Manchester United ist fast zehn Jahre nach dem Abgang von Alex Ferguson immer noch auf der Suche nach einem neuen Erfolgsrezept. Was ist da los? Von Trainer, Captain und Superstar fehlen die Antworten.
Als Schiedsrichter Slavko Vincic das Achtelfinal-Rückspiel zwischen Manchester United und Atlético Madrid abpfeift, ist das Old Trafford so laut wie zuvor den ganzen Dienstagabend nicht. Mit einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert erstickt die schwarzrote Anhängerschaft den aufbrandenden Jubel der mitgereisten Madrilenen in der südöstlichen Stadionecke und schickt die eigene Mannschaft in bedrohlicher Manier in die Katakomben.
Die Stimmung in der roten Hälfte Manchesters ist im Keller. Einmal mehr. Das 0:1 gegen Atlético dürfte für längere Zeit das letzte Mal gewesen sein, dass die Champions League im «Theatre of Dreams» Einzug hielt. Nach dem Aus im Achtelfinal und einem Blick auf die aktuelle Tabellensituation der englischen Premier League lassen selbst die zuversichtlichsten Anhänger der Red Devils die Köpfe hängen. Den Spielern geht es genauso.
«Wir sind enttäuscht und enttäuscht für die Fans, weil wir ihnen in dieser Saison nicht genug gegeben haben», sagt Captain Harry Maguire in einem aussergewöhnlichen Interview nach der Partie. Wie Bibelzitate leiert der Innenverteidiger unter den immer noch nachhallenden Buhrufen des Fussballtempels seine Sätze in die laufende Kamera. Das stundenlange Medientraining scheint sich auszuzahlen.
«Das ist wie die Seuche dort»
Wie zuvor auf dem Platz ist Maguire auch vor der Werbebande alles andere als zu beneiden. Wie die Fans lässt die Journalistin dabei nicht locker. Was er von den beleidigenden Gesängen gegen seine Person halte, und ob er der richtige Captain für diese Mannschaft sei, will sie wissen und streut dabei ordentlich Salz in die Wunden. Eine Reaktion erzielt sie dabei nicht. Als Antwort nur leere Phrasen.
Eine solche scheint im Old Trafford seit Jahren niemand zu kennen. «Das ist wie die Seuche dort», sagt auch Marco Streller im Studio bei blue Sport. «Die brauchen einen Neustart und eine ganz klare Strategie. Einfach nur Stars zu kaufen, damit ist das nicht gemacht», so der 37-fache Schweizer Nationalspieler, der das dicke Minus in Uniteds Transferbilanz anspricht. Über eine Milliarde Euro hat ManUtd im letzten Jahrzehnt seit dem Abgang von Erfolgstrainer Ferguson in die Kaderplanung investiert. Herausgeschaut hat dabei wenig bis gar nichts.
Mit Niederlagen wie dieser droht auch Ralf Rangnick sein Ansehen als Hoffnungsträger zu verlieren. Statt mit taktischen Schachzügen brilliert der deutsche Trainer am Dienstag nur mit Sprachkenntnissen, als er nach der Partie in Deutsch und Englisch zwei fast aufs Wort identische Interviews abliefert. Auch hier fehlen jedoch die Antworten.
Ronaldo mehr Problem statt Lösung?
Enttäuschend ist am Dienstag auch die Leistung von Superstar Cristiano Ronaldo. Statt Torgefährlichkeit versprüht der 37-Jährige vor allem miese Laune. Sein Groll scheint sich dabei in erster Linie an seine eigenen Teamkollegen zu richten. Nach dem Dreierpack am Wochenende geht er in der Champions League leer aus.
«Er ist als zentraler Stürmer aufgestellt, ist aber nie in der Mitte», erklärt Streller und lässt eine Heatmap des Portugiesen einblenden. «Ich bin ein grosser Fan von Ronaldo. Aber er ist auch ein bisschen das Problem von United», findet der ehemalige Angreifer. Viele United-Fans haben sich trotz Euphorie im Sommer mittlerweile dieser Meinung angeschlossen.
Was der Portugiese zum 0:1 gegen Atlético sagt? Nichts. Der Superstar gibt lieber nach erfolgreichen Spielen wie zuletzt gegen die Tottenham Hotspur Interviews. Am Dienstag bleibt auch er die Antworten schuldig.
Aktuell sieht alles danach aus als stünde beim englischen Rekordmeister schon wieder ein Umbruch an. Ohne Champions-League-Fussball eine Herkulesaufgabe, egal wie gross das Budget sein mag.
«Ich bleibe dabei, mit dem vierten Platz wird das nichts», prophezeit blue-Experte Marcel Reif nach der Atlético-Pleite. «Da ist die nächste Saison in der Tonne.» Nach David Moyes, Ryan Giggs, Louis van Gaal, José Mourinho, Ole Gunnar Solskjaer und Michael Carrick scheint auch Rangnick nicht die richtige Formel gefunden zu haben.
Favorit auf die Nachfolge des Deutschen, der nach Saisonende unabhängig der Resultate eine beratende Rolle im Verein einnehmen soll, ist Erik ten Hag. Ob er der Richtige ist, um den Traditionsverein nach jahrelanger Misswirtschaft aus dem Sumpf zu ziehen?
Gestern Abend erging es dem 52-Jährigen jedenfalls nicht besser als Manchester United. Mit Ajax Amsterdam scheiterte der Holländer im Achtelfinale an Underdog Benfica Lissabon.