheinlich wird der Südkoreaner, der in sechs Spielen vier Tore schoss und zwei Assists lieferte, auch die vier Spiele bis zum Vertragsende am 30. Juni nicht mehr absolvieren.
Bis zum Saisonende wird das Team wohl nicht auseinanderbrechen, mit den meisten Spielern wird man zumindest befristete Lösungen finden. Doch was folgt danach? In mehreren Fällen besitzt der Klub eine Option auf eine Verlängerung. So könnten Joël Kiassumbua, Christopher Routis und Andrea Maccoppi für eine weitere Saison an den Verein gebunden werden.
Und es gibt ja nicht nur Spieler, deren Verträge auslaufen. Für den einen oder anderen Servettien wird mit Sicherheit ein Angebot hereinflattern. Und diese gilt es zu prüfen. Den 22-jährigen Timothé Cognat etwa, ausgebildet bei Lyon, hat man letzten Sommer für mickrige 70’000 Euro fest übernommen. 19-mal stand der U17-Europameister (2015 mit Frankreich) in dieser Saison in der Startelf. Kaum vorstellbar, dass er seinen bis 2022 laufenden Vertrag erfüllen wird.
Auch Miroslav Stevanovic, einer der besten Spieler der Liga, hat noch einen Vertrag bis 2022. Will man mit ihm Geld verdienen, dann müsste man ihn wohl zeitnah verkaufen, denn der bosnische Nationalspieler ist bereits 29 Jahre alt – frappant steigen wird sein Marktwert kaum noch. Sportlich wäre ein Abgang Stevanovics ein herber Verlust für Servette, finanziell möglicherweise reizvoll.
Beruhigend ist, dass Torhüter Jérémy Frick und das Innenverteidiger-Duo bestehend aus Vincent Sasso und Steve Rouiller noch länger an den Verein gebunden sind. Die Verträge von Frick und Sasso laufen 2022 aus, Rouillers Vertrag 2021, allerdings mit der Option auf eine Verlängerung. In Genf wird man kein Interesse daran haben, dieses erfolgreiche Defensiv-Trio zu sprengen. Doch wie im Fall von Stevanovic gilt: Wenn es finanziell passt, dann ist alles möglich.